ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Großhandel

d'Lëtzebuerger Land vom 07.06.2024

Vor drei Wochen fand in der Hauptstadt der jährliche Marathonlauf statt. Die Bank ING hat den Namen des Wettlaufs gekauft. 16 000 Freizeitsportler und -sportlerinnen schwitzten. Um die Massenkundschaft der ING als populäre Bank zu verkörpern.

„The number of customers is 124,000; 48.5% of our Retail customers choose ING as their primary bank.“ Wirbt ING im Jahresbericht 2022 (S. 8). Zum „Retail Banking“ zählt sie Privatpersonen „avec des avoirs en compte inférieurs à un million EUR“ (Jahresbericht 2018, S. 6).

Die ING in Amsterdam kauft gerade für 2,5 Milliarden Euro eigene Aktien auf. Um die Rendite der einzelnen Aktionäre zu erhöhen. Zum gleichen Zweck setzt der ehemalige Crédit européen in Luxemburg Zehntausende Kunden vor die Tür.

„[I]l n’y a pas de croissance durable possible dans un avenir proche pour ING au Luxembourg dans la banque de détail pour les clients particuliers“. So eine Presserklärung vom 29. Mai: An Privathaushalten ist nicht genug zu verdienen.

Die Compliance von Kundinnen ohne Vermögen kostet: der ganze Papierkram zum Kampf gegen die Geldwäsche. 2018 zahlte die ING in den Niederlanden 775 Millionen Euro Buße. Weil sie am Vermögen zwielichtiger Kunden verdiente. Statt sie zu melden.

Andere Banken sympathisieren heimlich mit ING. Sie befürworten eine Aufteilung der Bankgeschäfte. Sie hassen die Geldwäschevorschriften. Kündigungen machen die Kundschaft gefügig.

Das Grundgeschäft der Banken ist, Kundeneinlagen niedrig zu verzinsen und zu hohen Zinsen weiterzuverleihen. Bis zur euphorischen Spekulation mit faulen Hypothekendarlehen. 2008 rettete der niederländische Staat ING mit zehn Milliarden Euro vor sich selbst.

In der Schuldenkrise senkten die Zentralbanken die Zinsen. Die Zinsmargen der Banken schrumpften. Sie erhöhten ihre Gebühren und erfanden neue. Die Liste der „Extraits des tarifs des clients Particuliers – Retail Banking“ von ING ist 26 Seiten lang. Zum Standard gehören auch verzögerte Gutschriften von Überweisungen, überhöhte Kreditkartenzinsen.

Vor zwei Jahren stiegen die Zinsen wieder. Die Banken erhöhten ihre Kreditzinsen. Mit den Einlagezinsen ließen sie sich Zeit. 2022 stiegen die Zinsmargen von ING um 39 Prozent. Die Banken senkten ihre Gebühren nicht.

Für das Private Banking unterhalten Banken Stadtvillen. Dort leiten Hostessen Rentiers, reiche Erben, Unternehmer in gediegene Salons. Gleichzeitig drängen die Banken die Angestellten, Arbeiterinnen, Studenten, Rentnerinnen aus den Filialen. Sie sollen am Heimcomputer die Arbeit der Bankangestellten erledigen. Das erspart Lohnkosten. Die Schalterbanken halten sich die ungenügend bemittelte Kundschaft vom Leib. Die Kundenberatung übernehmen FAQ und Bots. ING schloss Zweigstellen in Luxemburg, Belval, Differdingen, Diekirch, Wiltz, Weiswampach und Echternach.

Billiges Kapital gibt es in Fülle. Auch andere Banken setzen wenig rentable Kunden vor die Tür. Sie machen unauffällige Einzelfälle daraus. Die Post zahlt gar keine Zinsen. Trotzdem wollte sie den Postscheckdienst loswerden. Nur die Raiffeisenkasse war an einer Zusammenarbeit interessiert. Die kleine Fortuna wollte niemand.

Das Leben in einer Steueroase hat seine Nachteile. Ein Finanzplatz widmet sich dem Großhandel mit Millionären: „dédiée à l’industrie des fonds d’investissement, aux clients institutionnels et aux entreprises“. So ING in ihrer Presseerklärung. Dem „Private Banking“, den „clients avec des besoins d’investissement à long terme“.

Ein Finanzplatz ist nicht für Kleinkrämer. Nicht für Durchschnittsverdiener mit einem Gehaltskonto, einem Konsumkredit, einem Spargroschen. Die sollen dankbar sein, wenn sie einer Bank ihr Geld bringen dürfen.

Romain Hilgert
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