Die kleine Zeitzeugin

Der große Aschenbecher

d'Lëtzebuerger Land vom 14.09.2018

Der Anblick von Raucher_innen vor dem Flughafen Luxemburg, welch ein Schock!, ist das nicht gegen die Menschenrechte? Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, auf dem sie Überlebensnotwendiges erledigen müssen, es bricht einer das Herz, schaut, Kinder, aber bitte diskret, zu so was führt so was! Dann aber rasch weiter, den angesichts hektisch an Glimmstängeln Saugenden schreckäugig erstarrten Nachwuchs weiterzerren, den Behälter samt Schoßhund eiligst aus der Gefahrenzone evakuieren, die schwer atmende Schwangere weiterschieben. Endlich, geschafft, die gute Flughafenluft! Alle tief einatmen.

Es ist schön, in einem Land gelandet zu sein, in dem die Luft immer reiner wird. Wo reiner Rauchertisch gemacht wird, wirklicher, echter, Spucknapf und Aschenbecher sind längst im Ekel-Museum. Es gibt nicht so einen faulen Kompromissschlammassel wie in anderen, in inkonsequenten Ländern, die eine Hälfte des Himmels für die einen, die andere Hälfte kommt in den Raucherwolkenhimmel. Hier ist schon seit Jahren klar: Raus! Für primitive Prolos, Oldies, die in Pubertäts-Ritualen hängen blieben, in blauen Dunst gehüllter Widerstands-Romantik huldigenden Künstlerinnen, für all jene Benebelten, die immun sind gegen die Horror Picture Show auf den Zigarettenpackungen. Und Opa kann noch Naslochrauchkringel!

Stummfilmdiven, lasziv den Rauch zwischen halb geöffneten Lippen aushauchend, Cowboys, die Kippe lässig im Mundwinkel, dazu multitasking ein Bier kippend. Verschollene Erotik, untergegangene Filme. Aus einer Zeit, in der man sich noch oral ersatzbefriedigte, als Sex noch nicht im Vorsorgeprogramm empfohlen wurde und man nicht an einer offiziell genehmigten Krankheit leiden musste, um mit staatlicher Erlaubnis sein Bewusstsein zu erheitern.

Raus! Und schon standen die Ausgestoßenen, sämtlichen Naturgewalten preisgegeben, vor der Tür, und es war wie einst im Pausenhof, die Möchtegern-Coolen rauchten einfach mit, draußen wurde es immer lustiger und drinnen schon ein bisschen still. Weil die Outsiderinnen waren die Jungen und Todesmutigen und die Alten und Abgebrühten, und ob die Flügel verbrennen, ist jetzt gerade kein Thema, es regnet in den Wein, und alle sind Rebellen. Aber kaum haben sich alle mit den Rebellinnen-Reservaten abgefunden, in denen sie sich friedfertig einfinden, ziehen sich finstere Reinheitswolken über ihnen zusammen. Unheilvolle Petitionen kursieren, die die Vertreibung friedlicher Menschen im Sinn haben, schon wieder.

Egal auf welcher Terrasse sich Raucherin also gerade mal eine gönnen will, ob vor dem kleinen Café an der großen Straße, ob in frisch besprühter Natur oder in der Nähe eines lapidar gekippten Sees, man wird sie wohl verscheuchen. Wegen den Menschen. Den geborenen und ungeborenen, und den Tieren und den Blumen in der Vase und dem Pilz zwischen den Zehen, zerknirscht wird sie davon trotten, wer will sie, wo findet sie Asyl? In welchem Altersheim, in welchem Kaputte-Künstler-Kollektiv, welcher große Aschenbecher wird sie dereinst aufnehmen?

Und in der Raucherinnenstube und Rauchersympathisantenstube am Rand der zersiedelten Gebiete werden die letzten Mohikaner_innen auf dem letzten Loch pfeifen, möglichst schön. Sie werden sich Heldensagen von Hundertsiebenjährigen erzählen, die Kette rauchten statt in Ketten zu liegen. Und sich Gesellschaften ausmalen, in denen die Menschen sich gegenseitig auszuhalten versuchen, was wirklich das Allerhöchste ist, die beste Utopie überhaupt. Wo sie nicht aus Langeweile, der Krieg im Fernsehen bringt es nicht wirklich und die Terroristen sitzen alle in der Psychiatrie, idiotische Mini-Kulturkämpfe aushecken, die mit Kindern gegen die ohne und die ohne Hund gegen die mit Hund und umgedreht. Und wer am meisten die Welt verpestet, die mit schreienden Bälgern oder die mit Zigarettengestank.

Und sie werden einen Weisen zitieren, den österreichischen Kabarettisten Josef Haderer, der die Frage, ob er Raucher sei oder Nichtraucher, mit „Beides“ beantwortete.

Michèle Thoma
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