Die kleine Zeitzeugin

Land ohne Wasser

d'Lëtzebuerger Land vom 24.08.2018

So ein liebliches Land, in Grün gekuschelt, zumindest, wenn man absieht von dem sich immer weiter zusammen ballenden Ballungsraum, all den hin geklotzten, hin geprotzten Bauklötzen. Verwinkelte Städtchen, Restaurants mit Pfiff und Charme, alles so alt, so neu, die Heimattouristin ist bezaubert. Entlang an Flüsschen und Bächlein und moosigen Gründen, aus denen Steine wachsen, die Gesichter haben. An den Flüsschen sind Zelte aufgestellt, ab und zu sieht man Menschen sich tunken. Das tun, was Menschen seit eh und je an Gewässern taten. An Hundstagen, bei Affenhitze. Sich erfrischen. Sich laben. Mit dem großen Zeh hinein, mit dem Rest dann. Wie in den Our- Tagen der Kindheit.

Vielleicht auch da rein, wie wär’s? Die Begleiter_innen winken ab, in die Sauer, skurrile Idee. Schon sind wir am Indianersee, auf dessen Grund eine Kirche kauert, Särge wie Nachen schaukelten, jedenfalls in den Kindheitslegenden. Sein Auge, sonst von beseeltem Glanz, ist matt. Die Wasseroberfläche stumpf. Keine Menschenseele weit und breit, Tierseelen auch nicht. Zwei Enten, ja doch, wachen neben den Kids. Nicht mal ein über den erloschenen Himmelsspiegel gleitendes Kanu. Dann drei Männer, sich im Wasser tummelnd, wie Kinder, Fremdlinge sicher. Sollen wir ihnen das vergällen? Aber was, wenn sie, perfide umarmt von den Blumen des Bösen, oder von ihrem Hauch getroffen, röchelnd an Land torkeln? Sie schauen uns verständnislos an.

Vielleicht ist das alles übertrieben, es treiben sich nicht mal bleiche Fischleichen herum. Aber dass ein nüchtern profitorientiertes Land in der Hochsaison eine Badewarnung am einzigen, großen Badesee ausspricht, an kleineren gleich auch, und den Tourismus zumindest hier vollkommen lahm legt, muss doch einen Grund haben? Es kann nicht nicht so schlimm sein. Bei der Bitte um Leitungswasser zu Mahl und Wein in Esch- Sauer meint der Kellner düster, eine eau bleue könne er gern bringen. Und malt gleich Wasserteufel an die Wand, in der Fels soll man gar kein Wasser trinken, gerade im Radio gehört.

Seltsam, in einem Land, das nicht großteils aus Wüste besteht, sondern aus einem verlässlichen Regenwald, ist die Wasserfrage unklar wie das Wasser selber. Nicht erst seit dem akuten Stau-Gau. Hat mir eine holländische Touristin nicht eben in Beaufort dringend von chemisch aufbereitetem Campingwasser abgeraten? Woraufhin der junge Mann im Camping-Büro vor mir sein Leitungswasser kippt, demonstrativ wie ein in Gurken beißender Politiker während der Ehec-Krise.

Wir bestellen dann mal Mineralwasser. Wie die ganze Zeit, wie schon immer, sowieso. Kein Wasser zum Wein, kein Wasser zum Kaffee. Die Herberge, in der Heimattouristin eine Woche lang logiert, verweigert Leitungswasser zu Mahl und Wein. Mit dem Stau-Gau hat das nichts zu tun. Ça ne se fait pas au Luxembourg! hörte der Hotelgast schon vor Jahren auf der Place d‘ Armes. So was scheint NoGo zu sein, Zumutung, Bettelei. Das weiß ich doch längst, warum, verwöhnt von Ländern, in denen es dieses elementare Gut noch gratis und selbstverständlich und meist ohne Aufforderung gibt, manchmal auf eigenes Risiko, inkl. Chemie und Bakterien, höre ich nicht auf mit diesem Mantra?

Wasser, ein Menschenrecht? Der Gesetzeslage nach müsste es ausgeschenkt werden, höre ich. Ja, aber man kann doch nicht immer mit Anwältin herum touren? Und bin ich der einzige Mensch mit einem so profanen Bedürfnis? Kaum jemand beschwert sich darüber, Hektoliter mit in Plastikflaschen eingesperrtem teurem Wasser heimzuschleppen. Und wer träumt kindisch, bei einem Altstadtspaziergang eben mal in den Fluss zu schlüpfen? Mein Vater, Jahrgang 1917, schwamm noch mit der Peer Group in der Alzette. Heute hat Melusina keine Chance mehr. Und wo bleibt die Badehosen-Bikinidemo, die ihr Recht auf das köstliche Nass einfordert?

Auf der Tour du Luxembourg gab es allerdings eine tröstliche Ausnahme. Nachdem ich schon resigniert, nur noch von stur-trotzigem Fundamentalismus getrieben mein Mantra herunter gebetet habe, serviert ein junger Mann mit freundlichem Bart eine Karaffe Wasser zum Eis. Das ist doch selbstverständlich, bei der Hitze! Zum Wohle „Beim Wohli“ in Echternach!

Michèle Thoma
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