Die kleine Zeitzeugin

Sommer, für alle, immer, gratis

d'Lëtzebuerger Land vom 07.09.2018

Einfach so, der gute Onkel Juncker hat gesprochen und ihn uns versprochen. Also quasi. Bleibt nur noch ganz bisschen was zu klären. Weil wir ihn wollen, bekommen wir ihn, sagt er. Und wenn schon nicht ihn, Erwachsene können auch nicht zaubern, dann wenigstens Sommerzeit.

Grandiose Geste, der Herr der Zeit dreht am Zeiger, dieses Bild taucht auf unsern Bildschirmen auf. Verkündet die Umstellung der Zeit. Aber selbstherrlich ist das gar nicht, das EU-Online-Volk hat es so entschieden. Cool, dieses EU-Online-Volk. es hat sich und uns eine neue Zeit beschieden. Also die alte. Also die alte neue. Weil es nicht mehr umstellen will, deshalb. So ist Volk, so ist Online-Volk, etwas träge. Nur nicht umstellen. Nur nicht sich umstellen. Dann doch lieber umbestellen, wenn es schon nichts kostet. Und wegen den verhaltensoriginellen Kühen natürlich und weil die Natur nicht optimal kooperiert. Die alte neue Zeit ist allerdings eine künstliche, wie manche bemängeln, und wer weiß, ob Mensch und Vieh jetzt besser mit ihrem Umfeld hormonieren. Aber die alte neue heißt Sommerzeit, und Sommerzeit ist immer Mega, bei einer Ilres-Umfrage war der Sommer der Top-Favorit, bei Wahlen gewinnt Sommer immer.

Die Nachtigallen frohlocken jedenfalls schon mal und läuten die Nachtglocken, und die Nachteulen atmen auf, denn selbst sie brauchen ein Lichtzipfelchen, der Ende Oktober brutal über sie gestülpte Nachttopf wird gelüpft, endlich. Und die erst vor wenigen Jahren offiziell zu Winterdepressiven ernannten Umnachteten atmen auf, täglich Lichttherapie, gratis auch noch! Es ist geografisch auch extrem unfair, je mehr Mensch nach Osten rückt, desto verrückter wird das ja, wird er ja – er sieht nur noch schwarz. Jetzt endlich kommt der plötzlich überraschend als guter Onkel auftretende Kommissionspräsident, endlich, alles ist erleuchtet.

Aber, schluck, Nachtaktivistin wird schwarz vor Augen beim bloßen Gedanken daran, gibt es nicht angeblich Wesen da draußen, die sich zu rabenschwarzen, zu pechvogelschwarzen Zeiten erheben, um Tätigkeiten nachzugehen, vor denen sie eigentlich davonlaufen müssten? Was wird mit und aus denen?, fragt sie sich kurz solidarisch. Die große Portion Licht, die sich die einen abends auftischen, wird den andern morgens abgezwackt, deren Morgengrauen wird zur Morgenfinsternis. Aber naja, seufz, die im Dunkeln sieht man nicht, kreative Nachtaktivistin kratzt sich solidarisch am Kopf.

Die Statistiker_innen sind ebenfalls düster drauf. Überhaupt nicht repräsentativ, sagen sie, und jede Menge nicht vertretener Gesellschaftsschichten und Degenerationen und Geschlechter fallen ihnen ein. Meckern könnten zum Beispiel jene, die das online Votum verschwitzten, weil sie im Stall gerade Mona Lisa oder Kunigunde molken. Wie viele andere beim R-Ackern. Solche mit Zwanzigstundentag, aber auch die mit Nullbocktag. Und online ist schließlich sehr groß, die meisten bestellen da zwar, aber nicht unbedingt die Zeit. So viel Zeit haben die gar nicht. Und es gibt ja nicht nur Deutsche in der EU. Angeblich gibt es 28 Länder. Drei Viertel der Votierenden sind aber aus Deutschland, warum waren die Deutschen so motiviert? Warum voteten die bulgarische Bäuerin und der dänische Dachdecker kaum? Vielleicht weil die Deutschen eben Deutsche sind, unsere geschätzten Motivator_innen, unser Motor? Und der EU-Rest stockt und stottert dann so unmotiviert vor sich hin.

Anscheinend ist diese Art von Voting also unwissenschaftlich, unseriös. Aber doch gut gemeint, muss man sagen. Muss ja nicht gleich der große Gesellschaftsentwurf sein, der zur Debatte steht. Wollt ihr ein grundloses Einkommen? Oder wenigstens ein Auskommen? Wollt ihr lieber von China oder von Saudi-Arabien gekauft werden, mit Roter-Löwe-Deko selbstverständlich? Wollt ihr euch lieber selber ausbeuten oder müssen das andere tun, müssen sich das andere antun, ihr seid, nichts für ungut, leider nicht mal mehr eine Beute?

Wenn die Leute das so wollen. Die Menschen dort abholen, wo sie sind. Und wann sie wollen. Ein bisschen Sonne. Ein bisschen Frieden. Für alle. Immer Sommer. Und ein großes Eis.

Da wird einer schon warm ums Herz.

Michèle Thoma
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