Detroit

Eine Stadt stirbt…

d'Lëtzebuerger Land vom 16.08.2013

...und ein ganzes Land schaut zu. Stichwort: Detroit. Wie kann es sein, dass eine Großstadt, die einmal zu den vier größten und reichsten Städten der USA zählte, so abstürzt? Dabei hatte alles ziemlich gut begonnen: Bereits 1701, lange vor der Unabhängigkeitserklärung gegründet, an der kanadischen Grenze, in einer verkehrs- und siedlungsgünstigen Lage, bedeutende Hafen- und Handelstadt, schon sehr früh industrialisiert, weltberühmte Autostadt, Sitz der Big Three (General Motors, Ford, Chrysler).

Detroit ist zum Teil Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Auf die Rekordwachstumszahlen gleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts – zwischen 1900 und 1930 hat sich die Bevölkerung mehr als verfünffacht; nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1 850 000 Menschen gezählt – folgte eine Rekordschrumpfung. Seit 1950 haben mehr als sechs von zehn Einwohnern das Stadtgebiet verlassen; 2012 wurden nur noch etwas mehr als 700 000 Einwohner gezählt.

Nein, nicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise ist an der Misere schuld, allerdings trifft sie eine große Mitschuld: Produktionsstandorte wurden delokalisiert oder geschlossen, Zehntausende Arbeitsplätze fielen weg. Detroit hat aber auch schon frühzeitig unter einer mangelhaften sozialen Durchmischung gelitten. Während der „goldenen Jahre” strömten viele schwarze, in der Regel wenig qualifizierte Arbeiter in die Stadt. Die besseren Stellen waren für die weiße Belegschaft reserviert. Man teilte sich nicht dieselbe Arbeit, man aß nicht in denselben Kantinen, man wohnte nicht in denselben Wohnvierteln und man zahlte nicht dieselben Steuern. Es kam zu starken sozialen und räumlichen Segregationsprozessen. Während die reicheren Schichten schon früh – insbesondere nach den großen Unruhen von 1967 – das Zentrum verließen, blieben ärmliche beuziehungsweise verarmte Gruppen zurück. Bevölkerungsmäßig stellt die Stadt nur ein Fünftel der Metropolregion dar, gleichzeitig konzentriert sie aber vier Fünftel der schwarzen und afroamerikanischen Bewohner.

Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind in Detroit doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Wird die Polizei gerufen, muss in der Regel über eine Stunde auf den Einsatz gewartet werden; anderswo dauert das nur etwa zehn Minuten. Zeitungsberichten zufolge stehen mittlerweile 80 000 Wohnungen leer. Beim Schrumpfungsprozess, wie er beispielsweise in einigen ostdeutschen Städten gang und gäbe sind, spricht man von „Perforation”: Vorhandene Siedlungsstrukturen werden durch Abriß aufgelockert und aufgewertet. Eine am 25. Juli in der Zeitung Le Monde veröffentlichte Karte zeigt die ganze Dimension des Leerstands und der desolaten stadtplanerischen Lage von Detroit: Rote Punkte stellen bereits genehmigte beziehungsweise durchgeführte Abrissaktionen dar; die ganze Stadt scheint unter einer dramatischen Maserninfektion zu leiden.

Das Beispiel Detroit zeigt, dass es ziemlich dicke kommen kann, wenn fehlerhafte Stadtplanung, wirtschaftliche Probleme und politische Versäumnisse aufeinandertreffen. Vermeintliche Stärken können, wenn sie nicht auf einer gesunden, breiten Basis ruhen, zu strukturellen Schwächen verkommen. Monolithismus kann zwar zu kurzfristigem Reichtum führen, längerfristig sind Absturz und Verarmung allerdings nicht auszuschließen. In Detroit soll wohl auch ein Exempel statuiert werden; die nationale Politik hält sich bis jetzt aus dem Gröbsten heraus. Ein armes Land, das eine ganze Stadt und seine Einwohner gleich mit krepieren lässt.

Claude Gengler
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