Bürgergesellschaft

Ich diskutiere, also bin ich

d'Lëtzebuerger Land vom 02.08.2013

Luxemburg geht es nicht mehr ganz so gut. Die Fassade ist am Bröckeln. Skandale – sowohl älteren als auch jüngeren Ursprungs – haben in den vergangenen Wochen und Monaten ganze Zeitungsseiten gefüllt, frei nach dem „Scandal sells”-Prinzip. Unsere vielgerühmte politische Stabilität ist ziemlich instabil geworden. Neue Ideen sind gefragt, aber wo sollen sie herkommen? Von der Regierung? Ich bitte Sie! Von der Abgeordnetenkammer? Na geh! Vom Wirtschafts- und Sozialrat? Den gibt’s auch noch? Von der Uni Luxemburg? Die ist doch schon am Packen.

Womit wir bei der so genannten Bürgergesellschaft und ihren – neuerdings – zahlreichen Denkfabriken, Initiativen, Konferenzzyklen und Zukunftswerkstätten angekommen wären. 5 fir 12, Luxembourg 2030, Allianz2013.lu undsoweiter. Man trifft sich, nicht nur im Internet, um zu diskutieren, um über notwendige, beziehungsweise überfällige Strukturreformen zu reden, um neue Wachstumsnischen ausfindig zu machen. Nach „Gesundschrumpfungsnischen“ wird allerdings noch immer nicht gesucht.

Wer redet bei diesen Gesprächsrunden eigentlich mit wem? Sind es nicht immer wieder dieselben Gesichter, die man vorgesetzt bekommt? Sind eigentlich auch normale Bürgerinnen und Bürger dabei? Ich denke jetzt nicht an die Zuschauer, sondern an die Diskutanten, die „forces vives”. Die Handelskammer ist ziemlich oft dabei, sei es direkt oder indirekt, dann der Verband der Unternehmen, manchmal auch die Industriellenföderation. Geht es um den Handel, stößt man auf die Handelskonföderation und den städtischen Geschäftsverband. Auch Gewerkschafter zeigen sich, manchmal auch Abgeordnete und natürlich Minister, viele Minister.

In den seltensten Fällen kommt bei diesen Elefantenrunden etwas Neues heraus. Oft hört man abgedroschene Phrasen wie: „Die Krise ist jetzt definitiv in Luxemburg angekommen“, „Sie ist noch nicht vorbei“, oder: „Nichts wird mehr sein, wie es war.“ Da denkt man unweigerlich an den schönen Satz: Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Jeder Teilnehmer verteidigt seine Po-sition, wobei: Richtig verteidigen muss man sie eigentlich nicht, meistens genügt es, sie einfach nochmal kundzutun.

Ein gutes Beispiel war die Veranstaltung vom 21. Juni in der Rockhal zum Thema „Das luxemburgische Sozialmodell von morgen“. Hört sich gut an, oder? Die Zusammensetzung der Runde war hochklassig: Drei Minister (Juncker, Schmit, Delvaux-Stehres), ein Gewerkschafter (Dury), ein Schwergewicht aus der Unter-nehmerszene (Wurth), ein Medien- und Kirchenmann (Gillen). Hochkarätiger geht‘s nicht, zumindest nicht in Luxemburg. Das schrieben dann auch die Zeitungen. Was aber ist zu halten von Sätzen wie: „Die Teilnehmer waren sich einig über den Fortbestand des Sozialmodells“? Irgendwie hört sich das wie Beamtenmikado an: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Vereinzelt gab es Kritik, wenn auch versteckt: „Über die Form kam man (...) nicht weiter“, „Eine klare Antwort wurde (...) nicht gefunden“ und „Die Schlussworte (...) waren eher verhalten“, hieß es am 22. Juni im Tageblatt. Sogar das Luxemburger Wort fand, dass der Veranstalter LCGB seine Erwartungen wohl dann doch etwas zu hoch geschraubt hatte. Woran es lag? Wahrscheinlich waren einfach zu viele Regierungsvertreter anwesend, sie stellten immerhin 50 Prozent der Runde. Künftig sollte vielleicht der Grundsatz gelten „So viele Minister wie nötig, so wenig wie möglich“, und dafür etwas mehr neue, andere Gesichter einladen.

Claude Gengler
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