Die Belgier sind gute Nachbarn. Wir mögen einander, auch wenn in Luxemburg nach wie vor Belgier-Witze erzählt werden. Einer geht so: „Woran denkt ein Belgier, wenn er spazieren geht und etwa fünf Meter vor sich eine Bananenschale auf dem Bürgersteig liegen sieht?“ Die Antwort lautet: „Oh je, jetzt wird es mich wieder hinhauen!“ Ob der gute Mann (es kann sich hier nur um einen Mann handeln, oder?) am Ende wirklich auf die Nase fällt, sagt der Witz nicht.
Der Luxemburger Regierung passieren in letzter Zeit ähnliche Missgeschicke. Im Gegensatz zu unserem Witz kennen wir dabei den Ausgang, und der ist schlecht. Bei uns könnte sich das folgendermaßen anhören: Die Regierung wusste zwar, dass sie vom Prinzip her mit dem so genannten Studienbeihilfengesetz vom Juli 2010 völlig daneben lag – da war nicht nur eine Bananenschale auf dem Gehweg, sondern gleich eine ganze LKW-Ladung davon –, und trotzdem war das Gesetz in Rekordzeit durch sämtliche Instanzen gejagt, gestimmt und umgesetzt worden.
Die neue Regelung schloss Nichtansässige, also Grenzgänger, de jure aus. Sie sah vor, dass in Luxemburg wohnende Studenten bis zu 13 000 Euro Stipendien und Darlehen und dazu noch einmal bis zu 3 700 Euro für Studiengebühren beantragen konnten. Maximal demnach 16 700 Euro pro Kopf und Jahr, das entspricht immerhin fast dem Jahresgehalt eines unqualifizierten Arbeiters in Frankreich. Das Ganze war natürlich nicht an soziale und familiäre Bedingungen geknüpft – die Gießkanne lässt grüßen.
Sofort nach der Verabschiedung dieses einschneidenden Gesetzestextes war der Unmut (nicht nur) in Grenzgänger- und Gewerkschaftskreisen groß, auch wenn hinter dem einen oder anderen Biertisch wahrscheinlich die irrige Meinung herrschte, da wäre doch nichts dabei. Von wegen Diskriminierung von Grenzgängerfamilien, wo kämen wir denn da hin? Die Regierung, frohgemut und selbstgefällig, allen voran der Hochschulminister, spendete sich derweil selbst Beifall. In der Presse war zu lesen, dass im akademischen Jahr
2011/2012 insgesamt 14 382 Studienbeihilfen bewilligt wurden, noch einmal acht Prozent mehr als im Vorjahr (13 324 Beihilfen) und sage und schreibe 68 Prozent (!) mehr als 2009/2010 (8 562 Beihilfen), also vor der Gesetzesänderung.
Offiziell war die Entscheidung nicht aus einem Sparzwang heraus gefällt worden, sondern weil man der Studienbereitschaft hierzulande auf die Sprünge helfen wollte. So etwas geht ja bekanntlich am besten mit Geld, zumindest in Luxemburg. Der Umstand, dass die Grenzgänger, die für ungefähr die Hälfte unseres Bruttoinlandsprodukts gerade stehen, das ganze Fördersystem ja mitfinanzieren, wurde völlig außer Acht gelassen. Genauso wie die Tatsache, dass es kaum eine Volks-wirtschaft gibt, die so stark abhängig von Ihren Nachbarn ist wie die unsere, einmal abgesehen davon, dass sich das so „europäische“ Luxemburg weder eine Neiddebatte noch eine Schwächung seiner Standortqualitäten beziehungsweise eine (weitere) negative Imagekampagne leisten kann.
Jetzt haben wir den Salat: Am 20. Juni stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass die Regierung mit diesem Gesetz weit über das Ziel hinausgeschossen ist, dass eindeutig eine Diskriminierung der Grenzgänger vorliegt und dass Wiedergutmachung zu leisten ist. Ein guter Tag für die Grenzgänger, für die Großregion und für Europa. Ein guter Tag auch für Luxemburg, auch wenn nicht jeder das so sieht. Um mit Michel Wolter zu fragen: „In welcher Welt leben wir eigentlich?“