Die obersichtige Kamerafahrt über die lichtdurchfluteten Straßen Mailands bei Nacht, dazu die Elektromusik, die die Kameraarbeit untermalt, reichen vollends, um mit wenigen Mitteln die Ästhetik des Neo-Noir-Thrillers zu evozieren, die für L‘ultima notte di Amore prägend sein wird. Für den Noir-Film spricht allein schon die etwas komplexe und auf Verwirrung zielende Erzählung: Ausgerechnet am Tag seiner Pensionierung wird der Polizeileutnant Franco Amore (Pierfrancesco Favino) zu einem Tatort gerufen, an dem sein bester Freund und langjähriger Partner Dino (Francesco Di Leva) bei einem Schusswechsel getötet wurde. Doch die Umstände seines Todes lassen Fragen offen, die auch Franco selbst in den Mittelpunkt rücken.
Der italienische Regisseur Andrea Di Stefano hat mit L‘ultima notte di Amore einen sehr atmosphärisch düsteren und existenzialphilosophischen Thriller geschaffen: Unerwartete Wendungen strukturieren den Film auf besondere Weise, Pierfrancesco Favino spielt wie auch in Marco Bellochios Il traditore einen ganz zwielichtigen Protagonisten, der zwischen die Fronten gerät. Da wie hier wird ein Geflecht von Loyalitätskonflikten, Machtstrukturen und Werteverlusten in einer Gesellschaft ansichtig, in der Festnahme oder Flucht in letzter Konsequenz wie ein Akt der Befreiung wirken. Schon seine aufwendige Titelsequenz, die mit einer ausschweifenden Kamerafahrt über die glitzernde Stadt schwebt, lässt erahnen, wohin seine Geschichte führen wird: Es sind Bilder der Verführung, die ganz den Glanz reiner Oberflächenstrukturen zelebrieren – ja, denen man verfallen will.
So auch Franco Amore, der einem Juwelenraub für die chinesische Mafia nicht widerstehen kann; er scheint da zunächst als der rechtschaffene Carabinieri, danach als der zwielichtige Korrupte, in allen Fällen ist er aber der unerbittliche Individualist, den Favino mit mal harter und mal zarterer Miene gibt. Er ist ein Mann, der sich nicht korrumpieren lassen will, dem die jetzigen Lebensumstände – die Hinweise auf sein prekäres Gehalt sind mit Bedacht gesetzt – indes nicht genügen. Geld sei der Teufel in Person, heißt es an einer Stelle und L‘ultima notte zeigt die zerstörerische Macht, die dem Kapital innewohnt, das Habsucht und Verderben auch bei so pflichtbewussten Ordnungshütern hervorruft. Auf der Kehrseite aber auch den Preis nicht auslässt, den er zahlen muss. Das fatalistische Moment des Noir-Films liegt da bereits in der narrativen Struktur der Handlung, in der Präsentation der Ereignisse: Schon zu Beginn scheint alles verloren, der Tatort steht fest, der Polizeikollege und engste Freund ist nicht mehr. Von da aus unternimmt Di Stefano eine ausschweifende Rückblende, die nach und nach die Umstände dieses Mordes aufdeckt. Dass sich die Fronten für Franco verwischen, resultiert letztendlich aus seiner Selbstverschuldung. Dass das gesellschaftliche, ausgelassene Feiern der Pensionierung im Privatraum aufgegeben wird für einen Transitraum, der Übergang und Fluchtbewegung suggeriert, steht hier symptomatisch für die Doppelexistenz, in der sich Franco selbst verfangen hat, denn der zentrale Schauplatz des Filmes ist nicht umsonst ein Straßentunnel: ein reiner Nicht-Ort, ein Transitraum, man durchquert ihn, bleibt indes nie dauerhaft. Das ist bezeichnend für die inneren Ängste und Sorgen dieses Mannes, der sich in einem permanenten Zustand der Schwelle, des Übertritts befindet. Für eine Bewegung zurück ins alte Leben ist kein Handlungsspielraum mehr gegeben, die Richtung nach vorne ist ungewiss. Franco Amore ist gefangen in diesem Zwischendasein, dem Wendepunkt seines Lebens. Regisseur Andrea Di Stefano schildert das Geschehen aus der Distanz, weder verurteilt er den Helden seines Filmes, noch strebt er eine Entschuldigungs-Narration an. Er beobachtet ihn vielmehr als Menschen in einer Extremsituation. Das offene Ende steht da umso mehr als Aufforderung an das Publikum, sich selbst zu positionieren.