Das Resultat der Gemeindewahlen spiegelt weniger eine Zersplitterung der Parteienlandschaft als eine Schwächung der politischen Linken zugunsten des bürgerlichen Lagers wider

Die Spreu vom Weizen

Premierminister Xavier Bettel am Sonntag bei der Stater DP
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 16.06.2023

Schwarz-grün „Rechtsrutsch“ oder „Rechtsruck“ titelten die Zeitungen nach den Gemeindewahlen von 2017, als bei den Stimmenanteilen die CSV mit 30,4 Prozent die LSAP mit 24 Prozent als stärkste Partei in den Gemeinden überholte. Während die CSV von 168 auf 209 Mandate zulegte, fiel die LSAP von 167 auf 155. Weil die CSV am Sonntag 16 Sitze und 4,4 Prozent verlor, während die Sitzanzahl der LSAP trotz einem Minus von 2,7 Prozent unverändert blieb, nähern sich beide Parteien wieder etwas an, doch die CSV bleibt in den Gemeinden stärkste Partei.

Vor sechs Jahren interpretierten fast sämtliche Kommentator/innen den Zugewinn der CSV bei den Kommunalwahlen als Indiz dafür, dass Claude Wiseler ein Jahr später Luxemburgs neuer Premierminister werden würde. Die Umfragewerte bestätigten sie darin. Drei Monate nach den Gemeindewahlen näherten die Christsozialen sich bei der Sonndesfro mit 27 Mandaten der absoluten Mehrheit im Parlament, während TNS-Ilres (im Auftrag von Wort und RTL) LSAP und DP Verluste von jeweils drei Sitzen vorhersagte. ADR und Linke sollten laut Prognosen jeweils einen Sitz gewinnen und auf vier beziehungsweise drei Mandate kommen. Die Piraten standen den Befragten damals noch nicht zur Auswahl. Die Grünen blieben in Umfragen bei sechs Sitzen stabil und wurden vom Wort schon als nächster Koalitionspartner der CSV gefeiert. Bei einer weiteren Umfrage sechs Monate später ging ein Drittel der Befragten davon aus, dass die nächste Koalition nach den Parlamentswahlen von 2018 von CSV und Grünen gebildet werde.

Diese Tendenz wurde auch durch die Gemeindewahlen von 2017 beeinflusst. Damals hatten die Grünen mit 16,3 Prozent ihr bisher bestes Resultat bei Kommunalwahlen erzielt und der CSV insbesondere im Süden dabei geholfen, die LSAP aus der Verantwortung zu drängen: In Esch/Alzette (mit der DP), Differdingen und Schifflingen, aber auch in Walferdingen. In Käerjeng, Bettemburg (mit der DP) und Grevenmacher hatten sich schon vor 2017 schwarz-grüne Koalitionen gebildet, die weitergeführt wurden. Vor allem in der einstigen Arbeiterstadt Esch hatte die Zusammenarbeit für Zerwürfnisse gesorgt. Der langjährige Abgeordnete und Schöffe Muck Huss verließ die Grünen; mutmaßlich war Felix Braz der Drahtzieher hinter den Koalitionen mit der CSV, er wollte das Feld für die Nationalwahlen bestellen. Aufgegangen ist seine Rechnung bekanntlich nicht, denn obwohl die Grünen 2018 fünf Prozent und drei Mandate hinzugewannen, reichte es nicht für ein Bündnis mit der CSV, die zwei Sitze verlor.

Fünf Jahre später sind die Grünen und die CSV die Verlierer. Die einen mussten am Sonntag 13, die anderen sogar 16 Mandate an andere Parteien abgeben, doch weil die CSV viel mehr Sitze hat, sind die Verluste für sie weniger schmerzhaft. Die Grünen verloren alleine im Süden elf Mandate, vier davon in Differdingen, wo sie künftig nicht mehr Teil der Mehrheit sein werden, genau wie in Käerjeng, Kayl (seit 2021) und Schifflingen. Umso wichtiger war es für sie, die Dreierkoalition mit CSV und DP in Esch zu retten, wo ihr Co-Parteipräsident Meris Sehovic sich als zukünftiger Schöffe für die Kammerwahlen empfehlen kann. Dass er im Oktober mit Umweltministerin Joëlle Welfring als Co-Spitzenkandidat im Südbezirk antreten wird, stand bereits vor den Gemeindewahlen fest. Gemeinsam sollen sie das Vakuum füllen, das Felix Braz und Roberto Traversini hinterlassen haben. Wegen der Verluste haben die Grünen es am Sonntag jedoch nicht geschafft, andere Hoffnungsträger/innen im Südbezirk zu positionieren. In Differdingen wurde zwar neben Laura Pregno und Paulo Aguiar auch dessen Co-Spitzenkandidatin Manon Schütz gewählt, in Bettemburg schaffte es Nicolas Hirsch erstmals in den Gemeinderat, in Sanem Serge Faber und in Düdelingen Yves Steffen, doch keine/r von ihnen wird Mitglied eines Schöffenrats sein.

Macht Während die Grünen nach den Hochs von 2011, 2017 (und 2018) wieder auf das Niveau von 2005 zurückgefallen sind, bleibt die CSV in den Gemeinden stärkste Kraft. Trotz ihrer Verluste ist es ihr gelungen, strategisch wichtige Koalitionen mit der DP oder der LSAP zu schmieden. In 13 der 14 größten Gemeinden kommt oder bleibt sie (voraussichtlich) im Schöffenrat: In der Stadt Luxemburg, Hesperingen und Mersch mit der DP, in Esch/Alzette und Bettemburg mit DP und Grünen, in Differdingen, Petingen, Sanem, Schifflingen, Kayl und Käerjeng mit der LSAP, in Strassen mit LSAP und Grünen. In acht dieser Gemeinden stellt sie den Bürgermeister (in Schifflingen wird das Amt gesplittet), zusätzlich in den Speckgürtel-Gemeinden Mamer und Niederanven. Insbesondere im Norden konnte die CSV ihre Vormachtstellung ausbauen: In Ettelbrück bleibt sie trotz Verlusten als Juniorpartner der LSAP in der Mehrheit, in Wiltz und Diekirch will sie mit der DP die Alleinherrschaft der LSAP beenden. Im Osten bleibt sie trotz Verlusten in Grevenmacher, Junglinster und Remich mit an der Macht. Dennoch konnte auch die CSV nur wenige neue Kandidat/innen bei den Gemeindewahlen aufbauen – zumindest was die Bürgermeister/innen und Schöff/innen angeht.

Ähnlich ergeht es der LSAP, die dort, wo sie die Verantwortung behält oder zurück an die Macht kommt, vor allem auf bewährtes Personal zurückgreifen muss. Ausnahmen sind Thierry Wagner in Differdingen, Elvedin Muhovic und Jimmy Skenderovic in Rümelingen, Rizo Agovic in Schifflingen und Christian Steffen in Ettelbrück, die wohl Schöffen werden, genau wie Bettina Ballmann und Angelo Lourenco Martins in Roeser.

Beim Wahlgewinner DP ist es nicht anders. Zwar hat sie insgesamt 26 Sitze hinzugewonnen, doch außer der Abgeordneten Carole Hartmann in Echternach, Ben Ries in Junglinster sowie Serge Eicher und Andrew Kiser in Schüttringen konnte sich kaum ein neuer Bürgermeister oder Schöffe hervortun.

Lassen sich daraus Tendenzen für die Kammerwahlen im Oktober ablesen? Auf den ersten Blick schon. Wenn die Grünen insgesamt auf dem absteigenden Ast sind, wird eine Fortsetzung der Dreierkoalition mit DP und LSAP immer unwahrscheinlicher. Stattdessen könnte die CSV ihre Rückkehr in die Regierung feiern. Ihr Spitzenkandidat Luc Frieden hat ihr bei den letzten Umfragen leichte Zugewinne beschert. Zwar hat sie mit 17 Sitzen noch immer weitaus weniger als nach den Nationalwahlen von 2018 (21), doch bei den Stimmenanteilen liegt sie nur knapp zwei Prozent unter dem Resultat von damals. Für eine Zweierkoalition mit der LSAP oder der DP würde es – noch – nicht reichen.

Bis Oktober kann sich das noch ändern. Ihre Präsenz in den Schöffenräten der großen Gemeinden könnte der CSV auch auf nationaler Ebene zusätzliche Sichtbarkeit und Aufschwung verleihen. Für die LSAP gilt das in geringerem Maße. Sie verteidigte zwar die absolute Mehrheit in Düdelingen und Mertert und errang sie in den kleineren Gemeinden Rümelingen und Roeser; auch in Differdingen, Ettelbrück und Schifflingen (ab 2026) stellt sie wieder den Bürgermeister und kehrt in Käerjeng zurück in die Mehrheit; in Sanem bleibt sie an der Macht. Doch in den strategisch wichtigen Städten Luxemburg und Esch/Alzette ist die LSAP wieder nur in der Opposition. Die DP kann insbesondere in der Hauptstadt, im Speckgürtel und in ihren Hochburgen Mersch, Mondorf und Remich punkten und ist nun auch in Echternach, Sandweiler und Junglinster stärkste Partei. Die Grünen sind nirgends stärkste Partei, nicht einmal mehr in Differdingen.

Jugend Die DP hat die Gemeindewahlen vor allem deshalb gewonnen, weil sie ihre Bedeutung für die Nationalwahlen erkannt hat. Außer den Piraten, die in mehreren Gemeinden riesige Plakate ihrer Abgeordneten aufhängten, hat keine Partei die zeitliche Nähe zwischen den beiden Terminen besser genutzt als die DP. Ihr „Premier no bei dir“ tingelte durch die Wahlbezirke, um Verbindungen zwischen kommunaler und nationaler Politik herzustellen. Kein anderer nationaler Spitzenkandidat hat sich in dem Maße im Kommunalwahlkampf engagiert. Die DP hatte nicht nur die meisten Listen, sondern sie hat auch den wegen Bettels Popularität gestiegenen Zulauf genutzt, um eine Armada an jungen Kandidat/innen aufzustellen, die bei den Gemeindewahlen im Wettbewerb für eine Teilnahme an den Kammerwahlen gegeneinander angetreten sind. Am Sonntag hat sich die „Spreu vom Weizen“ getrennt. In Esch/Alzette verpasste die Jungliberale Amela Skenderovic den Einzug in den Gemeinderat nur sehr knapp, während JDL-Präsident Michael Agostini mit Platz sechs ein – an seinen Ansprüchen gemessen – enttäuschendes Resultat erzielte. In Leudelingen holte JDL-Vizepräsident Lou Linster die meisten Stimmen, Nathalie Entringer wurde Vierte. Hugo Da Costa zieht in Betzdorf in den Gemeinderat ein, Michel Goethals mit etwas Glück in Feulen. In der Hauptstadt schaffte keiner der dynamischen Jungliberalen Nicolas Wurth, Loris Meyer, Pitt Sietzen, Joe Polfer, Luis Oliveira Duraes, Joel Rodrigues Lavinas oder Daniel Ruiz Viejobueno den Sprung in den Gemeinderat. Tom Strauch wurde in Kopstal Letzter. Einen Achtungserfolg erzielte Jeffrey Drui in Schifflingen. In Petingen gelang es der DP mit der nicht mehr ganz so jungen Barbara Agostino einen zweiten Sitz zu holen. Beiden dürfte ein Platz auf der Südliste im Oktober sicher sein.

Wie die DP vom Bettel-, profitierte die LSAP vom Paulette-Lenert-Effekt: In Esch/Alzette wurden Liz Braz, Enesa Agovic und Sascha Pulli; in Bettemburg Izabela Golinska; in Dippach Ken de Sousa; in Kayl Brian Halsdorf; in Käerjeng Jil Feipel und in Habscht Luca Colling in den Gemeinderat gewählt. Aldin Avdic hätte es in Esch fast geschafft, genau wie Catia Perreira und Caroline Huberty in Differdingen, Tim Holbach in Schifflingen und Diogo Costa in Düdelingen. Enttäuschend verliefen die Wahlen für die früheren JSL-Präsidenten Amir Vesali in Wiltz und Georges Sold in Esch, Benjamin Kinn in Sanem, Gledis Kryeziu in Düdelingen sowie Veronica Matos und Jana Weydert in Diekirch.

Kandidat/innen aus ihrer Jugendorganisation hatte auch die CSV bei den Gemeindewahlen aufgestellt. Vincent Reding bleibt Bürgermeister in Weiler-la-Tour, Myriam Binck wird Bürgermeisterin in Rambruch, Alex Donnersbach wird Schöffe in Walferdingen. Direkt in den Gemeinderat gewählt wurden etwa Joy Weyrich in Esch, Anne Steichen in Grosbous, Bob Morbach in Steinsel, Pit Zahlen in Hesperingen, Christophe Anthon in Bettemburg, Jimmy Carelli in Habscht, Christophe Heymes in Rambruch, Tom Kerschenmeyer in Mamer, Vincent Koks und Tom Peiffer in Ettelbrück sowie Ricardo Marques und Tania Rocha in Echternach. Nur knapp scheiterten Sarah Moreira in Esch, Marc Ury in Grevenmacher und Lynn Zovilé in Betzdorf, während Basile Dell (Stadt Luxemburg) und Gabriel Jordanov (Schifflingen) sich bestimmt mehr Stimmen erwartet haben.

Bei den Jonk Gréng fehlten den Co-Sprecher/innen Fabricio Costa (Luxemburg) und Amy Winandy (Junglinster) jeweils etwas mehr als 300 Stimmen, um in den Gemeinderat einzuziehen. Denis Barthelmy in Düdelingen ebenfalls. Fast geschafft hätten es auch Lea Vogel und Moritz Schaaf in Mamer und Amra Sabotic in Esch. Georges Biever wurde in der Majorzgemeinde Goesdorf gewählt, während Kris Hansen in Bous, Fränk Prim und Bob Kieffer in Käerjeng, Lynn Faber und Yann Wintersdorf in Sanem und Maxime Pantaleoni in Differdingen im Mittelfeld landeten, genau wie Celia Seil und Iness Chakir in Düdelingen. Dass bei den Grünen in diesem Jahr weniger junge Kandidat/innen gewählt wurden, liegt neben der geringeren Sitzanzahl wohl vor allem daran, dass die Partei in den vergangenen Jahren schon eine interne Erneuerung durchgeführt hat. Die Co-Sprecher/innen Djuna Bernard und Meris Sehovic, die bei ihrer ersten Kandidatur bei Gemeindewahlen gleich Erstgewählte in Mamer und Esch wurden, gelten schon als alte Hasen, obwohl sie erst 30 Jahre alt sind. Gleiches gilt für die Abgeordnete und Schöffin Jessie Thill in Walferdingen. Der Unterschied zwischen den drei: Während die Grünen in Walferdingen 2,8 Prozent gewannen, verloren sie in Esch 4,4, in Mamer sogar 7,2 Prozent.

Volkspartei(en) Die Gründe für die Verluste der Grünen in den vergangenen Monaten mögen vielfältig sein. Vielleicht spielen tatsächlich der Skandal um Roberto Traversini, der auch Carole Dieschbourg ihr Ministeramt gekostet hat, oder menschliche Schicksale wie die von Camille Gira und Felix Braz eine große Rolle. Vielleicht auch die schlechten Umfragewerte der deutschen Schwesterpartei, die sich gegenüber ihren Koalitionspartnern SPD und FDP zu selten durchsetzen kann. Vielleicht haben Déi Gréng aber auch nur zu früh den Anspruch erhoben, eine „ökoliberale Volkspartei“ zu sein, die alle Themen besetzt, sämtliche Wählerschichten anspricht und den Machterhalt ins Zentrum ihrer Bemühungen stellt. Vielleicht sollten sie sich vor dem Hintergrund von Dürre, Hitze, Artensterben und hoher Umweltbelastung im anstehenden Wahlkampf wieder stärker auf ihre Kernthemen besinnen. Und vielleicht sollten sie nicht versuchen, um jeden Preis Koalitionen einzugehen mit politischen Gegnern, die sie als Verbotspartei bezeichnen und ihnen bei jeder Gelegenheit vorwerfen, aus rein „ideologischen“ Motiven heraus zu handeln, nur um sie bei ihrer eigenen Wahlklientel zu diskreditieren.

Doch die Grünen sind dabei, genau die Fehler zu wiederholen, die sie in die aktuelle Situation gebracht haben – zumindest dort, wo eine Koalition rechnerisch überhaupt noch möglich ist. Auf Felix Braz können sie die Schuld nun nicht mehr schieben. In Esch/Alzette und Bettemburg setzen Meris Sehovic und Fraktionspräsidentin Josée Lorsché das Bündnis mit CSV und DP fort, weil sie sich davon erhoffen, im Oktober (wieder) in die Kammer gewählt zu werden. In Walferdingen und in Niederanven koalieren sie aus den gleichen Gründen (erneut) mit der CSV und in Strassen mit CSV und LSAP. Von den Bündnissen profitieren vor allem ihre Koalitionspartner, die dadurch klima- und umweltpolitische Glaubwürdigkeit gewinnen, während die Grünen ihre verlieren.

In Umfragen erreichten die Grünen ihr Wahlresultat von 15 Prozent zum letzten Mal im November 2019. Inzwischen liegen sie nur noch zweieinhalb Prozent und zwei Sitze vor den Piraten, die genau wie die Grünen mit fast allen können (wollen), obwohl keine der großen Parteien Marc Goergen als Partner haben will (S. 12). Weil die politisch beliebigen Piraten überall, wo sie angetreten sind, gewonnen haben, reden politische Beobachter von einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Tatsächlich haben der Erfolg der Piraten und das Selbstverständnis der Grünen als „ökoliberale Volkspartei“ zu einer Schwächung der gesamten politischen Linken zugunsten des bürgerlichen und rechten bis rechtsradikalen Lagers geführt. Während die LSAP am Sonntag stagnierte und Déi Lénk Mandate in ihren drei „Hochburgen“ Luxemburg, Esch und Sanem verlor, hat die DP die meisten Sitze hinzugewonnen (26). Die CSV hat zwar prozentual leicht verloren, im Gegensatz zur LSAP ihre Macht in den beiden größten Gemeinden jedoch konsolidiert. Und die ADR konnte die Anzahl ihrer Mandate mehr als verdoppeln. Wie Déi Lénk hat sie nun in sechs der zehn größten Gemeinden einen Sitz.

Luc Laboulle
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