Die kleine Zeitzeugin

Auferstehungswitze

d'Lëtzebuerger Land vom 05.04.2024

Irgendwann wurde mir fad. Mit den Witzen. Mit unseren Witzen. Noch beim Selber-Mitwitzeln wurde mir fad. Es stand so gar nichts auf dem Spiel. Wir hatten ja gewonnen, haben ja gewonnen. Schon seit langem.

„Der Himmel ist leer“, titelte Der Spiegel Ostern 2019, selbst immer mehr Geistliche würden einem leeren Himmel ins Auge sehen. Von der Erdoberfläche haben wir Gott zwar nicht verbannt, solche sind wir ja nicht, wir haben ihm seine Reservate zugewiesen. Da kann er, Er wie es früher hieß, jetzt sein Wesen treiben, zahnlos, entmannt, ein Patriarch, den nur noch Komische ernst nehmen, da sind wir Westwertemenschen gnädig. In den Sado-Maso-Abteilungen des Katholizismus oder in den nüchternen Kammern des Protestantismus dürfen die letzten Mohikaner/innen eines aussterbenden Kults ihren Neigungen nachgehen, tut ja niemand mehr weh.

Unsere Kinder und Enkelkinder sind nicht mehr Gottes Kinder, sie sind freie Menschen in einer freien Welt, die von ihnen, die Kunstgeschichte studieren mögen die Schätze in den Domen und Kathedralen deuten, Bedeutungen konstruieren, die Botschaften werden ihnen fremd sein. Oder schnuppe. Das ist Kulturgut, das sind Abendland-Attrappen, die Kulisse die die psychische Krankheit der Eltern illustriert. Sie können das konsumieren oder sich auch daran delektieren, ein exotisches Menu, eine extra schräge Message, was ganz Irres, lol.

Während wir. Gebrannte Kinder. Kinder aus der Hölle. Stellt euch vor, Nägel durchbohren eure Hände! beschwor der Belairer Pfarrer 1960 die Neunjährigen, sie lernten das Wort Stigmata, Wundmale. Solche konnten auch Heilige vorweisen, die hatten sich das besonders gut vorgestellt, der Pfarrer schloss die Augen genüsslich bei der Vorstellung. Das Gruselkabinett des katholischen Unterrichts bewog den Großteil einer Generation, den Nachkommen diesen Horrortrip zu ersparen.

Aber wir, die vom Kreuz gezeichneten Kinder, können es immer noch nicht lassen. Wir kommen einfach nicht runter, vom Kreuz. Wir müssen unsere therapeutisch wertvollen Witze machen. Denn wer ist gottbesessener als die Atheist/innen? Als Anti-Theist/innen eher, A-Theist/innen müssten sich ihrer Freiheit nicht so pubertär vergewissern. Und welche Witze sind billiger? Denn wir leben nicht mehr in einem Gottesstaat, die Kirchen sind großteils geschlossen und Gottesmann nur noch www erreichbar.

Ben Hur verschwindet so langsam aus den Hauptabendprogrammen der Osterzeit, Die Zehn Gebote, all die wollüstigen Kreuzigungsmelodramen, schon die Fünfzigjährigen können damit kaum noch was anfangen, wer war der Typ? Die Freiheit hat gewonnen. Wie wir sie ertragen, beschäftigt jetzt Psychiater/innen, Philosoph/innen, Soziolog/innen, Drogendealer/innen, die Angebote im Kapitalismus sind vielfältig, der Himmel ist käuflich.

Du hängst da so, du hängst da auch so rum, so habe sich der deutsche Schauspieler Ben Becker, eher berüchtigt für sein Raubein-Image, beinahe kumpelhaft Jesus auf dem Kreuz angenähert, wie er in einer Talk-Show erzählt. Die menschliche Botschaft des Kreuzes, für die wir in ausweglos erscheinenden Momenten anfällig sind, plötzlich ist sie so klar, so groß, so tröstlich. Diese vollkommen unzeitgemäße Botschaft des Leidens und Mit-Leidens, mitten im Junijubel des Lebens mutet der Verrenkte auf dem Kreuz wie eine Zumutung an, als obszöne Beleidigung des Lebens. In düsteren Zeiten sind aber sogar jene empfänglich, die sonst im Kreuz weiter nichts als die perverse Deko einer perversen Religion sehen.

Vielleicht ist das die Doch-Sehnsucht. Die dann doch aufflackert. Wenn man hineinschaut in die erloschenen Feiertagsgesichter, z.B. in den Strom der ums Überleben Kämpfenden. All diese Entmutigten, Erschöpften, total Fertigen. Es sind keine Kriegsflüchtlinge. Sie haben Hunderte und Tausende Kilometer zurückgelegt, um sich hinter einem hingeknallten überteuerten Eis auf einem von Menschenmassen belagerten Platz in einer europäischen Kulturmetropole wieder zu finden. Um in einen Dom hinein zu laufen wie eine Herde Schafe, nicht einem Hirten hinterher, nur einem gezückten Smartphone.

Michèle Thoma
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