Libyen und die Türkei

Fragwürdiger diplomatischer Erfolg

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2020

Auf der Libyen-Konferenzin Berlin sprach der UN-Sonderbeauftragte für Libyen Ghassan Salamé am Ende von einem „großartigen Tag“. Auch Journalisten konnten ihre Aufregung kaum verbergen. „Dass dort tatsächlich fast alle relevanten Staats- und Regierungschefs am Tisch saßen, zudem die Spitzen von Uno und EU sowie die Kriegsparteien Libyens, war schon mal ein Erfolg“, schrieb das Wochenmagazin Der Spiegel.

Der Spiegel-Autor irrte sich zwar, was die beiden Kriegshähne aus Libyen angeht. Sie durften nicht einmal in die Nähe des Verhandlungstisches und mussten sich mit einem Gespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas abfinden. Dennoch ist es als ein Erfolg anzusehen, dass alle diese Politiker zusammenkamen. Da hört aber die Erfolgsgeschichte auch auf.

Die Abschlusserklärung der Konferenz, die ebenfalls als Erfolg gefeiert wird, ist nämlich nicht mehr als ein Eingeständnis, dass die internationale Politik in Libyen gründlich gescheitert ist. Denn alles, was in diesem Dokument als Problem erwähnt

wird, war auch genau vor vier Jahren bekannt. 2015 hatten die Bürgerkriegsparteien im marokkanischen Skhirat einen UN-Friedensplan unterschrieben. Was danach geschah, ist kein Ruhmesblatt für den Westen.

Bereits 2016 warnten Experten vor voreiligen Schritten. Sie forderten die Einbeziehung des libyschen Parlaments in Benghazi, der Stämme, die vor allem den Süden des Landes beherrschen und General Haftars, arabischer Nationalist, der eine große Streitmacht befehligt und die Unterstützung des Parlaments genießt, in die neue Regierung.

Das Gegenteil passierte. Westliche Länder erkannten die eilig gegründete Regierung von Fayez al-Sarradsch, Sohn eines Großgrundbesitzers, an. Das Parlament, das ebenfalls international anerkannt ist und bereits Jahre zuvor vor den islamistischen Milizen in Tripoli in die östliche Benghazi geflüchtet war, lehnte sowohl sein Kabinett, als auch den UN-Plan ab. Seitdem überlebt Sarraj mit westlicher Finanzhilfe und militärischer Schutz islamistischer Milizen, während der Bürgerkrieg eskaliert.

Die Entscheidung der westlichen Länder Sarradsch zu unterstützen, kam nicht aus Unkenntnis. Im Gegenteil. Sie war Interessen geleitet. EU-Länder, unter anderem auch Deutschland, das sich als neutrales Land in Libyen zu präsentieren versucht, brauchten 2016 dringend einen Partner in Tripoli, um den Massenexodus aus Afrika nach Europa zu stoppen. Die EU-Kommission finanzierte die libysche Küstenwache mit 46 Millionen Euro, wohl wissend, dass dahinter jene Warlords stecken, die gleichzeitig die Schleuserbanden kontrollieren. Diese schicken die Migranten gegen Geld erst auf die gefährliche Reise auf das Mittelmeer, um sie später wieder einzufangen. Dann werden sie entweder als Sklaven weiterverkauft oder Geisel genommen, um ihre Familien zu erpressen.

Die USA, aber auch Frankreich und Italien sehen in Sarradsch außerdem einen Partner im Anti-Terror-Kampf. Diese drei Länder mischen deshalb auch mit eigenen Soldaten im Bürgerkrieg kräftig mit. Paris und Rom unterstützen parallel auch General Haftar, den Hauptgegner Sarradschs. Denn Haftar hat es durch kluge Bündnispolitik und militärischem Druck geschafft, sowohl die Ölförderung als auch die Häfen unter seine Kontrolle zu bringen. Beide europäische Länder, die auf libysches Öl angewiesen sind, haben ein starkes Interesse daran, dass die Öllieferungen ohne Unterbrechung weiterlaufen. Außerdem haben die französische und italienische Ölfirmen, Total und Eni, in die libysche Ölfirma NOC investiert. Das dürfte die Forderung aus Berlin erklären, die Ölgeschäfte müssten nur durch NOC kontrolliert werden. Das kann Haftar nicht hinnehmen. Denn NOCs Einnahmen fließen direkt nach Tripoli.

Es sind aber nicht nur westliche Länder, die in Libyen Interessen haben. Mehrere arabische Staaten wollen verhindern, dass am Ende Muslimbrüder das Land regieren – eine islamistische Organisation, die in der gesamten Region tiefe Wurzeln hat und daher ein Dorn in den Augen aller autoritären arabischen Herrschern ist. Muslimbrüder beherrschen die Hauptstadt Tripoli militärisch. Dadurch ist Sarradsch praktisch zu ihrer Marionette degradiert.

Eben diese Milizen sind auch die Verbündeten der Türkei. Denn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist ideologisch beeinflusst von Muslimbrüdern. Nicht zuletzt deshalb beschloss er Anfang des Jahres, Sarraj militärisch zu unterstützen. Doch Ankara hat einen weiteren Grund: Es wurde im östlichen Mittelmeer von einem Bündnis aus Griechenland, Zypern, Israel, Ägypten und weiteren Staaten politisch isoliert. Mit einem umstrittenen Vertrag mit Sarradsch versucht es nun, sich aus dieser Umklammerung zu befreien. Damit kommt die Türkei jedoch ihren, zur Zeit, einzigen Freund Russland in die Quere. Denn Moskau, einerseits wegen seiner Nähe zu den Muslimbrüdern skeptisch gegenüber Sarradsch, andererseits auf der Suche nach weiterem Einfluss im Mittelmeer, unterstützt General Haftar.

In dieser Gemengelage kommen die Libyer nicht vor. Doch sie sind die Leidtragenden, auch wenn sie nicht wirklich unschuldig sind. Sie sind gespalten über mehrere Fragen und nicht kompromissbereit. Es geht dabei allen voran um die Verteilung der Öleinnahmen. Aber der Streit, wer zukünftig die Armee und wer das kriminelle Geschäft mit den vor allem aus Afrika kommenden Flüchtlingen und dem Kokainschmuggel kontrollieren wird, ist auch noch nicht ausgefochten.

Nun verlangt die internationale Gemeinschaft von den Libyern Kooperation. Sie sollen den Kampf einstellen, Menschen- und Frauenrechte achten, politische Lösungen für ihre Probleme finden. Dabei ist die internationale Gemeinschaft selbst das größere Problem. Sie muss nicht nur den Waffenstillstand überwachen oder ein strenges Waffenembargo durchsetzen, wie es in den westlichen Medien in den Vordergrund gestellt wird. Die Staaten, die in Berlin sich selbst feierten, müssen vor allem über ihren eigenen Schatten springen, ihre eigenen Interessen zügeln. Das klappt nur, wenn sie aus eigenen Fehlern in den letzten vier Jahren etwas gelernt haben. Daher wird der Erfolg der Berliner Konferenz erst am Ende des angekündigten Friedensprozesses messbar sein. Viel Hoffnung dürfte man nicht haben.

Cem Sey
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