Neuer Präsident der Landwirtschaftskammer ist Christian Hahn. Ende Dezember gab seine Gruppierung die Teilnahme an den Kammerwahlen bekannt. Wie konnte der Wahlkampf so kurzfristig gelingen?

De Kiki stierzt de Feyder

Foto: Jessica Theis
d'Lëtzebuerger Land vom 05.04.2024

Als die Bauernzentrale entschied, allein in den Wahlkampf, um die Mandate in der Landwirtschaftskammer zu ziehen, existierte ihr eigentlicher Kontrahent noch nicht. Der 2 000 Mitglieder starke und älteste Bauernverband dachte, er würde gegen die deutlich kleinere Bauernallianz und den Fräie Lëtzebuerger Bauer (FLB) antreten. Zudem hatte er seit seinem Bestehen schon immer den Vorsitz der Kammer inne. Im Winter jedoch formierte sich die Liste „Aktiv Baueren fir eng staark Landwirtschaft“ unter der Leitung von Christian Hahn und Marc Roeder. Sie vereint Personen, die aus dem Umfeld der Landjugend a Jongbauere stammen. Als das Land Christian Hahn Anfang Februar kontaktierte, schien die ad hoc zusammengetrommelte Liste an ihrem improvisierten Charakter scheitern zu können. Hahn sprach von einer Wahlkampagne, die über Facebook laufe und zwei Wahlversammlungen. Ein ausgefeiltes Wahlprogramm lag nicht vor; eher ein paar Forderungen in Form von deutungsoffenen Schlagwörtern. Ob das reichen würde, um ein akzeptables Resultat einzufahren? Doch es sollte anders kommen. Die Liste Aktiv Baueren konnte sich am 14. März fünf Sitze sichern und ihre Nummer eins, Christian Hahn, rund 1 300 Stimmen. Damit lag sie gleich hinter der Bauernzentrale und vor dem Zusammenschluss aus Bauerenallianz und die FLB, unter dem Namen Zesumme méi staark gemeinsam antraten.

Bei einem Besuch in Roodt (Gemeinde Ell, Kanton Redingen) blickt der vierzigjährige Christian Hahn – Kiki genannt – auf den Wahlkampf zurück. „Mir hunn immens vun de Soziale Medie profitéiert“, meint er. Die Altersstruktur bedinge, dass Mitglieder der Liste digital natives sind: Zwei Zweiundzwanzigjährige sind auf der Liste vertreten, die älteste Person ist 54. Viele haben die Posts der Liste gleichzeitig auf Facebook und Instagram geteilt. „Und hier gab es viel Zuspruch.“ Während personalisierte Facebook-Posts zur Wahlkampagne von Aktiv Bauern im Schnitt vierzigmal geliked und zwanzigmal geteilt wurden, wurden die Wahlwerbevideos der Bauernzentrale nur vier- bis fünfmal geliked. Weil der älteren Generation auffiel, dass die Jüngeren reichlich Zeit im Internet verbringen, nennen sie manche „d’Internetbaueren“. In ihren Gewerkschaftsstrukturen leidet die Bauenzentrale ihrerseits an Nachwuchsproblemen. Zumindest der pensionierte Landwirt Jean-Paul Simon gibt das zu: „Zunächst habe ich Christian Wester gesagt, er solle sich nach jungen Kandidaten umschauen, doch weil junge Landwirte wenig Zeit haben, wurde ich schließlich Kandidat.“ Im Landwirtschaftssektor wurde darüber hinaus gemunkelt, die jungen Landwirte von Aktiv Baueren könnten sich nicht gegen pensionierte Landwirte durchsetzen, die übermäßig am Wahltermin erscheinen würden und bei denen in ihrer Wochenzeitung jeweils freitags für die Kandidaten der Bauernzentrale geworben wird.

Vor zwei Monaten war der intergenerationelle Konflikt gar mit den Händen zu greifen: Der Chefredakteur des Letzebuerger Bauer, Laurent Schüssler, kritisierte die Jungbauern und Landjugend dafür, dass sie nach Schengen zu einer Demonstration gefahren waren. Einer der Treffpunkte der Aufständischen habe sich „auf dem Hof eines DP-Abgeordneten“ befunden, schrieb Schüssler und fragte sich, wie Landwirtschaftsministerin Martine Hansen wohl dazu stehe. „Die Stimmung beim nächsten CSV-DP-Regierungsrat könnte jedoch hitzig werden“, kommentierte er. Im Dezember entschied die Bauernzentrale aus Zuneigung zu ihrer CSV-Ministerin Hansen nicht an den Protesten ihrer ausländischen Kolleg/innen teilzunehmen. Der Alleingang der Jungbauern gefährde das Bild des Primärsektors, sich „als geschlossene Einheit“zu präsentieren, so Schüssler. In einem Schreiben reagierten die Jongbaueren und sprachen von einem Kammerwahlkampf „auf niedrigstem Niveau“. Sie hätten den Verdacht, „dass aus einem sarkastischen Spötter, eher ein Spalter geworden ist“.

In der Küche, in der das Gespräch mit Christian Hahn stattfindet, ist die Decke gewölbt; von wann genau das Haus stammt, weiß Familie Hahn nicht, – der Großvater hat es erworben. An einem Stein einer ehemaligen Feuerstelle steht das Jahr 1608 eingraviert. Christian Hahns Eltern wohnen hier, er leitet den Hof mittlerweile alleine, hat jedoch einen Festangestellten unter Vertrag. Die Küche ist von unzähligen Hähnen dekoriert, im Hausflur liegen weiß-grün und orange-grün gefleckte Zierkürbisse am Boden. „Aber unser bester Schachzug war der Wahlkampf an der Haustür“, analysiert Christian Hahn, auf dessen Pullover Hard-Rock-Café-Berlin steht. „Vu Bauer zu Bauer“, sei man mit der Kandidat/innen-Broschüre gependelt. „Das war Arbeit.“ Aber über ihre Whatsapp-Gruppe konnten sie sich über den Erfolg dieses Wahlkampfrezeptes austauschen und sich gegenseitig motivieren, „sech d’Féiss platt ze lafen“. Hat die Gruppierung sich diese Taktik bei Barack Obama und En Marche abgeschaut? „Nein, die Idee ist aus einer Not heraus entstanden. Über ihre Wochenzeitung besitzt die Bauernzentrale eine Datenbank mit Adressen. Wir haben keine solche Datenbank. Also haben wir uns hierfür entschieden.“ Das Gesamtbudget für die Kampagne belief sich auf 6 000 Euro – „jedes Listenmitglied steuerte 200 Euro hinzu“.

Nach der Auszählung am 18. März verkündete die Bauernzentrale über Facebook, Guy Feyder, habe mit 2 345 „mat Ofstand déi meeschte Stëmme krut“. Und mit knapp 40 Prozent der Stimmen bleibe die Liste der Bauernzentrale „Nummer 1“. Zweit und Drittgewählte sind – alle 90 Kandidat/innen zusammengenommen – ebenfalls Mitglieder ihrer Gewerkschaft, nämlich ihr Präsident Christian Wester und Vizepräsident Marc Fisch. Im Letzebuerger Bauer legte die Gewerkschaft nach: Die Wähler wünschen sich, dass die Bauernzentrale „auch in Zukunft den Lead“ übernimmt. Gegenüber Radio 100,7 urteilte Guy Feyder, er sehe in dem Wahlausgang ein „klares Mandat“ und wolle Präsident der Landwirtschaftskammer bleiben. Warum konnte er sich nicht durchsetzen? Die beiden anderen Bauerngewerkschaft, Allianz und FLB, schlugen letztes Jahr einen unparteiischen Wahlkampf vor, der nicht nach Gewerkschaftsinteressen gegliedert sein sollte. Diesem Vorschlag aber gab die Bauernzentrale einen Korb. Nachdem die Liste „Aktiv Bauren“ ein gutes Wahlresultat einfuhr und Anspruch auf den Präsidentenposten erhob, sprachen sich die Allianz und der FLB in einem Schreiben für Christian Hahn aus. Es sei „eine einmalige Situation“, um „einen Erneuerungsprozess“ einzuläuten. Man dürfe die Jugend nicht verlieren und müsse sie „mit allen Kräften unterstützen“. Ein Kompromiss konnte vor der konstituierenden Sitzung der Kammer am 29. März nicht gefunden werden. In den Tagen vor der Wahl wurde in nach- und vorgelagerten Unternehmen getuschelt, „et ass Zodi bei de Baueren“. Als es zur Wahl kam, trat Guy Feyder nicht an, sondern der Präsident der Bauernzentrale, Christian Wester. Wester nahm eine langjährige und mühsame Gewerkschaftsarbeit auf sich, um letztlich von einer social-media-affinen Jugend überholt zu werden.

Dennoch ist Hahn nicht gänzlich ein Newcomer. Von 2007 bis 2011 war er Vizepräsident der Jongbaueren. Diese sind seit der Präsidentschaft von Charles Goerens in den 1970-er-Jahren nicht mehr nur CSV-nah, sondern auch DP-nah. Bis vor den Nationalwahlen im Oktober 2023 präsidierte der jetzige DP-Abgeordnete Luc Emering die Organisation. Nach seiner Zeit als Präsident der Jongbaueren wurde Hahn CSV-Mitglied, von 2011 bis 2023 war er Teil des Eller Gemeinderats. Im Landbau zeichnet ihn die Kürbisproduktion als Alleinstellungsmerkal aus: „Derzeit pflanzen wir auf neun Hektar 200 verschiedene Kürbissorten an.“ Mit vier Saisonarbeitern und Bekannten werden im Herbst bis zu 100 000 Kürbisse geerntet, die an Cactus geliefert oder im Direktverkauf vermarktet werden. Das erste Gespräch mit Cactus fand statt, als Christian Hahn 16 war, aber damals wurde er abgeblockt – „mit 16 nimmt dich niemand ernst“. Daneben baut er Weizen, Gerste, Triticale, Hafer, Dinkel und Mais an. „Ein Teil des Getreides wird verkauft, ein anderer wird an die 60 Milchkühe und 65 Limousins verfüttert“. Auf den Fenstersimsen einer Scheune liegen mehrere Hirschgeweihe. Geht er auf die Jagd? „Nein, die stammen von meinen Feldern neben dem Wald von Anlier, dort sind im Herbst viele Hirsche während der Brunftzeit unterwegs. In Belgien bewirtschafte ich 35 Hektar, in Luxemburg 135“, so Hahn.

Als die Zeitschrift Forum Christian Hahn 2010 als Präsident der Jongbaueren interviewte, gab er an, im Frühjahr 83 Stunden die Woche zu arbeiten. Wo liegt er heute? „Leicht drunter. Ich versuche nun, die Sonntage und Feiertage frei zu halten.“ Er wolle mit dem Rhythmus der christlichen Festtage mitgehen. Als Präsident der Jongbaueren hat er auch gesagt, dass er den Mittelweg zwischen den „Extrem-Biobetrieben“ und „Extrem-konventionellen Betrieben“ suche. Wo steht er heute? „Stimmt, ich interessiere mich für eine Hybrid-Landwirtschaft, in der Fruchtfolgen, wie im Biolandbau beachtet werden, aber ich bin nicht gegen Pflanzenschutzmittel – die die Presse gerne abschätzig Pestizide nennt.“ Als Präsident der Landwirtschaftskammer wolle er „méi no un de Bauer“. Die Tür der Kammer solle breit geöffnet werden für die Belange der Landwirte, „aber auch Blanche Weber, die Präsidentin des Mouvement écologique, ist willkommen, um ein Streitgespräch mit mir zu führen“. Es solle in Arbeitsgruppen über bestimmte Themen diskutiert werden und besser nach Außen kommuniziert werden. Außerdem ist den Aktiv Baueren die Macht der Kammer zu beschränkt: „Wir möchten unsere Meinung kundgeben, bevor Gesetzetexte und Reglementierungen konkretisiert werden“, erläutert Hahn. Der Gemüseanbau könnte durch eine bessere Ausbildung, Wasserauffangbecken und ökonomische Fördertöpfe angekurbelt werden. Andere Themen sind die Perspektiven für Jungbauern und Bürokratieabbau. Als offizielle Berufskammer und Ansprechpartner des Landwirtschaftsministerium bringt sie sich zudem in die Weiterbildung und Forschungsförderung mit ein.

Neben Hahn wurden als weitere Vollmitglieder der Aktiv Baueren Carmen Birkel, Marc Elsen und Lynn Jemming in die Kammer gewählt. Letztere ist mit 28 Jahren die jüngste Vertreterin von Aktiv Baueren und hat in agrarpolitischen Dossiers Erfahrung als Sekretärin des Vereins „Vermaartung Lëtzebuerger Biofleesch“ und Vizepräsidentin von „Fair Mëllech“ gesammelt. Die Gruppierung vereint Schweinemasthalter und Pilzzüchter, Freiland- und Feingemüse-Produzenten/innen, Milchbauern und Geflügelhalter, Biobauern und konventionelle Erzeuger/innen. Erschweren diese unterschiedlichen Profile nicht die Interessenaggregation? Lynn Jemming aus Kahler verneint: „Wir haben die gleichen Ziele.“ In der Kammer will sie sich für das Vermarktungspotenzial von Biofleisch und Bioeiern einsetzen. Der Winzer Paul Funk konnte seinerseits sein Mandat als Vizepräsident behalten, als Assessoren wurden Nora Feyder (die Tochter von Guy Feyder) und Jean-Paul Vosman gewählt.

Der Agrarökonom Friedhelm Taube von der Universität Kiel erwähnte in Interviews während der Bauernproteste, dass die Einkommens- und Kapitallage von landwirtschaftlichen Betrieben sehr undurchsichtig sei. Hat sich der neue Kammerpräsident bereits ein Bild hiervon gemacht? „Ech weess et wierklech net“, meint Hahn. Zwar würde der Buchstellentag vom Service d’économie rurale einen Einblick in die Agrarwirtschaft gewähren. Aber es sei kaum zu überblicken, welche Gewinnspannen sich im Luxemburger Agrarbereich ergeben. Zu viele Variablen spielen in die Rechnung rein: Pachtpreise, Abschreibungen von landwirtschaftlichem Material, Rentenbezüge pro Person pro Betrieb, Schwankungen des Weltmarktpreises für Rohstoffe und Düngemittel, Vitalität des Viehbestands. Aus den Zahlen von 2022/23 geht lediglich hervor, dass die Milchviehbetriebe insgesamt den höchsten Gewinn erwirtschaften: Im Mittelwert 200 000 Euro. Alle Betriebe zusammengenommen, kommen auf einen durschnittlichen Gewinn von 100 000 Euro. Zwischen den 3 531 Familienmitgliedern und 1 066 Landarbeitern, die ihre standortgebundenen Eigenheiten aufweisen, muss Kiki nun vermitteln.

Stéphanie Majerus
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