Am Montag voriger Woche traf CSV-Agrarministerin Martine Hansen Vertreter der Biolandwirtschaft. Die Öffentlichkeit nahm davon kaum Notiz, die Medien berichteten nicht darüber. Ganz anders beim Landwirtschaftsdësch acht Tage zuvor: Der fand mit Pomp im Senninger Schloss mit den drei großen Bauernverbänden und der Landwirtschaftskammer statt, neben der Agrarministerin war auch CSV-Umweltminister Serge Wilmes dabei. Die Medien schenkten dem Tisch schon ehe er begann, viel Aufmerksamkeit. Wozu auch beitrug, dass CSV-Premier Luc Frieden am 8. Februar Abgesandte von Bauernzentrale, Baueren-Allianz und Fräi Lëtzebuerger Bauereverband empfing. Dass er das tun werde, gab Frieden eine Woche vorher am Rande eines EU-Gipfels bekannt, als Traktoren protestierender Bauern aus mehreren EU-Ländern halb Brüssel lahmlegten.
Angstreaktionen der Regierung, um Bauernprotesten auch hierzulande vorzubeugen, waren Landwirtschaftsdësch und Audienz beim Premier aber nicht. Dass es regelmäßige Landwirtschaftstische geben soll, „Wassertische“ auch, steht im Koalitionsprogramm der Regierung (S. 136), das aufgestellt wurde, ehe Mitte Dezember die europaweite Protestwelle ihren Anfang in Deutschland nahm. Der Prävention hierzulande diente eher die Zusicherung, die Martine Hansen den Landwirten am 22. Januar gab: Sämtliche Finanzhilfen würden ihnen vollständig erhalten bleiben.
Die beste Vorbeugemaßnahme aber ist die Regierungskoalition. Nach 14 Jahren Unterbrechung hat im Agrarministerium wieder die CSV das Sagen. Genau genommen, dauerte die Unterbrechung nur die zehn Jahre „Gambia“. Romain Schneider von der LSAP, der von 2009 bis 2013 Agrarminister der letzten CSV-LSAP-Regierung war, sagte darüber später: „Ob bei der Aufstellung des Agrarkapitels im Koalitionsprogramm 2009 oder bei Einzelentscheidungen – die CSV war immer mit dabei“ (d’Land, 4.7.2014). Manchmal griff sogar ihr Premier ein. Als Schneider 2010 einen nationalen „Agrargipfel“ ausrichtete – der Landwirtschaftsdësch ist keine neue Erfindung –, versprach Jean-Claude Juncker vor Gipfelbeginn öffentlich einen „landesweiten Einheitswasserpreis von einem Euro“ für die Landwirte. Es gibt ihn bis heute nicht, aber das Versprechen klang natürlich gut.
CSV-Agrarpolitik ist einerseits eine klientelistische (siehe S. 10). Fernand Boden, Langzeit-Agrarminister von Januar 1995 bis Juli 2009, sah seine Rolle darin, „in Brüssel für unsere Bauern so viele Beihilfen wie möglich herauszuschlagen“. In die Struktur des heimischen Agrarsektors einzugreifen, lag ihm fern: Impulse dazu müssten „aus dem Beruf kommen“ (d’Land, 27.8.2003).
Andererseits ist CSV-Agrarpolitik eine, die auf geschickte Weise vom „Land“ erzählt, wenn sie von der Landwirtschaft und vom Weinbau spricht. In ihr liegt ein konservatives, sogar identitäres Element, das nicht nur Wähler/innen interessieren soll, die nach rechts neigen. 2013 ermittelte das Sozialforschungsinsitut Ceps-Instead, Vorläufer des heutigen Liser, in einer Studie zur Cohésion territoriale, dass die Lëtzebuerger an der Bevölkerung die Städte meiden, die Wohlhabenden unter ihnen in die Randgemeinden der Hauptstadt ziehen, die weniger Wohlhabenden aufs Land. Es handle sich dabei um „langfristige Prozesse“. Bedenkt man das, dann sind für die CSV wichtige Teile des Wahlvolks vielleicht empfänglich für politische Botschaften, die an die agrarische Tradition Luxemburgs anknüpfen und so Identität stiften. Die Erzählungen vom Land sind aber auch Erzählungen vom Besitz, der geschützt gehört und einer Nutzung zugeführt werden sollte, die ihn wachsen lässt. Dass mittlerweile 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche verpachtet sind, kann unerwähnt bleiben, denn es ändert nichts daran, dass Landwirte mehr oder weniger kleine Unternehmer sind und zumindest ihre Betriebsmittel besitzen. Sind solche Luxemburger Unternehmer – der Agrarsektor ist ausgesprochen luxemburgisch, abgesehen von ein paar Niederländern – in einem Bereich aktiv, der Nahrungsmittel herstellt, dann können Erzählungen von den kleinen Unternehmern potenziell weit über nur ländliche Wählerschichten hinaus wirken. Wer die Interessen dieser Unternehmer politisch vertritt und sich dabei gegen „Verbote“ ausspricht, kann auch auf Resonanz bei jenen hoffen, für die die Freiheit, mit Besitz tun zu können, was man will, ein hohes Gut ist.
Vielleicht lag darin ein wichtiger Grund für das Debakel der Grünen bei den Kammerwahlen am 8. Oktober. Dass in Landwirtschaft „Land“ steckt und sich damit viel verbinden lässt, weiß nicht nur die CSV. In den beiden DP-LSAP-Grüne-Regierungen waren die Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP, 2013 bis 2018), Romain Schneider (LSAP, 2018 bis 2021) und Claude Haagen (2021 bis 2023) alle aus dem ländlich geprägten Nordbezirk. Alle drei versuchten, das „Luxemburger“ Element der heimischen Landwirtschaft zu kommunizieren. „Jetzt kommt ein Paradigmenwechsel!“ und: „Die Landwirtschaft muss ökologischer werden“, proklamierte Etgen aber nur zu Beginn seiner Amtszeit offensiv. Als die Bauernzentrale ihm vorwarf, seine Rolle als „Anwalt der Landwirtschaft“ nicht zu spielen und einer „Ökolobby“ nachzugeben, wurde er vorsichtiger. Den bad cop spielte der damalige grüne Umweltstaatssekretär Camille Gira. Zum Beispiel, als er im Sommer 2014 bei einem Treffen mit der Bauernzentrale zu deren Entsetzen erklärte, angesichts der von der konventionellen Landwirtschaft verursachten Umweltschäden müsse man sich fragen, „wie sinnvoll es ist, weiterhin so viele öffentliche Beihilfen in die Branche zu schaufeln“ (d’Land, 15.8.2014).
Zu solchen Statements lieferte Martine Hansen die Gegenrede. Vor allem nach den Wahlen von 2018. Auf der Oppositionsbank im Parlament spielte sie mal die Rolle der Frau fürs Grobe, mal die der studierten Agronomin, die alles besser wusste. Sätze wie: „D’Produktioun vu gesonde Liewensmëttel, dat ass der Landwirtschaft hir Hauptaufgab, déi muss fir eis am Vierdergrond stoen“, sagte sie jahrelang. Nicht nur in der Abgeordnetenkammer, auch in den Medien, und nicht nur wenn es um Agrarpolitik ging, wie am 13. Juli 2023 bei der Verabschiedung des Agrargesetzes, sondern zum Beispiel auch bei Debatten zum Naturschutz. Der implizite Vorwurf lautete stets, die jeweiligen Landwirtschaftsminister, vor allem jedoch die grünen Umweltministerinnen und die Grünen überhaupt hätten die Bedeutung der Landwirtschaft für die Herstellung gesunder Lebensmittel entweder nicht verstanden oder wissentlich ignoriert, hätten aber auf jeden Fall mit ihrer Politik konträr zu einem nationalen Interesse gelegen. Denn, wie Martine Hansen am 13. Juli fortfuhr: „Mir mussen an Europa, awer och hei ze Lëtzebuerg, d’Liewensmëttelsouveränitéit och erëm eng Kéier als Haaptzil gesinn.“
Eigentlich ist das ein interessanter Punkt. Die Frage ist nur, wie man ihn genau auffasst und was daraus politisch folgen soll. Die „Fleischautarkie“, von der nach der Jahrtausendwende die Rede ging, war eine hysterische, beinah chauvinistische Reaktion auf Rinderwahn und Maul- und Klauenseuche. Beim heutigen Stand der Dinge ist Lebensmittelsouveränität für Luxemburg utopisch, wenn der Gartenbau (Obst und Gemüse) nur zwei Prozent der Agraraktivität ausmacht und sein Umsatz so klein ist, dass er in der alljährlich im Dezember präsentierten Übersicht der Betriebserlöse nicht mal erwähnt wird. 60 Prozent der Aktivität entfallen auf Milch- und Rindfleischproduktion, wurde beim letzten Dag vun der Landwirtschaft am 18. Dezember 2023 bilanziert.
Die Geschäftsergebnisse aus einem repräsentativen „Testbetriebsnetz“ konnten sich sehen lassen: Über den gesamten Agarbereich (mit Weinbau) übertrafen sie 2022 den Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 um 90 Prozent. Wobei der Durchschnitt 2017-2021 schon zwei Drittel über dem der fünf Jahre zuvor gelegen hatte. Noch bemerkenswerter: Das Ergebnis je „Familien-Arbeitskraft“, die also nicht angestellt ist, lag 2022 mit 81 200 Euro wesentlich über dem vom Statec errechneten nationalen Durchschnittsgehalt von 70 600 Euro. So wettbewerbsfähig gegenüber anderen Sektoren waren die Verdienste in der Landwirtschaft noch nie. Zwar geht es dabei wohlgemerkt nicht um angestellte Arbeitskräfte. Doch die Bilanz für 2018 zum Beispiel hatte pro „nicht entlohnter Arbeitskraft“ 45 600 Euro ausgewiesen war damit den Gehältern in der Baubranche nah.
Die auf Milchproduktion spezialisierten Betriebe erwirtschafteten 2022 den höchsten Erlös. Er lag 126 Prozent über dem Durchschnitt 2017 bis 2021 im Milch-Segment und zwei Drittel über dem Ergebnis 2022 der Landwirtschaft insgesamt. Wegen gesunkener Milchpreise rechnet der Service d’économie rurale (SER) im Agrarministerium zwar für 2023 mit einem um 20 Prozent kleineren Ergebnis. Es wäre aber immer noch fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt 2017-2021.
Dass im Milchbereich so gut verdient wird, setzt die neue CSV-Agrarministerin allerdings unter Zugzwang. Einen gewissen Zugzwang jedenfalls. Die Zeiten des laisser-aller wie unter Fernand Boden sind vorüber. Als Frau vom Fach versteht Martine Hansen, dass Luxemburg mit seinen Milchbetrieben mehr als „souverän“ ist, wenn die Milchproduktion den Eigenbedarf um zwei Drittel übersteigt. Die Produktion von Rindfleisch – zweitwichtigster Zweig der Agrarbranche – kann man ebenfalls zu groß nennen, wenn man den jährlichen Pro-Kopf-Verzehr von 89 Kilo Rindfleisch hierzulande vergleicht mit den 17 bis 34 Kilo, die als „gesund“ gelten. Die hohen Produktionsraten haben Konsequenzen: Von den zurzeit 2 000 Quadratmetern landwirtschaftlicher Nutzfläche pro Einwohner dienen 50 Prozent als Weideland für Milchkühe und Fleischrinder, zwölf Prozent zum Anbau von Futtermais, elf Prozent für Ackerfutter und zwölf Prozent für Futtergetreide. Für so etwas wie Gemüseanbau bleibt nicht viel, wenn 85 Prozent der Flächen den Kühen dienen. Hinzu kommt, dass der hohe Fleisch- und Milch-Output sich noch nicht aus der starken Flächennutzung in Luxemburg decken lässt, sondern dasselbe Flächen-Äquivalent pro Einwohner ein weiteres Mal im Ausland nötig ist – zum Beispiel in Südamerika, von wo vor allem Soja als Kraftfutter für die Kühe importiert wird.
Die Zusammenhänge wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts Simba der Unis Luxemburg und Liège-Gembloux, des Luxembourg Institute of Science and Technology, des Institut fir Biologesch Landwirtschaft an Agrarkultur Lëtzebuerg und der Züchtergenossenschaft Convis ermittelt. Herauskam ein Szenario für eine „bodennahe“ Landwirtschaft, die mit der Fläche allein in Luxemburg auskäme, allerdings auch mit einem von 200 000 auf 60 000 reduzierten Bestand an Kühen. Andere Ernährungsgewohnheiten würden auch vorausgesetzt, und dass deutlich weniger Lebensmittel als bisher im Abfall landen.
Ganz neu sind diese Ideen nicht. Für die CSV und Martine Hansen galten sie bisher als kaum umsetzbar, weil die Agrarbetriebe schon Investitionen getätigt haben und mit Druck und Verboten gegenüber den Betrieben nicht hantiert werden dürfe. Doch wenn eine Landwirtschaft, die „gesond Liewensmëttel“ produziert“, tatsächlich im Vordergrund stehen und „Liewensmëttelsouveränitéit och erëm eng Kéier als Haaptzil“ gelten soll, käme Martine Hansen schwerlich daran vorbei, sich mit solchen Ideen intensiver zu beschäftigen. Dass sie neue Einkommensmodelle voraussetzen, macht diese Ideen fachlich und politisch anspruchsvoll. Aber dass die Politik ihrer Vorgänger nicht „wissenschaftlich“ genug gewesen sei, hatte Martine Hansen im Parlament ebenfalls immer wieder erklärt.
Natürlich gibt es einen Rollenunterschied zwischen Opposition und Regierungsverantwortung. Nachdem Ministerin Hansen vorige Woche die Abgesandten des Bio-Sektors empfangen hatte, schrieb nicht nur ihr Ministerium anschließend in einer Pressemitteilung von „konstruktiven“ Gesprächen; die Bio-Vertreter/innen sahen das auch so. Offenbar wurde über Märkte gesprochen, und Hansen sicherte zu, die Bio-Branche in die Ausarbeitung eines zweiten nationalen Bio-Aktionsplans, der ab 2026 gelten soll, einzubeziehen. Beim aktuellen Plan war das nicht so.
Am Ende könnte die CSV ihre Erzählungen vom „Land“ lediglich modernisieren müssen. Bis dahin aber müsste der Agrarsektor beinah neu erfunden werden. Am Landwirtschaftsdësch ging es um so etwas nicht. Die Tagesordnung enthielt das Thema „Empfehlungen“ (statt Vorschriften) für Ammoniakemissionen und Erleichterungen für Bauten in Grünzonen, damit Generationen von Bauernfamilien dort ihren Wohnsitz nehmen können. Dass dadurch die knappen Agrarflächen noch knapper würden, liegt auf der Hand. Zumindest vorerst macht die CSV mit ihrem Klientelismus allem Anschein nach weiter.