„Warum sind keine Luxemburger Landwirte hier?“, fragte ein RTL-Journalist den Leiter der wallonischen Jungbauernorganisation, die am Montag für eine Teilblockade der Straße an der luxemburgisch-belgischen Grenze verantwortlich zeichnete. Diese Frage könnten sie nicht beantworten, so der belgische Verband. Während der Vorbereitungen habe man sich gefragt, ob sich Luxemburger Kollegen der Aktion anschließen würden, aber aus Luxemburg habe sich niemand gemeldet. Am Folgetag spottete L’Essentiel – einen belgischen Bauern zitierend – mit dem Titel: „Où sont nos amis luxembourgeois?“
Einige Stunden nach dem Radiobeitrag meldeten sich Christian Wester, Präsident der Bauernzentrale, und deren Direktor Laurent Schüssler per Presseschreiben zu Wort. Man solidarisiere sich mit den Bauern aus den Nachbarländern, die unter „realitätsfremden Vorgaben aus Brüssel“ und „unter dem agrarfeindlichen Schaffen ihrer Regierungen“ leiden würden. In Europa werde den Landwirten ihre „Lebensgrundlage brutal entzogen“. In Luxemburg habe sich die Situation allerdings seit dem Regierungswechsel im Oktober 2023 „verbessert“. Deshalb kündigte die Bauernzentrale in ihrer Wochenzeitung De Letzebuerger Bauer bereits letzten Freitag an, man werde nicht auf die Straße gehen. Unter anderem habe die CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen Mitte Januar in einem Gespräch bestätigt, dass keine Beihilfen gekürzt würden.
Auch mit Premier Luc Frieden zeigt sich die Bauernorganisation zufrieden. Laurent Schüssler, Chefredakteur des Letzebuerger Bauer und Ex-Wort-Journalist, schätzte nach der Antrittsrede vom CSV-Premier, es könne nun zu einem Bürokratieabbau, vereinfachten Prozeduren für Verträge mit Saisonarbeitern und neuen Genehmigungen für Bauvorhaben in der Grünzone kommen. Nach zehn Jahren, „in denen die Landwirtschaft von Teilen der Regierung kontinuierlich zum Schmuddelkind der Nation degradiert wurde“, befinde sich das Ministerium wieder in CSV-Händen. Seit 1943 verzichtete die CSV während ihrer Regierungsbeteiligung nur ein Mal auf dieses Ministerium. Auch ihre Vorgängerpartei, die Rechtspartei, war bereits eng mit den Landwirten verflochten. Ihr Abgeordneter, Eugen Hoffmann, den man den landwirtschaftlichen „Rebell aus Vichten“ nannte, forderte in der Zwischenkriegszeit verbilligten Phosphatdünger. Als 1944 die Bauernzentrale gegründet und die Interessen der Landwirte gebündelt wurden, gewann der Sektor weiter an politischem Gewicht. Mathias Berns fungierte bis 1993 als deren Generalsekretär und Chefredakteur des Letzebuerger Bauer. Onkel des ehrgeizigen Bauernführers war der CSV-Staatsminister Pierre Dupong, an den die Wochenzeitung in seiner ersten Ausgabe einen Brief adressierte mit der Forderung, dem Zugpferdemangel und Kriegsschäden entgegenzuwirken.
Die im Landbau tätigen Eltern von Martine Hansen waren, wie vor den 1980-er-Jahren für die landwirtschaftliche Bevölkerung üblich, in der Bauernzentrale organisiert. Vermutlich aber hat sich ein engerer Kontakt zwischen der Bauernzentrale und Martine Hansen durch ihre Lehre und Leitungsposition an der Ackerbauschule ergeben, wo sie seit 1993 tätig war – die Schule nämlich betreut gemeinsam mit der Bauernzentrale und IBLA Versuchsfelder. Schulleiterin war die Agrarwissenschaftlerin von 2006 bis April 2013, anschließend wurde sie Ministerin für Hochschulbildung und Forschung. Doch im Oktober schon rückte sie im Parlament auf die Oppositionsbank. Auf dieser Bank zeigte die Quereinsteigerin, dass sie ein Ohr für die Bauernzentrale hat. Im März 2022, kurz nach Anbruch des Kriegs in der Ukraine, sagte sie in einer Aktualitätsstunde über Landwirtschaft: „Mit jedem Tag spitzt sich die Energiepreis-Krise weiter zu. Und damit die Gefahr von Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit.“ Die CSV Co-Fraktionspräsidentin verlangte deshalb, eine befristete Aussetzung der verpflichtenden Stilllegung von Ackerflächen, wie sie von der Farm to Fork-Strategie der EU vorgesehen ist. Einige Tage zuvor hatte die Bauernzentrale in einer Mitteilung die gleiche Forderung gestellt. Überschneidungen gab es zwischen der Gewerkschaft und der CSV-Abgeordneten auch in Bezug auf die Eindämmung des Ammoniak-Ausstoßes und die Deckelung des Viehbestands.
Der Zuspruch an Martine Hansen müsse sich aber noch bewähren, denn „Vorschusslorbeeren können auch mal schnell verwelken“, schrieb Schüssler Ende letzten Jahres. Allerdings hat die Bauernzentrale nicht mehr die gleiche Macht wie zu Mathias Berns’ Zeiten. Ihr sichtbarstes Kind, das Agrocenter in Mersch, wurde unlängst abgerissen. Der Bauernstand ist geschrumpft und es sind zwei weitere Bauerngewerkschaften entstanden.