Die EU-Mitgliedstaaten urteilten am 6. Dezember über die von der Kommission vorgeschlagene Deregulierung der neuen Züchtungstechniken. Einig wurde man sich nicht – vor allem gab es Bedenken gegenüber Verfahren wie der sogenannten „Genschere“ sowie bezüglich Patentrechten. Luxemburg enthielt sich (mit Belgien, Bulgarien und Deutschland). Unterstützt wurde der Vorschlag von 16 Ländern, insbesondere Agrarexportnationen wie den Niederlanden, Dänemark und Frankreich. Eigentlich sieht die CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen eine Chance in der Gentechnik. „Wir sollten die neuen Technologien nutzen, weil wir sie brauchen“, unterstrich sie nach der Ratssitzung im Letzeburger Bauer. Aber sie fordere, dass es kein Patentierungsrecht auf Genom-editierte Pflanzen geben sollte. Wenn kein bedeutender Unterschied zu klassischen Züchtungen auszumachen ist und sie auch nicht mehr als gentechnisch veränderte Pflanzen eingestuft werden, „sollten wir ebenso auf Patentierungen verzichten“, so Hansen.
Vor allem Genom-editierte Pflanzen ohne artfremde Gene will die EU in die Kategorie 1 aufnehmen, also solche Kulturpflanzen, die auch „natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ hätten entstehen können. Somit können sie von Auflagen und Tests befreit werden und es bedarf keiner besonderen Kennzeichnungen für die Konsument/innen mehr (was das Label „Ohne-Gentechnik“ aufgrund von nicht nachvollziehbaren Produktionsprozessen verunmöglicht). Um unter die Kategorie 1 zu fallen, dürfen nicht mehr als 20 genetische Veränderungen vorgenommen werden. In die Kategorie 2 hingegen werden herbizid-tolerante, transgene Pflanzen einklassiert, die weiterhin spezifischen Genehmigungen unterliegen.
Eine Reihe Wissenschaftler und Politiker wollen auf GenomEditierungsmethoden setzen, weil sich damit Kulturpflanzen kosten- und zeitsparender züchten lassen als mit den bisherigen Verfahren. Während bei früheren Anwendungen Gentransfers im Fokus standen, werden mit der Genschere Crispr/Cas gezielt Gene abgewandelt. So kann man die Resilienz gegenüber Viren und Krankheiten erhöhen, den Vitamin-Gehalt steigern, allergieauslösende Substanzen reduziern oder den Geschmack intensivieren. Einige Versuche sind bereits gelungen. Durch die Genschere Crispr/Cas wurden beispielsweise Tomaten gezüchtet, denen der Mehltau-Pilz nichts anhaben kann und Kartoffeln, die keine Kartoffelfäule ansetzen. Man erhofft sich zudem, durch die Genom-Editierung Pflanzen an klimatische Herausforderungen wie Dürreperioden anzupassen. Aber die Forschung ist in diesem Bereich in der EU nahezu auf Standby, da Genom-editierte Pflanzen allgesamt laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Juli 2018 als genetisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft werden. Somit unterliegen auch neueste Verfahren einer strengen Regulierung, was ihre Entwicklung zeitaufwändig und teuer gestaltet.
Kritisiert wird die Gentechnik seit Jahren öffentlichkeitswirksam von der Umweltorganisation Greenpeace. Gemeinsam mit dem Journalisten und Mitverfasser des Weltagrarberichts Benny Haerling hat ihr hiesiger Direktor Raymond Anderkerk im Wort einen Beitrag veröffentlicht, in dem beide monieren, die Agrarindustrie habe „bereits heute die Bauern und Bäuerinnen mit Kunstdünger, Pestiziden und hybridem Saatgut fest im Griff“. Nun wolle sie sich in der neuen Gentechnik „ein lukratives Geschäft“ sichern und habe in Brüssel gezielt Lobbyarbeit geleistet. Zuvorderst stoßen sich die Autoren daran, dass die EU-Kommission „keine individuelle Risikoprüfung und Zulassung mehr“ veranlassen will. So werden Transparenz und Wahlfreiheit für die Konsumenten sowie das Vorsorgeprinzip unterminiert. Ähnlich sieht es die Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg. Ihre Direktorin Daniela Noesen mahnte Anfang Dezember in einem Presseschreiben, die EU wolle das Vorsorgeprinzip „außer Kraft setzen“. Allerdings sei dieses zentral, um Gefahren für Mensch und Umwelt zu verhindern. Im Wort erläuterte sie zudem, dass sie das Vorhaben der EU auch ablehne, weil Gentechnik potenziell große Differenzen zwischen Labor- und Feldbedingungen aufweise. „Hier spielen eine Menge Umweltfaktoren eine Rolle. Diese Risiken können wir gar nicht abschätzen“. Aus diesen Gründen stimmten am 6. Dezember unter anderem Polen, Rumänien und Kroatien gegen den Vorschlag der Kommission.
Der Präsident der Bauernzentrale, Christian Wester, begrüßt hingegen das Vorhaben, den Unterschied zwischen genomeditierten Pflanzen und herkömmlich gezüchteten aufzuweichen. Er hat dabei vor allem marktwirtschaftliche Fragen im Kopf. „Wir riskieren gegenüber dem Rest der Welt ins Hintertreffen zu geraten”, warnte er im Juli im Télécran. Die europäische Landwirtschaft wird zusehends mit Blick auf China nervös, wo munter herumexperimentiert wird. Dort haben Forschende der Huazhong Agricultural University in Wuhan im Jahr 2019 einen Reis gezüchtet, der sehr salzhaltigen Böden trotzt. Dass für mit der Genschere editierte Pflanzen das Vorsorgeprinzip gelockert wird, erachtet Christian Wester als unbedenklich – die Wissenschaft habe die Risiken bedacht. Überdies sieht er die Patentfrage weniger problematisch als das CSV geführte Landwirtschaftsministerium: Saatgutproduzenten müssten für ihre Arbeit bezahlt werden und dies sichern Patente und Lizenzgebühren zu.
Die aktuelle Marktmacht der Agrarriesen betrachtet die DP hingegen kritisch. In ihrem Wahlprogramm forderte die liberale Partei, dass „die Verwendung von bäuerlichem Saatgut wieder stärker in den Vordergrund rückt“. Über die Jahre würden „sehr robuste, an das lokale Klima und den lokalen Boden angepasste Samen“ entstehen. Deshalb wünsche sie sich eine Liberalisierung des Saatgut-Marktes, auf dem auch Sorten verkauft werden können, die nicht im offiziellen Sortenkatalogen vermerkt sind. Die liberale Fraktion Renew Europe, vertritt auf EU-Ebene eine ähnliche Position. Neue Gentechnik-Verfahren sollten lediglich erlaubt werden, falls das Pantentrecht Monopole auf Nahrungsmittel und Kulturpflanzen verhindere. Außerdem müsste sich die Gentechnik in die Ziele der Gentechnik des Green Deal einschreiben.
Renew und die europäischen Grünen liegen in diesem Dossier politisch nah beieinander. Im Rahmen des Kommissionsvorschlags organisierte die Luxemburger EU-Abgeordnete Tilly Metz (Déi Gréng) mit ihrem niederländischen Kollegen Bas Eickhout am 4. Juli eine Pressekonferenz. Dabei stellten sie einen von den europäischen Grünen veranlasste Bericht vor. Die Woxx erläutert, Tilly Metz und ihre grünen Mitstreiter hätten den sozioökonomischen Einfluss einer solcher Deregulierung bewerten wollen. „Die Resultate sind klar: Höhere Kosten für Saatgut, weniger Auswahl bei den Sorten und vor allem viel mehr Pestizide und Herbizide in der Landwirtschaft!“, gibt die Woxx das Fazit von der luxemburgischen EU-Abgeordneten wieder. Auch verfahre die Genschere nicht so exakt, wie behauptet werde, und somit bleibe das Genom-Editieren für die Lebensmittelsicherheit und Umwelt bedenklich. Im Wahlprogramm der hiesigen Grünen wird die Offensive gegen die neuen Gentechnikverfahren ebenfalls unterstrichen. Um die sozialistische EU-Fraktion bildete sich hingegen der Konsens, angesichts der anstehenden Herausforderungen seien die neuen Züchtungstechniken ein vielversprechender Lösungsansatz.
Bisher jedoch kommen Studien zu dem Schluss, dass von transgenen Pflanzen der ersten Generation kein höheres Risiko ausgeht als von konventionell gezüchteten Pflanzen. Eine besonders umfangreiche Metaanalyse, die 2014 an der Universität Perugia/Italien durchgeführt wurde und die knapp 1 800 Studien und Berichte auswertete, fand keine Anhaltspunkte, um gentechnisch veränderte Pflanzen aus Sicherheitsgründen abzulehnen. Auf Langzeiterfahrungen mit molekulargenetischen Verfahren wie Crispr/Cas muss man noch warten. Die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina sieht derzeit allerdings keine wissenschaftlichen Hinweise, die auf spezifische Risiken hindeuten.
Eine Einschätzung, die Michael Eickermann, Landwirtschaftlicher Entomologe am List, teilt. „Außerdem muss man mit den neuen Gentechnikverfahren nicht unbedingt mit Nahrungsmittelpflanzen anfangen, sondern kann sich auf Pflanzen konzentrieren, die Rohstoffe liefern, wie Faserhanf oder Energiepflanzen, die in Biogasanlagen verwendet werden“, sagte er im Juli im Wort. Die Wahrscheinlichkeit mit der Genschere unbeabsichtigte Nebeneffekte zu bewirken, sei überschaubar. Mit biochemischen Mitteln könne man überprüfen, ob die gewünschten Genabschnitte manipuliert wurden. Eickermann will aber nicht ausschließen, dass sich Viren an genomeditierte Pflanzenresistenzen anpassen und es zu einem „Wettlauf zwischen genetischen Veränderungen an der Pflanze und Mutation von Pflanzenviren“ kommen könnte. Experimente aus Spanien haben allerdings gezeigt, dass Mischkulturen, in denen nicht-resistente Kulturpflanzen stehen, Virenmutationen entgegenwirken. Wenn Pflanzen besser in nährstoffarmen Böden gedeihen und vor Krankheiten geschützt sind, könnte dies den Vorteil bringen, dass die intensive Landwirtschaft künftig den Kunstdünger- und Pestizideinsatz senkt, so der Entomologe vom List. Er sieht in Crispr/Cas ein „Gamechanger unseres Jahrtausends, vergleichbar mit der Entschlüsselung der DNA“.
Doch Wissenschaftlern wie Michael Eickmann schenkt man im Vergleich zu andern Wissenschaftlern wenig Vertrauen. In einer in Deutschland durchgeführten Studie bekundeten 61 Prozent der Befragten, sie hätten kein oder nur wenig Vertrauen in Wissenschaftler die Gentechnik befürworten. Eine deutliche Mehrheit lehnt Gentechnik ab, insbesondere Wähler aus dem politisch linken Spektrum. Besonders hoch ist das Mistrauen in Luxemburg, der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Griechenland – um die 80 Prozent sind in diesen Ländern gegen gentechnische Verfahren. Die Ablehnung resultiert vorrangig aus einem Unbehagen gegenüber Machbarkeitsfantasien und einer zusehenden Verflüssigung der Grenzen zwischen Natur und Technik, die mit einem Eingriff in die biologische DNA einhergeht. So schreibt der Risikoforscher Ortwin Renn: „Gentechnische Veränderungen erscheinen als Fremdkörper in einer vertrauten Welt, die mental mit Landwirtschaft und Nahrungsmitteln verbunden wird.“ Zudem veranschaulichen Chiffren wie die Frankenstein-Erzählung die techno-wissenschaftlich bedingte Sorge unserer Epoche: Von Menschenhand gezüchtet lebendige Organismen könnten zu unkontrollierbaren Wesen mutieren.
Insbesondere im Demeter-Verband wird auf kräftige und dystopische Bilder zurückgegriffen, um die Gentechnik zu beschreiben. Sie komme „Metastasen eines Krebsgeschwürs“ gleich, die in die Biosphäre eindringe. Mit ihrem Durchbruch sei gar „eine fortschreitende konstitutionelle Schwächung und somit ein allgemeines, schwer diagnostizierbares Siechtum zu erwarten“, schreibt der Demeter-Landwirt Manfred Klett. Die Kritik der Bioverbände an Agrarriesen, die aufs große Geschäft warten, ist nachvollziehbar. Aber der apokalyptische Sound der Bio-Szene verhindert womöglich einen unaufgeregten Austausch zwischen Bio-Landwirten mit unabhängigen Forschungsinstituten.
Die Gentechnik-Debatte überlagert zuweilen, dass bereits seit den 1960-er-Jahren in der EU Mutationen über andere Verfahren im Erbgut provoziert werden. Hierbei bewirken chemische Prozesse und radioaktive Strahlungen Mutagenesen, die allerdings kaum steuerbar sind und zugleich unintendierte Mutationen hervorrufen. Die dadurch gewonnen Erzeugnisse durchlaufen kein Zulassungsverfahren. In der Pflanzenzüchtung wurde die Mutagenese zwischen 1965 und 1990 systematisch eingesetzt und hat laut der Internationalen Atomenergiebehörde etwa 1 800 abgewandelte Pflanzensorten auf den Markt gespült. Mit der Genschere würden ungewünschte Mutationen deutlich seltener auftreten, versprechen Wissenschaftler.
Unter politisch akzeptablen Umständen könnte die grüne Gentechnik die Züchtung voranbringen. Denkbar ist beispielsweise, die angedachte „Kategorie 1“ aufzulösen, damit geneditierte Pflanzen weiterhin als solche markiert werden und Produzenten weiterhin das Label „Ohne-Gentechnik“ verwenden dürfen. Das erschwert es allerdings Unternehmen ,Patentrechte zu verweigern. Bis 2050 rechnen die Vereinten Nationen mit einem Bevölkerungsanstieg auf 9,7 Milliarden Menschen weltweit – der Nahrungsmittelbedarf nimmt nicht ab. Viel wichtiger als Züchtungsmethoden ist jedoch der Lebensmittelverzehr und Landverbrauch. Nur auf 50 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen wachsen direkt für den menschenlichen Verzehr gedachte Nahrungsmittel. Ein Großteil der Fläche wird für Tierfutter verwendet. Das Hunger- und Sättigungsgefühl gedeiht auf dem Feld.