2,7 Millionen Aktenseiten. 56 Sitzungen. 116 Befragungen. 105 Auskunftspersonen, davon 23 aus der aktiven Politik, dazu Beamte, zwei Angehörige der Staatsanwaltschaft sowie Polizisten. Der Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung im österreichischen Parlament, kurz: Ibiza-Untersuchungsausschuss ist nach 13 Monaten zu Ende gegangen. Es war einer der am meisten beachteten Aufklärungsprozesse in der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus und einer der folgenreichsten. In seinem Verlauf wurden Hintergründe der österreichischen Innenpolitik deutlich, die teilweise noch in juristischen Verfahren näher aufgeklärt werden müssen.
Der (vorläufige) Bericht des Verfahrensrichters Wolfgang Pöschl fasst nüchtern zusammen, was die Abgeordneten den Auskunftspersonen in akribischer Recherche und peinlicher Befragung entlocken konnten. Heinz-Christian Strache versuchte an der Spitze der Freiheitlichen, sobald seine selbst ernannte „Partei des kleinen Mannes“ am Ruder war, zu den zweifelhaften Gepflogenheiten der langjährigen Großkoalitionäre Volkspartei (ÖVP) und Sozialdemokraten (SPÖ) aufzuschließen und sich über Absprachen sowie geschobene Posten Macht und Einfluss zu sichern. Der Koalitionspartner ÖVP, unter Sebastian Kurz türkis gefärbt und rhetorisch-marketingtauglich einem „neuen Stil“ verpflichtet, rückte im Verlauf der Untersuchungen immer stärker selbst in den Fokus. Etwa über Chats, die eine entsetzlich abfällige Haltung von Akteuren aus der Kurz-Entourage gegenüber den Wählern („Pöbel“) zeigen und ungeniertes Mauscheln um Besetzungen zentraler staatlicher Institutionen und zumindest fehlende Distanz zu Einfluss begehrenden Unternehmen oder Personen zutage förderten.
Der U-Ausschuss brachte die vielen Facetten der Parteienfinanzierung in einem undurchsichtigen, verzweigten System zutage, das sich in rechtlichen Grauzonen bewegt, von den Altparteien systematisch gepflegt und von zumindest der FPÖ akribisch nachgebildet wird und wurde. Der politische Wille, hier für Transparenz, Nachvollziehbarkeit und mehr Distanz zu sorgen, hält sich auch nach der Offenlegung im Ausschuss allseitig in Grenzen. In der Zusammenarbeit zwischen Justiz und Exekutive kam ein Geflecht aus Misstrauen und Hinterlist ans Licht. Der Konflikt dreht sich um drei Akteure: die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die ihr übergeordnete Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien und das Justizministerium, das an der Spitze der Weisungskette steht. Diese Hierarchie ist seit Jahren justizintern umkämpft, gegenseitige Vorwürfe und Behördenintrigen in einem der sensibelsten Bereiche der Republik lassen die Institutionen beschädigt zurück und stellen die aktuellen Akteure vor die Aufgabe, die Zusammenarbeit neu zu gestalten und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.
Ausgelöst wurden all diese Erkenntnisse von der „Ibiza-Affäre“, einer geheimen Videoaufnahme, die zeigte, wie der damalige Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs, Heinz-Christian Strache, mit seinem Vertrauten Johann Gudenus in einer verwanzten Finca auf der Goldkettchen-Insel einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte Staatsaufträge in Aussicht stellte, falls sie das einflussreiche Boulevardblatt Kronenzeitung kaufen und der FPÖ damit zum Wahlsieg verhelfen würde; wie er darin von der Praxis sprach, über parteinahe Vereine Spenden am Rechnungshof vorbei in die Parteikassen zu schleusen; wie er den späteren Koalitionspartner, die damals noch schwarze Volkspartei diffamierte, freimütig über Postenschacher und Gesetzeskauf schwadronierte und tiefe Verachtung für (Qualitäts)Journalismus offenbarte.
Die Folgen waren einzigartig wie weitreichend: Am Tag nach Erscheinen des Videos im Juni 2019 ließ der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die Volkspartei zur türkisen Bewegung umgekrempelt hatte, die Koalition mit den Freiheitlichen platzen und Heinz-Christian Strache trat als Vizekanzler und von allen politischen Funktionen in der FPÖ zurück. Die Affäre bereitete damit den Weg zur ersten schwarz-grünen Koalition in Österreich, verfestigte die Macht der ÖVP unter Kurz und atomisierte die zur dritten großen Volkspartei aufgestiegenen Freiheitlichen auf Bundesebene. Der augenscheinliche Gewinner, die österreichischen Grünen, sind eineinhalb Jahre nach ihrem Einzug in die Regierung jedoch auf bestem Weg, sich in wesentlichen Anliegen selbst zu demontieren: Während die Opposition geschlossen für eine Weiterführung des Untersuchungsausschusses votierte, da längst nicht alle Stränge geklärt und vor allem die in die türkise Sphäre reichenden Konsequenzen aufgedeckt sind, stimmten die Grünen aus Koalitionsräson gegen eine Weiterführung.
Juristisch ist der fatale Trip nach Ibiza jedoch noch nicht zu Ende: Heinz-Christian Strache steht derzeit in einem Verfahren wegen verbotener Parteispenden vor Gericht. Und gegen Kanzler Kurz ermittelt die WKStA, die dem Regierungschef vorwirft, in einigen Punkten vor dem U-Ausschuss vorsätzlich nicht die Wahrheit gesagt zu haben.