Die Regierung bestimmte den Kampf gegen die Ärmsten zu einer ihrer Prioritäten. Mit Gerüchten machen CSV und DP Stimmung gegen sie: Bettler kommen in Limousinen angefahren (Gloden), sie bedrohen Passantinnen (Beissel), Asylsuchende stehlen Hühner (Lies).
Bisher war die ADR für die Schmutzarbeit zuständig. Sie hält sich zurück. Bei den Kammerwahlen erhielt sie zehn Prozent der Stimmen. Auf diesem Niveau stagniert sie seit 34 Jahren. Sie versuchte schon alles, um ihre Wählerbasis auszuweiten.
Anders die ausländischen Vettern und Basen: Die Alternative für Deutschland kommt in Wählerbefragungen auf 18 Prozent des Zuspruchs. Der Vlaams Belang in Belgien auf 25 Prozent. Dem französischen Rassemblement national werden für Juni 32 Prozent versprochen. Oft wird gerätselt, wieso die radikale Rechte in Luxemburg weniger radikal scheint. Weshalb ihr kein Durchbruch gelingt.
In den Achtzigerjahren wurden weltweit die Marktkräfte entfesselt. Der globalisierte Konkurrenzkampf setze sich durch, die Umverteilung von unten nach oben, der Abbau des Sozialstaats. Seither suchen die Besiegten Schutz vor dem Recht des Stärkeren, kleine Angestellte, Geschäftsleute, Arbeiterinnen, Landwirte. Statt Schutz bekommen sie Sündenböcke: Einwanderer, Asylsuchende, Muslime, Grenzpendlerinnen, Bettler. Die Linke wurde geschlagen: Der Marktradikalismus produziert Rechtsradikalismus.
Die Stahlkrise drohte hierzulande zur sozialen Krise, zur Gefährdung staatlicher Herrschaft zu führen. Der Staat bezuschusste einen Klassenkompromiss. Statt des Neoliberalismus erklärte die Tripartite die Sozialpartnerschaft zur Staatsreligion. Der fromme Glaube prägt das Bewusstsein bis heute.
Das neue Akkumulationsregime wird nicht mehr von der Industrie dominiert. Die Finanzmärkte geben den Ton an. Sie machten Luxemburg zum Globalisierungsgewinner. Steigende Staatseinnahmen finanzierten den Sozialstaat, während er woanders demoliert wurde. Der Stimmenanteil der radikalen Rechte ist proportional zur Staatsverschuldung.
In Luxemburg akzeptieren die Besitzlosen die Hegemonie der Besitzenden. Die traditionellen Parteien bleiben stabil: Die CSV überwand die Krise nach ihrem Machtverlust 2013. Die LSAP kann sich noch immer als Garantin des Sozialstaats darstellen. Die DP schrumpfte nicht zur Krämersekte.
Die Kapitalbesitzer versprechen sich keinen Gewinn von der radikalen Rechten. Auch wenn sie deren Grünen-Feindlichkeit teilen. Deren Sorge um gute Geschäftsbeziehungen zu China und Russland.
Da bleibt der ADR nur Eines übrig: sich in die herrschenden Verhältnisse zu fügen. Deren Verfassung und Institutionen zu ehren, Kreide zu fressen. Die alte Rentenpartei will keine Nazipartei sein. Im Tonfall des gesunden Menschenverstands verspricht sie stacklëtzebuerger Protektionismus in den Schulen und am Arbeitsmarkt. Um ihre Wählerschaft vor der Konkurrenz besser ausgebildeter Grenzpendler zu schützen. „Wachstumsdebatte“ nennt sie die Rückkehr zu Zucht und Ordnung des CSV-Staats in den Fünfzigerjahren. Ihr Ideal ist die klerikale Prawo i Sprawiedliwość in Polen. Mit der sie zur Partei Europäischer Konservativer und Reformer gehört. Zusammen mit italienischen und schwedischen Faschisten.
Vor zwei Jahren marschierte der Facebook-Mob als randalierende Impfgegner zum Weihnachtsmarkt. Die entsetzte Regierung lieh Wasserwerfer und wurde doppelt vorsichtig: Wenn es derzeit heißt, die Energiepreise weiter zu deckeln, die Bauern zu besänftigen.
Die prekärsten Arbeitsverhältnisse werden Grenzpendlerinnen zugemutet. So wird der politische Protest exportiert: 2022 erhielt Marine Le Pen im angrenzenden Département Moselle 50 Prozent der Stimmen, in Meurthe-et-Moselle 46 Prozent.
Aber man ist vorsichtig. Das Instrumentarium für einen autoritären Neoliberalismus liegt bereit: Als Kampf gegen Terroristen und Corona-Viren stellten DP, LSAP, Grüne und CSV bürgerliche Freiheiten zur Disposition. Sie änderten die Verfassung, das Strafgesetzbuch und die „gouvernance des finances publiques“.