Liberale Parteien sind politische Relais ökonomischer Gewalt. Der unpersönlichen Gewalt des Marktes. Die wie von Geisterhand dafür sorgt, dass der Herr Herr und Max Max bleiben. Die die Vermögensunterschiede scheinbar naturgesetzlich vergrößert. Fortschritt ist für liberale Parteien Schumpeters „schöpferische Zerstörung“: die Entfesselung ökonomischer Gewalt.
Herrschaftstechniker verbrämen Herrschaft als „governance“. Sie ist ein Gewaltverhältnis. Heutzutage oft ein verhülltes. Denn für das Leben eines Staates sind zwei Elemente notwendig: „forza e consenso, coercizione e persuasione“ (Antonio Gramsci, Quaderni del carcere, Bd. 6, §87).
Das Französische beschönigt. Es spricht von „pouvoir exécutif“. Das Deutsche ist unverblümt: „Der Großherzog [...] übt gemeinsam mit der Regierung die Exekutivgewalt aus“ (Verfassung, Art. 44). Der Großherzog, die Ministerinnen und Minister sind Gewalthaber. Die Bettler in der Hauptstadt wissen, was gemeint ist.
Der Konkurrenzkampf um Kandidatinnenplätze in den Parteien, dann die Wahlkämpfe und Wahlen treffen eine Auslese unter den Anwärtern auf Exekutivgewalt. Am Ende bleiben Leute mit Durchsetzungsvermögen, manchmal Rücksichtslosigkeit. Später verursacht langanhaltende Exekutivgewalt eine Rückkoppelung: Sie steigert das Selbstwertgefühl von Regierungsmitgliedern, ihre autoritären Veranlagungen bis zur Enthemmung. „You can do anything. Grab ’em by the pussy.“ Schwärmte Donald Trump vom Rausch der Macht (Washington Post, 8.10.2016).
Klaus Theweleit weiß von einer „bestimmte[n] Form der Männlichkeit also, die nicht anders kann, als gesellschaftliche Wirklichkeit über Gewaltverhältnisse zu gestalten“ (NZZ, 30.11.2019). Der Staat kann solche Männlichkeit gebrauchen. Um seine Selbsterhaltung zu sichern. Und den Erhalt der bestehenden Eigentumsverhältnisse zu gewährleisten. Mit ökonomischer und notfalls polizeilicher Gewalt.
Vielleicht gibt es eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der Exekutivgewalt. Eine Gewaltenteilung zwischen fünf Ministerinnen, die eher für Konsens und Überzeugung zuständig sind. Und zehn Ministern, die sich auf Gewalt und Zwang verstehen sollen.
Am 8. Februar verbreitete eine Dippacher Studentin ein Gewaltvideo auf Whatsapp. Es erzählt von einem Streit in einer hauptstädtischen Imbissstube. Zwischen einem Inhaber von Exekutivgewalt und einer ihm unterstellten Beamtin.
„Jo, et ass eng traureg Realitéit, mat där mer do confrontéiert sinn, déi ëmmer méi heefeg gëtt: Gewaltvideoen, déi an de soziale Medien zirkuléieren.“ Klagte Erziehungsminister Claude Meisch am 13. Juni 2023 während einer Fragestunde des Parlaments.
Die Begegnung in der Imbissstube sei „hefteg an deels och emotional“ gewesen. Eine Kaffeetasse sei zu Boden gegangen. Gab der Minister gegenüber RTL im Off zu (8.2.24).
Der Streit geschah an einer winzigen Nahtstelle der Klassengesellschaft: Wo die ranghohe Beamtin dem Inhaber der Exekutivgewalt direkt weisungsgebunden ist. Das heißt auch ökonomisch abhängig. Abhängigkeitsverhältnisse machen Konfliktparteien ungleich. Es bringt die abhängigen Parteien zum Schweigen.
Adorno weiß vom „Maß an Grobheit, Dumpfheit und Gewalttätigkeit, dessen man zur Ausübung der Herrschaft bedarf“ (Minima Moralia, S. 29). Die Studentin will den Minister von der liberalen Partei gehört haben: „Oui, je t’ai frappée. Et tu l’as bien mérité.“ Sie fügt hinzu: „En plus, elle avait une grosse place rouge sur le front.“ – „Mee ech dementéiere formell, dass et zu Aggressioune komm ass.“ Erklärte Claude Meisch gegenüber RTL. Er meinte wohl „coups et blessures“.
Im Juni warb der Erziehungsminister vor dem Parlament für seine zusammen mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft organisierte Kampagne „Not sharing is caring“. Um „op dee Phenomeen vun de Gewaltvideoen anzewierken. Dee ganz schwiereg ze begräifen ass, deen, denken ech, een a mengem Alter, ee mat menger Liewensrealitéit, mat menger bescheidener Presenz an de soziale Medie schwéier kann novollzéien.“