Graue Häuser, graue Läden, graue Gesichter: Millionen Menschen haben am eigenen Leib erfahren, dass Kommunismus auf Armut und Langweile hinausläuft. Nur wenige aber haben begriffen, warum Planwirtschaft auf Dauer bloß auf dem Papier funktioniert. Die traurige Wahrheit: Es hat nichts mit russischen Genen oder Faulheit zu tun. Smarte, urdemokratische EZB-Banker versagen bei der Wirtschaftslenkung genauso kläglich wie Apparatschiks in Nordkorea.
Bereits 1976 brachte der Ökonom János Kornai das Elend auf einen Begriff: soft budget constraints. Vereinfacht und auf Deutsch: Der Ostblock kollabierte, weil Firmen nicht pleite gehen konnten. Nicht pleite gehen durften: Entlassungen oder gar Betriebsschließungen waren tabu. Marode Staatsbetriebe, die aus wertvollen Rohstoffen unverkäuflichen Schrott machten, wurden von Staatsbanken bedingungslos mit Krediten versorgt – und die Verluste von der Zentralbank durch Gelddrucken gedeckt. Gute Beziehungen zu Beamten, die Subventionen verteilen, waren für die Kombinate wichtiger als gute Produkte für Konsumenten.
Ähnliche Konzepte westlicher Ökonomen fokussieren materielle Fehlanreize (bailout oder moral hazard: „Zocke, so viel du willst; das Risiko tragen die Steuerzahler-Deppen“). Dagegen interessiert sich Kornai vor allem für Macht und Verhandlungen, Psychologie und Verhalten. Er findet auch in vermeintlich kompetitiven Marktwirtschaften viele Beispiele für „dehnbare“ Budgets: Chronisch defizitäre Eisenbahnen, alle paar Jahre erneut zu retten. Alimentierte Landwirte. NGOs, die von Staatsknete leben. Vor allem aber Banken: too big to fail.
Um 1990 platzte in Japan eine durch billiges Geld aufgeblähte Aktien- und Immobilienblase. Als die Zentralbank den Versuch startete, die Folgen mit noch mehr Geld wegzuschwemmen, prägten Journalisten einen knackigeren Begriff für das Phänomen: Zombifizierung. Ein Zombie-Unternehmen kann die Zinsen für alte Schulden nicht mehr aus laufenden Gewinnen bezahlen, sondern nur mit neuen Krediten. Diese bekommt es von Zombie-Banken, die nicht zuletzt wegen niedriger Zinsen so wenig Eigenkapital haben, dass sie beim Abschreiben alter Kredite selbst untergehen würden. Die Zentralbank macht den Tanz der Verwesenden möglich: Sie verteilt an die Banken Geld fast gratis, kauft auch direkt Aktien und Unternehmensanleihen. Bei Zinserhöhungen wären die Zombies sofort zahlungsunfähig.
Untote Firmen und Banken stützen sich gegenseitig wie zwei Betrunkene. Ein typisches Pärchen ist in Italien das überschuldete Modehaus Stefanel und seine kongeniale Hausbank Monte dei Paschi di Siena. Zombie-Staaten können ihre Schulden ebenfalls niemals tilgen, sondern allenfalls mit neuen Krediten die Zinsen zahlen – sind also bei nüchterner Betrachtung genauso pleite. Deshalb drucken die „unabhängigen“ Zentralbanken Geld ohne Ende und halten mit immer abstruseren Aktionen die Zinsen niedrig.
Japans Zombiewirtschaft siecht schon seit 30 Jahren. Schmerzhafte Anpassungskrisen und Massenarbeitslosigkeit wurden dadurch vermieden. Die Konkursverschleppung hat aber einen hohen Preis: Schuldenexplosion und erodierender Wohlstand. Seit 1997 sind die Reallöhne um zehn Prozent gefallen. Zwei Drittel der Rentner (müssen) arbeiten. Die Jugend hangelt sich von einem Teilzeitjob zum nächsten. Wer mangels bezahlbarer Wohnung im Internet-Café übernachtet, denkt kaum an Nachwuchs. Die Ungleichheit nimmt zu: Nullzinsen machen wenige Aktionäre reich, enteignen aber die vielen Kleinsparer.
Das Nullwachstum ist nicht nur sozial, sondern auch ökologisch ein Desaster: Schwerindustrielle Dinosaurier, die künstlich ernährt werden, sind dreckiger als innovative Start-Ups, für die kaum Geld übrigbleibt. Japan ist berühmt für High-Tech, Autos und Kameras. Erstaunlich viele Arbeitskräfte stecken aber in alten, kaum grünen Branchen fest: Stahl und Zement. Das Land der untergehenden Sonne wird sinnlos zubetoniert.
Paradoxerweise bewirkt die Geldschwemme bisher nicht die beabsichtigte Inflation. Zombies haben nur ein Ziel: Für die nächste Zinszahlung muss Geld her! Das nennt sich „deflationärer Preisdruck“: Je billiger das Geld ist, desto mehr Zombies entstehen, die zu jedem Preis verkaufen. Die Inflationsrate sinkt, was wiederum die Zentralbank zu immer verzweifelteren Gelddruck-Orgien anstachelt… Ein Teufelskreis.
Seit der Finanzkrise von 2007 folgt auch der Rest der Welt dem japanischen Modell. Forscher der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schätzen, dass in den entwickelten Ländern von 1990 bis 2016 bei den börsennotierten Unternehmen der Zombie-Anteil von zwei auf zwölf Prozent gestiegen ist. Dabei ist China, das auch bei der Zombifizierung an die Weltspitze strebt, nicht mitgezählt. Bereits vor Corona häuften sich überall Symptome wie Wachstumsschwäche, prekäre Beschäftigung, Ein-Euro-Läden, Obdachlosigkeit.
Ökonomen schreckt vor allem das Wachstum der Produktivität. Genauer gesagt sein Fehlen: Trotz Digitalisierung nimmt die Produktion pro Arbeitsstunde nicht mehr zu. Zombies haben kein Geld für Forschung oder Weiterbildung. In der EU hat übrigens Luxemburg mit Italien und Griechenland die schlechteste, gar rückläufige Produktivitätsentwicklung. Das Großherzogtum stagniert auf hohem Niveau. Beamte oder Immobilien-Erben können das bequem noch jahrelang durchhalten. Junge, weniger privilegierte Luxemburger sollten sich dagegen mit Themen wie Kinderlosigkeit, Junk-Jobs oder Auswanderung befassen. Wobei das Auswandern schwierig wird, denn die Internationale der Zentralbanker schafft, wovon Kommunisten bislang nur träumten: die ganze Welt gleichzeitig ruinieren.
Die diversen „Rettungspakete“ im Gefolge der Corona-Krise treiben die Zombifizierung weiter an. Der Ökonom Daniel Stelter schätzt, dass weltweit Staaten dafür 18 Billionen Euro mobilisieren. Es muss aber nicht immer Geld sein, den Markt kann man auch mit Vorschriften verzerren: In Deutschland wurde „vorerst“ bis Ende September, zum Teil bis Jahresende die Pflicht zur Insolvenzanmeldung ausgesetzt. Das verhübscht die Statistik: Im Corona-Juni 2020 gab es offiziell nicht mehr Firmenpleiten als im gesunden Vorjahresmonat, sondern 29 Prozent weniger. Bankrotte Geschäftsführer, die Sachen bestellen, die sie nicht bezahlen können, müssen kaum mit Strafe für Eingehungsbetrug rechnen. Das dürfte dazu führen, dass selbst solvente Käufer bald nur noch gegen Vorauskasse beliefert werden. Cash auf die Hand oder der Bierkutscher lädt das Fass gar nicht erst ab – wer weiß schon, ob der Kneipenwirt morgen noch da ist? Unsicherheit hemmt aber Geschäfte.
Und dann sind da auch noch die Finanzinstitute. Sie dürfen Staatsanleihen zum Nennwert und ohne Eigenkapitalunterlegung bilanzieren – als ob griechische Papiere tatsächlich etwas wert wären. Im März hat nun die Europäische Bankenaufsichtsbehörde für Banken die Pflicht ausgesetzt, „in Folge der Corona-Krise gestundete“ Kredite als Zahlungsausfall abzuschreiben. Im Juni wurde dieses Moratorium zunächst bis Ende September verlängert: Faule Kredite gelten bis auf Weiteres als werthaltige „Vermögensgegenstände“. Immer mehr Firmen und Banken sind im Blindflug unterwegs; niemand weiß, wie kaputt die Wirtschaft wirklich ist.
Wie lange kann das gutgehen? Wie die britische Antisozialistin Margaret Thatcher bemerkte, funktioniert Planwirtschaft, bis „you run out of other people’s money“ – bis alte Substanz aus produktiveren Zeiten aufgezehrt ist. Das kann allerdings dauern. In Japan verzögern erfolgreiche Exportfirmen das Ende. Außerdem sind dort die Gewerkschaften brav: Einverstanden mit der Erhöhung des Rentenalters auf 70, wenn nicht gar 80 Jahre. Französische Gelbwesten wären da möglicherweise nicht so geduldig.
Für Europa erwartet Markus Krall, Bankenexperte und Chef der Degussa-Goldhandel, den Crash wesentlich früher: „In diesem Herbst werden die ersten Zombies kippen, weil ihnen die Luft ausgeht.“ Der Ökonom Thorsten Polleit vermutet dagegen, dass Staaten und Zentralbanken noch allerhand „neue Kaninchen aus dem Zylinder zaubern“ können: Den Banken faule Kredite abkaufen, Banken mit Geld der EZB rekapitalisieren, Helikoptergeld verteilen, Bargeld oder auch die Goldhaltung verbieten. Sicher sei jedenfalls, dass das Zombie-System ohne staatliche Eingriffe nicht mehr zu halten ist: „Das sollte die Bürger in größte Besorgnis versetzen.“