ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Der Kapitän

d'Lëtzebuerger Land vom 15.12.2023

Zufrieden posierte Luc Frieden 2006 vor goldenen Gardinen im Finanzministerium. Wie Louis XIV. in Versailles. Nun will der Premierminister nicht einmal mehr Staatsminister sein. Er gibt sich zeitgemäß, zweckorientiert. Vielleicht sogar bescheiden.

Er selbst, andere CSV-Mitglieder, die Presse begründen den Verzicht unterschiedlich. Niemand weiß, was der obskure Titel „Ministre d'état“ bedeutet. Er steht in keinem Gesetz, keinem Zivilkundebuch.

1856 schickte König-Großherzog Wilhelm III. das Parlament nach Hause. Er widerrief die demokratischen Errungenschaften der Revolution von 1848. Nach dem Staatsstreich verfügte die Verfassung: „Le Roi Grand-Duc règle l’organisation de son Gouvernement.“ Der Artikel blieb 176 Jahre in Kraft.

Der König-Großherzog verordnete einen „Beschluß vom 9. Juli 1857, über Bildung der Staatsregierung des Großherzogthums“: „Die Staatsregierung Unseres Großherzogthums besteht aus einem Präsidenten mit dem Titel, ‚Staatsminister‘.“ Dieser „überwacht im Allgemeinen den Gang der öffentlichen Angelegenheiten, und sorgt für Aufrechthaltung der Einheit [...] der Staatsverwaltung“.

Luxemburg bekam einen Staatsminister. Weil Preußen einen hatte. Das erleichtert die Verständigung. „Staatsministerium“ hieß in Preußen die dem König unterstellte Regierung. Luxemburg gehörte zum Deutschen Bund. Es war eine Bundesfestung mit preußischen Soldaten. Der niederländische König-Großherzog liebte das autoritäre Preußen.

Der reaktionäre Regierungspräsident Charles-Mathias Simons wurde erster Staatsminister. Das „Arrêté“ wurde bei jeder Regierungsbildung aktualisiert. An der Spitze der Regierung stand bis 1989 ein „président, ayant le titre de Ministre d’État“. Dann wurde Jacques Santer „président, ayant le titre de Premier Ministre“. Er und seine Nachfolger unterzeichneten weiterhin als „Premier Ministre, Ministre d’État“. Das „Arrêté“ von 1857 wurde erst vor fünf Monaten abgeschafft. Als die neue Verfassung in Kraft trat.

2009 schlug der parlamentarische Ausschuss eine Verfassungsrevision vor. Er wollte eine Hierarchie der Regierungsmitglieder in die Verfassung schreiben. Die CSV hatte mit ihrem Staatsminister Jean-Claude Juncker gerade ihr bestes Wahlergebnis seit einem halben Jahrhundert erzielt.

Gegen Ende seiner Amtszeit wurde Premier Jean-Claude Juncker launenhaft. Die LSAP-Minister ertrugen das schlecht. Im Verfassungsausschuss und im Tageblatt plädierte LSAP-Abgeordneter Alex Bodry: Ein Premierminister sei nur ein „primus inter pares“.

Der Ausschuss wollte auch den „Staatsminister“ in die Verfassung schreiben. Der Staatsrat riet 2012 ab: Der Titel sei nicht im Einklang mit anderen Verfassungsartikeln. Im Ausland werde er missverstanden. Nun steht er nicht in der Verfassung.

Artikel 91 der neuen Verfassung bestimmt: „Le Premier ministre coordonne l’action du Gouvernement et veille au maintien de l’unité de l’action gouvernementale.“ Das stand schon im Beschluss von 1857. Vor 14 Tagen verabschiedete die Regierung ein „Règlement interne du Gouvernement“. Über den Premierminister heißt es zusätzlich: „Il dirige le Ministère d’État.“ Es gibt weiter ein Staatsministerium. Aber keinen Staatsminister mehr.

Luc Frieden macht Auslandsreisen. Als Staatsminister fürchtet er, bei der Sitzordnung übergangen zu werden. In Belgien und den Niederlanden ist „Staatsminister“ ein Ehrentitel für ausgediente Politiker. In Frankreich ist es ein protokollarischer Ehrentitel für Minister. In Deutschland für Parlamentarische Staatssekretäre.

Luc Frieden wollte sein Leben lang mehr als ein „primus inter pares“ sein. In der Regierung möchte er „Leader“ und „Kapitän um Schëff“ sein (RTL, 21.11.23). Andere Premierminister leiteten zusätzliche Ressorts: Finanzen, Äußeres, Arbeit, Justiz, öffentlichen Dienst... Dazu hat Luc Frieden keine Zeit. Der Kapitän möchte vollamtlich auf der Kommandobrücke stehen.

Romain Hilgert
© 2024 d’Lëtzebuerger Land