„Ee vun deene groussen Themen ass fir eis de Kampf géint d’Aarmut.“ Betonte Luc Frieden nach der ersten Runde der Koalitionsverhandlungen. Bei den parlamentarischen Debatten über das Koalitionsabkommen vermisste die Opposition dann das große Thema. Sie irrte. Sie las das falsche Kapitel.
In einer Gesellschaft von Armen und Reichen wird Armut zuerst im Kapitel „Justiz“ behandelt. CSV und DP verschärfen den Kampf gegen die Allerärmsten. Deren Arbeitskraft kein Unternehmer, keine öffentliche Einrichtung, kein privater Haushalt kaufen will. Nicht einmal schwarz. Die für keinen Niedriglohnsektor des Ersten oder Zweiten Arbeitsmarkts „aktiviert“ werden können. Die ihrer Bürgerpflicht als Konsumenten nur rudimentär nachkommen. Die ökonomisch nutzlos sind: Obdachlose, Bettlerinnen, unerwünschte Asylsuchende, Kleinkriminelle.
Im Juli 2022 stimmten DP, LSAP, Grüne und Piraten ein Gesetz gegen Obdachlose, die sich in einem Hauseingang vor Kälte und Regen schützen wollen. Sie werden von der Polizei verscheucht, „au besoin par la force“. Der CSV-Abgeordnete Léon Gloden wollte mit einem Änderungsantrag eine „détention administrative“ hinzufügen. Auf Armut soll eine zwölfstündige Haftstrafe ohne Gerichtsverfahren stehen. Der Antrag scheiterte. Den Antrag, „e strikte Platzverweis“ (RTL, 29.11.), will er nun als Innenminister durchsetzen.
Der „strikte Platzverweis“ droht auch Bettlern, die vor einem Geschäft um eine Münze bitten. Das Koalitionsabkommen kriminalisiert die Bettelei. Unter dem Vorwand der „lutte contre la traite des êtres humains, notamment en matière de mendicité“ (S. 108). Prostitution wird im Abschnitt über Menschenhandel nicht erwähnt. Anders als Bettelei ist sie ein Dienstleistungsgeschäft.
Luxembourg for Finance lockt High-net-worth individuals. Unerwünscht sind Low-net-worth individuals. Luc Frieden nannte sie in seiner Regierungserklärung „Mënschen, déi net politesch oder Krichsflüchtlinge sinn“. Die es wagen, Asyl vor der Armut zu suchen. Sie „mussen och kënne méi schnell dann zréck an hir Heemechtslänner zréckgefouert ginn“. So Léon Gloden (RTL, 29.11.).
Ihr nackter Leib soll die Besitzlosen verraten: Die „services de la Direction de l’immigration pourront demander des tests ADN“, „recourir à toutes les méthodes appropriées permettant de définir l’âge d’un demandeur d’asile“ (Accord de coalition 2023-2028, S. 186).
Einige von ihnen wurden unter der linksliberalen Regierung aus den Heimen vertrieben. Den unter der rechtsliberalen Regierung Asyl Gewährten „vivant dans des structures de l’O[ffice] N[ational de l’] A[accueil], ne pourront plus bénéficier de la totalité du montant du revenu d’inclusion sociale (REVIS)“ (S. 187). Ein Teil soll als Miete oder Bürgschaft einbehalten werden.
Armut ist die Voraussetzung von Reichtum. Reiche halten sie sich mit dem Strafgesetz vom Leib. Das Koalitionsabkommen von DP, LSAP und Grünen versprach, „de permettre l’évacuation plus rapide de certaines affaires de flagrant délit“ (S. 19). Nun wollen CSV und DP Ernst machen: „[L]e Gouvernement introduira la comparution immédiate pour certaines infractions“ (Accord de coalition 2023-2028, S. 108).
Die „Comparution immédiate“ ist keine neue „chambre de médiation spécialisée en matière financière“ (S. 105). Sie ist eine Billigjustiz für Arme. Die im Halbstundentakt wegen Ladendiebstahls oder Drogenbesitzes abgeurteilt werden.
Beim kurzen Prozess soll es der Wählerschaft von CSV, DP und ADR warm ums Herz werden. Wenn in kurzen Lieferketten die Gerichte und die ratlosen Pflichtverteidiger das ganze gesellschaftliche Elend vorgeführt bekommen. Um es just-in-time zu verarbeiten und wegzusperren.
Die Angeklagten wissen, dass sie keine Chance haben. Sie verstehen keine Landessprache, keine Strafprozessordnung. Sie sind zu arm für die Unschuldsvermutung. Armut fällt unter eine Schuldvermutung.