ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

CSV-Staat 3.0

d'Lëtzebuerger Land vom 17.11.2023

Mit der Amtsübergabe endet diese Woche die Ära der liberalen Reformkoalition von DP, LSAP und Grünen. Sie dauerte zehn Jahre.

Nach dem Bankenkrach und der Wirtschaftskrise 2008 versackte das Luxemburger Modell. Remedur war von den Konservativen nicht mehr zu erwarten. Interessierte Kreise zauberten einen fünf Jahre alten Geheimdienstskandal hervor. Damit stürzte die LSAP ihren CSV-Premier.

Die neue Koalition hatte ein Programm: Sie sollte die Wählerschaft gesellschaftspolitisch liberal, die Unternehmer wirtschaftspolitisch liberal bedienen. Die Ära lässt sich in drei Etappen gliedern.

Zuerst die Euphorie der Reform- und Sparpolitik. Sie dauerte vom Wahltag, dem 20. Oktober 2013, bis zum 26. April 2016. Die Fürsorge galt dem globalen Finanzkapital: Nach Luxleaks musste seine aggressive Steuerplanung gerettet werden. Die Koalition versprach, die Fenster des muffigen CSV-Staats aufzureißen. Durch die Privatisierung des Erzbistums, eine Abtreibungsreform, später die Legalisierung des Cannabis-Geschäfts. Ihr Held war der tollkühne Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Gleichzeitig beschloss sie Austerität und Steuererhöhungen: Sie dekretierte einen strukturellen Überschuss von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als mittelfristiges Haushaltsziel.

Das zahlte die Wählerschaft ihr heim. Bei den Europawahlen und dem Referendum über eine Wahlrechtsreform. Mit der Erklärung zur Lage der Nation am 26. April 2016 verkehrte die Koalition den mittelfristigen Haushaltsüberschuss in ein strukturelles Defizit von –0,5 Prozent. Um mit Gratistransport, Punktwerterhöhung, Steuersenkungen, Elternurlaub ihre Haut zu retten. Die Aufmerksamkeit galt dem wahlberechtigten Kleinbürgertum, dem sozial integrierten Teil der Arbeiterklasse. Die Koalition überstand wider Erwarten die Wahlen. Die Ratlosigkeit der CSV half ihr dabei. Die Helden waren müde.

Die dritte Etappe begann mit dem ersten Covid-Infizierten am 29. Februar 2020. Die Koalition regierte im Ausnahmezustand. Den Haushaltssaldo nannte sie: „Et kascht, wat et kascht.“ Vorübergehend verstaatlichte sie die gesellschaftliche Reproduktion. Der wirtschaftliche Liberalismus war am Ende. Im Lockdown auch der gesellschaftspolitische. Die neue Heldin war die fürsorgliche Gesundheitsministerin Paulette Lenert. Während des Ukraine-Kriegs verstaatlichte die Koalition Kosten des Erdgasboykotts. In der Inflation bezuschusste sie die Haushalte. Die Staatskasse übernahm die Lohnkosten einer Indexanpassung. Die Aufmerksamkeit galt der Nation. In der Nussschale der Tripartite. Das Luxemburger Model wurde schuldenfinanziert. Dankbar bestätigte die Wählerschaft am 8. Oktober die Regierungsparteien DP und LSAP mit zusätzlichen Stimmen und Mandaten.

Die Reformkoalition von DP und LSAP zwischen 1974 und 1979 bot ein Update 2.0 des CSV-Staats. Seine Anpassung an die Lebensgewohnheiten und Arbeitskämpfe nach Achtundsechzig. Auf der erneuerten Grundlage konnte die CSV wieder ein halbes Jahrhundert lang regieren.

Nun installierten DP, LSAP und Grüne das Update 3.0. Sie passten den CSV-Staat an das 21. Jahrhundert an. An die neuen Lebensgewohnheiten, die Krise des Neoliberalismus, die Kriege. Um die Kapitalverwertung unter veränderten Bedingungen zu gewährleisten. Um die Gefolgschaft der besitzlosen Klassen zu sichern. Nur die grüne Anpassung an die Klimaveränderung lehnte die Wählerschaft ab: Das war das Ende der Koalition.

DP, LSAP und Grüne versuchten nur 2015 Bruch mit dem CSV-Staat. Sie entstaubten und liberalisierten ihn. Am Ende waren alle bereit, sich der CSV an den Hals zu werfen. Die CSV kann den Staat wieder übernehmen. Ob es für ein halbes Jahrhundert reichen wird, ist nicht abzusehen. Zehn Jahren Linksliberalismus folgt Luc Friedens autoritärer, unternehmerfreundlicher Rechtsliberalismus. Ob die alte Volkspartei damit wieder hegemoniale Partei wird, entscheiden andere.

Romain Hilgert
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