ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Steueroase mit Herz

d'Lëtzebuerger Land vom 03.11.2023

Mit dem Regierungswechsel in den nächsten Wochen endet die Amtszeit von Außenminister Jean Asselborn. Er war 19 Jahre im Amt. Nur Joseph Bech (33 Jahre) und Paul Eyschen (27 Jahre) waren länger Außenminister. Jean Asselborn war der beliebteste. Die Umstände waren günstig.

Das Land ist zu klein, um strategische Ziele zu verfolgen. Seine diplomatischen Interessen sind meist Geschäftsinteressen. Damit sie ernst genommen werden, muss der Zwergstaat ernst genommen werden. Dazu muss dieser wiederum seine Hoheitsrechte ernst nehmen. Sie nicht nur meistbietend verpachten.

Es bedurfte eines Ministers mit großer Erfahrung und unbändiger Energie: Er flog bis ans Ende der Welt, um 131 Stimmen für einen Sitz im Weltsicherheitsrat zu sammeln. Er nahm an Hunderten Konferenzen, Verhandlungen, Vermittlungen und Missionen teil. Viele waren ohne Belang für das Land. Aber er zeigte der Welt, dass es Luxemburg ernst gemeint ist mit seinen Hoheitsrechten. Und es zu Gegenleistungen bereit ist.

Das Großherzogtum tut sich an der Steuerbemessungsgrundlage anderer Länder gütlich. Es bessert seinen Ruf mit Entwicklungshilfe, Asylpolitik, Auslandseinsätzen seiner Armee auf. Und mit Auftritten seines Außenministers in aller Welt und im deutschen Fernsehen. Wer könnte eine Steueroase mit Herz glaubwürdiger verkörpern als ein leutseliger Sozialdemokrat? Wenn sie wieder durch graue OECD-Listen oder Luxleaks bloßgestellt wurde.

Mangels ökonomischer und militärischer Macht müssen Luxemburger Außenminister auf persönliche Beziehungen setzen. Jean Asselborn brachte Frank-Walter Steinmeier ein Fahrrad ins Krankenhaus. Sergej Lawrow kam zum Geburtstagsfest nach Steinfort.

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Premierminister auch Außenminister. Später stritten sie über die Zuständigkeit für die Europapolitik. In diesem Fall für den Verfassungsvertrag, die Euro-Krise, den Brexit... Jean-Claude Juncker und Xavier Bettel hatten den Vortritt in der Hierarchie. Jean Asselborn hatte die Rufnummern in- und ausländischer Journalisten im Handy.

Jean Asselborns Außenpolitik war sozialdemokratisch: Er war nur ab und zu Kriegstreiber. Dann rutschte er gleich ins Groteske ab. Als einer der Ersten rief er zu einem Militärschlag gegen Muammar al-Gaddafi auf, gegen einen „Völkermord in höchster Potenz“ (Deutschlandfunk, 23.2.11). Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wollte er Wladimir Putin „physesch eliminéiert“ haben (Radio 100,7, 2.3.22).

In den Nachbarländern suchen Politiker Popularität durch brutales Auftreten gegen Asylbedürftige. Jean Asselborn brachte das Kunststück fertig: gastfreundlich gegenüber Asylbedürftigen und zugleich der beliebteste Politiker zu sein. Bürokratische Willkür korrigierte er mit der Willkür der Gnade. Nun verdarb der Immigrationsminister dem Außenminister um einen Monat den Abgang.

Wenn es um Geschäftsinteressen geht, herrscht meist nationaler Konsens. Jean Asselborn polterte gegen die stramm rechten Regierungen in der Europäischen Union. Die Unternehmer hielten dies für eine Gefährdung ihrer Exportchancen. Im Parlament eröffnete sein ehemaliger Untergebener Fernand Kartheiser (ADR) die Feindseligkeiten. Danach fand auch Claude Wiseler (CSV), dass „d’Lëtzebuerger Aussepolitik e ‚Blindflug‘ ass, ouni Pilot, ouni Plang an ouni Zil“ (11.11.22). Die Rechten verzeihen der Außenpolitik nicht, dass sie auch nach Ramallah flog.

Pasha Rafiys Film Foreign Affairs zeigt den Außenminister auf einer Nahostreise: Wie er in Israel mit eisiger Miene und von der Palästinensischen Autonomiebehörde mit offenen Armen empfangen wurde. Hartnäckig vertrat Jean Asselborn die Ansicht, dass nicht nur die Kolonialmacht, sondern auch die Kolonisierten Rechte haben. Ohne gleich zu verlangen, dass sie dieselben Rechte genießen. Dann brach Hamas mordend und brandschatzend aus dem Gefängnis Gaza aus. Asselborns liberaler Nachfolger wird wieder auf einem Auge blind sein.

Romain Hilgert
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