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Verbrechen und andere Kleinigkeiten

d'Lëtzebuerger Land vom 13.01.2023

Benoit Blanc (Daniel Craig), der überaus schnelldenkende Meisterdetektiv, der mit seiner offensiven Selbstverliebtheit und Arroganz auch gerne mal die Leute vor den Kopf stößt, mag in mancher Hinsicht wie eine Chiffre für seinen Schöpfer stehen: Regisseur Rian Johnson liebt es, überkonstruierte Filmgeschichten zu entwerfen, etwa in Zeitschleifen wie Looper (2012), in dem er sein Genrewissen ausstellt, Publikumserwartungen gezielt unterläuft und mit doppelbödigem Spiel aufwartet. Das machte Knives Out (2019) zum Erfolg – sodass eine Fortsetzung unabdingbar wurde – wobei er für seinen Star Wars-Film, The Last Jedi (2018), jedoch überwiegend Häme erntete. Mit dem klassischen Whodunit-Thriller beweist Johnson nun aber einmal mehr, dass er für sich ein Genre gefunden hat, mit dem er seinem Umfeld – und sich selbst – stets beweisen kann, dass er der cleverste Kopf ist. Und als gelte es sich in Sachen Überlegenheit und Anmaßung selbst zu übertreffen, beinhaltet Glass Onion: A Knives Out Mystery seine für den Meisterdetektivfilm obligate Prämisse – die Erwartung über den zu lösenden Mordfall – in sich selbst: Der Tech-Milliardär und Playboy Miles Bron (Edward Norton) lädt seine langjährigen Freunde zu einem Murder-Mystery-Spiel auf sein Inselresort in Griechenland, der Glass Onion, ein. Was als Krimi-Rollenspiel übers Wochenende, als eine Erhebung über die Überdrüssigkeit vom Corona-Lockdown angedacht war, schlägt aber in bitteren Ernst um, als tatsächlich Todesfälle eintreten und die Geheimnisse der Inselbesucher nach und nach ans Licht kommen ...

War sein Vorgänger noch ein pointierter Angriff auf die materiell und egozentrisch ausgerichtete Oberschicht, so betreibt Glass Onion seine Gesellschaftskritik zwar weiterhin, indem er nach oben austeilt, diesmal aber nimmt er augenscheinlich unverbindlichere, noch verschlagenere Charaktere ins Visier. Die Superreichen, die sich ihren Wohlstand mit Lavieren und Lügen errichtet haben, werden hier ausgestellt. Da gibt es einen Twitch-Streamer, der Alt-Right-Gesinnungen im Netz verbreitet, seine junge und naive Partnerin, die sich ihm für mehr Netz-Reichweite hingibt, ein ehemaliges Model oder noch eine egozentrische Politikerin – alle spiegeln sie im Kern eine ganz emotions- und moralfreie Gesellschaft wider. Eine Ideologie der Werbekörper wird hier anschaulich; wir sehen Menschen, die nur noch Oberfläche sind. Bevor Rian Johnson aber zum Zentrum seines Falles vordringt, müssen erst – einer Zwiebel gleich – die vielen Schichten aufgedeckt werden, um ein Ganzes sehen zu können. Dafür bedarf es zunächst einer umfangreichen und informativen Exposition, es folgt ein ungemein temporeicher Mittelteil mit so vielen Wendungen, wie ein Mozart-Stück Noten hat, um dann in ein fulminantes, unvorhergesehenes Finale überzugehen. Glass Onion lässt sich auf ein stilvolles Spiel mit den Elementen klassischer Vorbilder Agatha Christies ein, in dem ganz im Sinne der Nachahmung auf der einen Ebene eine durchkonstruierte Geschichte erzählt wird, die auf der anderen Seite aber Reflexion, Parodie und Kommentar des Vorbilds ist. Eines äußeren Signalements, wie des großen Schnauzers eines Hercule Poirots, bedarf es diesem Benoit Blanc nicht. Craig kompensiert dieses Erscheinungsbild mit dem nach wie vor überaus dick aufgesetzten Südstaaten-Dialekt, dem southern drawl. Freilich ist der komödiantische Ton dieses Krimis viel stärker als beim Vorgänger, daraus erwächst aber besonders in seinem Finale eine unentschlossen zwischen dem Kindlichen und dem Drastischen pendelnde Mischung. Eines wird aus dem finalen Kinderspiel jedoch ersichtlich: Wir beobachten einen Detektiv, der angesichts des Problems, das er zu bekämpfen hat, keine Chance mehr sieht als sich zurückzuziehen. Es ist bekanntermaßen nicht so sehr die Aufdeckung des eigentlichen Mordes, als vielmehr der Schrecken in der narzisstischen Verfehlung, dem hier das Augenmerk gilt – nur eine radikalere Geste kann da noch zur Resolution führen. Strafe und Opfer scheinen beinahe sehnsüchtig erwartet, so sehr wiegen die Verfehlungen beim sozialen Aufstieg, den Glass Onion sehr komödiantisch aber nicht weniger spitz und desillusioniert beobachtet.

Marc Trappendreher
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