Kino

Glaubensfragen

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2022

Ein Polizeikommissar fällt nach dem tödlichen Autounfall seiner Frau in eine tiefe Existenzkrise. Der Film A White, White Day des dänischen Regisseurs Hlynur Palmáson bot vor drei Jahren ein atmosphärisch dichtes Psychogramm eines in sich selbst verschlossenen Einzelgängers. Das verhält sich auch in Godland so, mit dem Palmáson nun auf die Leinwand zurückkehrt: Wir begleiten einen dänischen Priester (Elliott Crosset Hove) am Ende des 19. Jahrhunderts, der den Auftrag erhält, in Island eine Kirche zu bauen und die Arbeit fotografisch zu dokumentieren. Die Missionarsarbeit erweist sich als mühsam und wenig erfolgreich. Wer der Missionar ist und wer die zu Bekehrenden, wird immer diffuser, je länger der Prozess dauert.

Ehe Palmáson zum Kern seiner Erzählung gelangen kann, ist eine strapaziöse Reise vonnöten. Parallelen zu Werner Herzogs existenzialistischem Abenteuerfilm Aguirre, der Zorn Gottes (1972) drängen sich auf. Doch in der Glaubensfrage offenbart sich, wie überaus nah Palmáson in Inhalt und Form dem schwedischen Großmeister Ingmar Bergman ist: Da wird ein Verlangen nach Gott spürbar, doch Gott schweigt. In oftmals statischen, frontalen Großaufnahmen blicken uns Gesichter an, die dem fundamentalen, plagenden Zweifel keine Antwort entgegenhalten können.

So wird in Godland, je nach Perspektive, die Geschichte vom unscheinbaren Helden, der allen Widrigkeiten zum Trotz für sein Ziel einsteht, erzählt. Oder die vom Antihelden, dem Eindringling in ein geschlossenes und geregeltes System, der dort eine unerwünschte Doktrin oktroyieren will und obendrein mit einer Geste der anthropologischen Anmaßung die Einheimischen dokumentieren möchte. Held oder Antiheld sind in beiden Fällen solche, weil sie wegen einer Beschränktheit oder einer Selbstbeschränkung den Gegebenheiten unterworfen sind oder sich ihnen unterwerfen. In beiden Perspektiven ist es eine Geschichte, die in ihrer antiklassischen Erzählweise den Fokus besonders auf die Zustände legt, die beschrieben werden.

Es kommt in der Folge zu einer immer intensiveren Aushebelung der Zeitlichkeit. Ein Zeitraum entsteht, der die Wahrnehmung im Moment nach vorne schiebt. Palmásons Kamerafrau Maria von Hausswolff ist sehr deutlich an Oberflächenstrukturen interessiert, die mit reichen Texturen dem dramaturgischen Orientierungssinn entgegenwirken. Mit diesem vom Publikum empfundenen Verlust für das Gefühl zeitlicher Kontinuität verbindet sich der zunehmende Glaubensverlust des Protagonisten: ein überaus anstrengender und seltsam erschöpfender Effekt.

In dieser intensiven Bearbeitung der Zeitlichkeit vermittelt Godland etwas grundsätzlich Existenzialistisches, denn es ist die Zeit, die auf alles einwirkt. Der Tribut an sie wird an dem psychischen Zusammenbruch des Priesters zu erkennen. Dem gehen zudem mehrere Schwächeanfälle voraus, vor allem aber wird die Zeit hier in der filmischen Form spürbar durch die Akzentuierung der narrativen Leerstellen.

Selbstverständlich setzt Hlynur Palmáson einmal mehr auf die Dramatisierung der Landschaft: Islands nebelverhangene Bergketten und dichte Wälder, sowie die peitschenden Wellenschläge an der Felsküste verbinden sich zu einem Konvolut der Sinneseindrücke. Feuerspeiende Vulkane und vereiste Abgründe laden das Ganze symbolträchtig auf. Sie signalisieren, dass eine von außen erzwungene Unterwürfigkeit, den Regeln der Natur entsprechend, bestraft werden muss. Rache steht hier als eine archaische Form der Moral. Der Ausgang dieser Erzählung um Glauben und Lebenssinn, vom Eindringen in das Fremde, ist dann auch so vorhersehbar, wie das Schicksal für diesen Priester unausweichlich ist.

Marc Trappendreher
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