Kann sein, die Preisdeckel für Strom und Gas müssen 2024 weiter gelten. Wie entscheidet man sowas in einem Wahljahr?

Vom Inflationsschock

Umspannwerk von Creos in Heisdorf
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 13.01.2023

„Ich hoffe, dass wir im Oktober aus der Krise sind.“ Sagte DP-Premier Xavier Bettel gegen Ende seines RTL-Neujahrsinterviews. Eigentlich hatte anchorwoman Caroline Mart von ihm wissen wollen, welche Themen wohl den Wahlkampf dominieren werden. Bettel entgegnete, die Frage stelle er sich nicht; es sei Krise. Man verstand: Krisen sind Zeiten der Exekutive. Das verschafft der Partei von Premier und Finanzministerin einen Vorteil. Solange es gelingt, beide responsabel und führungsstark erscheinen zu lassen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass viele Wähler/innen sich um die DP scharen. Nach dem 8. Oktober kann die besondere Krisen-Erzählung beendet werden. Falls dann tatsächlich alles gut ist.

Vorhersehen kann das natürlich niemand. Kann sein, Russlands Krieg in der Ukraine dauert noch lange. Wladimir Putin nannte ihn am 22. Dezember zum ersten Mal „Krieg“. Kann auch sein, die Energiepreise bleiben hoch. Energieminister Claude Turmes (Grüne) erklärte dem Land vor einer Woche, er gehe davon aus, dass sie auch 2024 und 2025 hoch bleiben und „die Unterstützungsmaßnahmen weitergeführt werden müssen“. Wenngleich schwer vorherzusagen sei, in welchem Umfang (d’Land, 6.1.2023).

Behält Turmes recht, könnte das für die Regierung zum Offenbarungseid werden. Das „Solidaritéitspak 2.0“ getaufte Tripartite-Abkommen vom 28. September gilt nur bis Ende des Jahres, die meisten Tripartite-Gesetze auch. Mit der Deckelung von Strom- und Gaspreis für die Haushalte, dem Heizöl-Subsid und der „Energieprämie“ für Bezieher der Teuerungszulage ist dann Schluss. In der September-Tripartite hatten Gewerkschafts- wie Unternehmervertreter ein „phasing-out“ vorgeschlagen, einen Abbau der Maßnahmen über vielleicht sechs Monate. Der Regierung war das zu delikat: Am 8. Oktober sind Kammerwahlen, ein phasing-out über Monate hätte die nächste Regierung gebunden. Guter Stil wäre das nicht. So hielt ins Abschlussdokument der „Inflationschock“ Einzug. Komme das Statec zum Schluss, dass mit dem Ende der Maßnahmen die Inflation in die Höhe schnellen dürfte, treffe die Tripatite sich wieder. Falls die Wirtschaftslage sich „beträchtlich verschlechtert“, auch.

Zur Inflation gab es Anfang der Woche gute Nachrichten. Das Statec veranschlagt die Jahresinflation 2022 Stand Dezember auf 5,4 Prozent, einen halben Prozentpunkt weniger als im Monat zuvor. Grund dafür ist vor allem ein Preisrückgang für Petrolprodukte um 8,8 Prozent im Dezember. Eine Index-Tranche, von der es hieß, sie würde womöglich noch im letzten Quartal 2022 fällig, ist nun vielleicht im Februar zu erwarten. Vielleicht auch erst im März.

Auch die Preise an der europäischen Gasbörse sehen besser aus. Kurz vor Jahresende fiel der Preis auf dem Sport-Markt, wo heute bestellt und morgen geliefert wird, auf 80 Euro pro Megawattstunde oder so viel wie vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Allerdings sind 80 Euro noch immer deutlich mehr als die zehn bis dreißig Euro, die ein Kubikmeter kostete, als billiges Gas aus Russland im Überfluss zur Verfügung stand, bis Mitte 2021 etwa. Das werde bis zum nächsten Winter nicht mehr so sein, meinte der grüne deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck am 28. Dezember auf einer Pressekonferenz. Habeck „hofft“ lediglich, „dass es Ende 2023 schon besser ist“. Xavier Bettel klang optimistischer. Aber Habeck ist nicht im Wahlkampf und muss keine Krisenerzählung verwalten.

Wieviel Gas nicht diesen, sondern nächsten Winter zur Verfügung steht und wie sich das auf die Preise auswirkt, ist der vielleicht kritischste Punkt, an dem sich entscheidet, ob der Premier tatsächlich noch eine Tripartite einberufen muss. Mitten im Wahlkampf und dann vielleicht nicht zum Thema „phasing out“, sondern „weiter so“. Die Internationale Energieagentur warnte Mitte Dezember vor dem Winter 2023/24. Die EU habe sich 2022 höhere Importe von LNG-Flüssiggas „zu einem großen Teil“ nur sichern können, weil der LNG-Bedarf Chinas wegen seiner Corona-Politik kleiner war als sonst. Stiege er wieder auf frühere Niveaus, und werde der derzeitige Winter noch einmal kalt, und liefere Russland nichts, dann drohe eine „ernsthafte Versorgungslücke“. Und ein „anhaltendes Risiko erneut volatiler Preise und Markt-Turbulenzen“.

Welche Rolle in so einem Zusammenhang die Gaspreisbremse spielt, deutete die Rechnung an, die Enovos-CEO Erik von Scholz am 22. Dezember im Radio 100,7 aufmachte: Gäbe es die Preisbremse nicht, müsste ein typischer Dreipersonenhaushalt mit „durchschnittlicher Energieeffizienz“ nach den aktuellen Enovos-Tarifen 6 200 Euro im Jahr für Gas zahlen. Noch vor ein paar Jahren seien es 1 500 bis 1 800 Euro gewesen. Die Preisbremse drücke die 6 200 auf 3 000 Euro. Die Differenz von 3 200 Euro ist nicht nur enorm. Alles in allem bringen die Maßnahmen des zweiten Solidaritéitspak einkommensschwächeren Haushalten besonders viel Erhalt an Kaufkraft. Bezogen auf das verfügbare Einkommen vor allem den 20 Prozent der Haushalte im untersten Einkommens-Quintil.

Fragt sich natürlich, wann das Statec wird sagen können, ob Anfang 2024 ein „Inflationsschock“ droht, wenn die Hilfsmaßnahmen einfach enden. Ausblicke auf das nächste Jahr macht das Statistikinstitut alle drei Monate, zu 2024 äußert es sich zum ersten Mal in diesem Jahr Mitte Februar, dann Anfang Mai und so fort. Sind LNG-Knappheiten und Markktturbulenzen dann schon klar genug? Das wird auch politische Implikationen haben. Das Staatsministerium schreibt dem Land auf Anfrage, sage das Statec einen „Inflationsschock“ für Anfang 2024 voraus, werde der Premier „zeitnah eine Tripartite einberufen, um über eine temporäre Verlängerung verschiedener Maßnahmen zu beraten und gegebenenfalls übergangsweise die Inflation zu begrenzen und die Kaufkraft zu erhalten, bis eine neue Regierung arbeitsfähig ist“. Alles Weitere wäre dann deren Sache.

Gilles Roth, Ko-Fraktionschef der CSV, die der nächsten Regierung angehören könnte, ginge schon das zu weit: Sofern die Umstände nicht „außergewöhnlich“ sind, müsse die aktuelle Regierung sich „zurückhalten“. Eine Verlängerung der Preisbremsen könne auch die nächste Regierung entscheiden. Und das nächste Parlament in Kraft setzen, das immerhin schon Ende Oktober vereidigt wird. Selbst wenn neue Tripartite-Gesetze erst Anfang 2024 zur Abstimmung kämen, könne man die Hilfen rückwirkend gewähren. So ähnlich wie das mit dem neuen Gehälterabkommen für den öffentlichen Dienst geschieht.

Freilich sind die Modalitäten zur Auszahlung von Beamtengehältern ein paar Grade weniger komplex als Energiepreisbremsen. Diese sind schließlich keine Geldleistungen, sondern werden bei den Energieversorgern verbucht, die nicht umhin kommen könnten, zunächst wieder hohe Preise zu nehmen. Mit allen Auswirkungen, die das hätte. Hinzu kommt: Eine nahtlose Verlängerung der Unterstützungen muss jeder Regierung gelegen kommen, selbst wenn die Vorgängerin das temporär beschließt: Retroaktive Leistungen würden nichts an der Inflationsentwicklung in der Zeit ändern, in der es keine Hilfen gäbe. In anderen Worten: In dem Fall könnte die nächste Regierung, kaum im Amt, ein paar Index-Tranchen entgegensehen müssen. Eben das ist mit „Inflationsschock“ gemeint.

Wahrscheinlich liegt es vor allem daran, dass vom Staatsministerium unumwunden in Aussicht gestellt wird, wenn es sein muss, werde der Premier tätig. Zwar hätte eine Tripartite mitten im Wahlkampf ihre Risiken. Es wäre nicht garantiert, dass die Koali-
tionspartner zusammenhalten. Die anderen Parteien dürften von der Gelegenheit zu profitieren versuchen. Gewerkschaften und UEL könnten neue Forderungen stellen. Aber mit genug Argumenten für die Unausweichlichkeit einer Energiepreis-Tripartite in der Krise hätten die Regierung und DP, LSAP und Grüne am Ende wahrscheinlich nur zu gewinnen beim Wähler. Vor allem die Partei mit dem Premier.

Ein politisch interessantes Detail um die Verlängerung von Solidaritéitspak 2.0-Maßnahmen ist das Timing: Wird schon in vier Monaten genug Klarheit darüber herrschen, wie die Gas-Weltmärkte sich wahrscheinlich entwickeln? Vielleicht nicht. Dann könnte es eng werden mit dem „Sputt“ für noch ein kleines Steuergeschenk der DP vor den Wahlen. Dann bliebe der Partei von Premier und Finanzministerin nur, sich ganz der Krisenmanager-Rolle hinzugeben. Xavier Bettel scheint sich darauf schon eingestellt zu haben.

Peter Feist
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