Zukunft der CFL

Warten auf den richtigen Moment

d'Lëtzebuerger Land vom 16.08.2001

d'Lëtzebuerger Land: Herr Kremer, noch vor einem Jahr war die Haltung der CFL-Direktion zur Liberalisierung im Schienenverkehr defensiv. Da wurde sogar die Identität der Luxemburger Bahn in Gefahr gesehen. Nach Ihrer Amtseinführung vor drei Wochen haben Sie gesagt, man müsse erkennen, dass die Liberalisierung nicht mehr aufzuhalten sei. Woher kommt diese neue Sicht?

 

Alex Kremer: Wir sind noch immer zu-rückhaltend. Für eine kleine Bahn wie uns sind unüberlegte Schritte unter Umständen sehr riskant. Wir merken allerdings, dass das Umfeld sich schnell ändert.

 

Aber im Güterverkehr ist die Liberalisierung doch schon seit längerem eingeleitet?

 

Trotzdem wird diese Politik insgesamt nicht als Paket verabreicht, sondern stückweise. Und national wird sie unterschiedlich gehandhabt: In Frankreich nach wie vor protektionistisch; es gibt dort keinen Betreiber neben der SNCF. In Deutschland dagegen gibt es bereits mehrere Privatbahnen. Am Betrieb von Regionalzügen beteiligen sich im-mer öfter die Bundesländer, wenn die DB sagt: Da legen wir Geld bei, das ist nicht mehr interessant für uns. Würde eine andere Bahn auch Luxemburg anfahren, wäre die Zeit für uns gekommen, mit ihr Gespräche zu führen. Unsere Priorität liegt noch immer bei der grenzüberschreitenden Kooperation. Wir ma-chen nicht den ersten Schritt und erklären einer DB oder einer SNCF den Krieg. Sonst stünden wir schnell vor dem Nichts. Wir müssen aber bereit sein, auf Änderungen zu reagieren. Die Ansätze dazu sollen in dem neuen Strategiepapier definiert werden, das wir bis Anfang 2002 ausarbeiten wollen.

 

Wäre es denkbar, dass die CFL auf deutschen Regionalstrecken Anbieter werden? Zumal die DB Ende 2002 die direkten Interregio-Züge zwischen Luxemburg und dem Rheinland einstellen will?

 

Das kann eine Überlegung wert sein. In diesem konkreten Fall werden wir abwarten, ob es eine Ausschreibung gibt. Ich kann hier und jetzt nicht sagen, was wir tun werden. Auch deshalb nicht, weil wir unsere Pläne nicht preisgeben können. Kein vernünftiger Geschäftsmann tut das.

 

Im Gespräch ist ja, auch auf Regierungsebene, die Schaffung einer Direktverbindung Luxemburg-Frankfurt.

 

Die Regierung von Rheinland-Pfalz hat diesen Plan voran getrieben. Im Moment verhandelt sie noch mit der Bundesregierung in Berlin, weil die einmal zugesagt hat, wenn der neue ICE von Köln nach Frankfurt fährt und auf der westlichen Rheinseite der Intercity-Verkehr abnimmt, sol-len die Interregios als Kompensation mit Bundeshilfe bestehen bleiben. Die DB ihrerseits ist nicht davon abgewichen, sie ab 2002 nicht mehr fahren zu lassen. Es sei denn, die Länder subventionieren den Be-trieb teilweise. Aber auch wenn eine Entscheidung gefallen sein wird, gehen die Diskussionen weiter. An-gedacht ist ein neues Modell mit kleineren Zügen. Wegen der Situation auf dem Markt für Rollmaterial wird aber, schätze ich, nicht rechtzeitig neues Material gekauft werden können und die alte Lösung noch eine Weile weiter bestehen.

 

Dass die CFL ein starkes Angebot machen, ist jedoch abwegig?

 

Prinzipiell gar nicht. Wir wollen gut an Deutschland angebunden bleiben und müssen uns positionieren. Allerdings ist mir die DB-Haltung nicht ganz fremd: Internationale Verbindungen müssen von Gesetz wegen ohne Subventionen auskommen. Diese IR-Züge bringen nicht furchtbar viel ein, weil sie nicht be-sonders gut besetzt sind. Es könnte natürlich sein, dass dem so ist, weil die Verbindung nicht sonderlich leistungsfähig ist. Um das zu ändern, sind in Deutschland Arbeiten an der Infrastruktur nötig. Was CFL-Aktivitäten im Ausland angeht, wäre es mir aber lieber, wenn die nationale oder eine private Bahn in einem solchen Betreiberpool mit drin wäre. Es ist immer besser, wenn ein eingesessener Betrieb im Ausland aktiv wird und die administrativen Hürden nimmt, als jemand von außen.

 

Besteht nicht die Gefahr, dass Luxemburg im Personenverkehr von Hochgeschwindigkeitsstrecken immer stärker umfahren wird und wir wegen unseres letzten Endes kleinen Passagieraufkom-mens an Bedeutung verlieren?

 

Um uns schließt sich tatsächlich ein Hochgeschwindigkeitsviereck: Paris-Brüssel, Brüssel-Köln, Köln-Frankfurt - wenn der neue ICE in Dienst gestellt wird -, und dazu kommt um 2006 der TGV-Est Paris-Frankfurt. Und: Hochgeschwindigkeit bringt eine totale Verzerrung der Distanzen mit sich. Wenn man heute von Luxemburg nach Lyon fahren will, gibt es drei Wege. Entweder über Metz und Dijon, oder nach Paris und von dort per TGV nach Lyon, oder - so verrückt das klingt - von Luxemburg nach Brüs-sel und von dort nach Lyon mit einem TGV, der Paris umfährt. Die Fahrzeit ist jedes Mal etwa gleich. Unsere Mission als CFL ist es, das Transportministerium darauf aufmerksam zu machen, was für Entwicklungen um uns herum ablaufen. Wie in Deutschland mit den In-terregios. Und dann müssen wir mit dem Ministerium Lösungen suchen.

 

Wir werden aber bereits immer weiter abgehängt, oder?

 

Verbindungen nach Paris werden später keine Probleme bereiten, wenn der TGV-Est hierher kommt. Nach Brüssel stellt sich die alte Frage, über die wir schon lange diskutieren. Da sind wir abhängig von den Belgiern und ihren Investitionen in die Strecke über Arlon und Namur. Das größte Problem ist in der Tat Deutschland. Wenn man nach Süddeutschland kommen will, fährt man entweder über Metz oder Trier. Beide Varianten sind nicht die besten.

Es stellt sich erneut die Frage nach einer besseren Anbindung an Saarbrücken ...

Von dort gibt es wirklich sehr gute Verbindungen, wo man zum Teil mit mehr als 200 km/h Richtung München weiterfährt. Eine Lösung für uns könnte darin bestehen, später über die Saarautobahn Shuttle-Busse nach Saarbrücken einzusetzen.

 

Ist im Zeitalter der Liberalisierung eine neue Strecke nach Saarbrücken nicht zu haben? Für CFL wie DB und SNCF könnte sie doch im Interesse aller Kunden sein, oder ist das eine politische Frage?

 

Die Frage ist, wo man baut. Von Metz und auch von Trier kommt man nach Saarbrücken. Wir liegen ungünstig in der Mitte. Da macht eine Autobahnverbindung Sinn.

 

Spielt der Staat eine gute Rolle als Starthelfer in eine liberalisierte Zukunft?

 

Wir sind froh über das ambitiöse Investitionsprogramm der Regierung. Vor allem wegen der Auswirkungen auf den Güterverkehr. Einerseits gibt es auf der Straße immer mehr Engpässe. Wollen wir mehr Fracht auf die Schiene holen, stoßen wir dort schnell an Grenzen, da zum Teil jahrzehntelang an der Infrastruktur nichts gemacht wurde. Der Um-schlagplatz in Bettemburg soll jetzt ausgebaut werden. Das ist eine sehr gute Sache. Ein weiteres Projekt, das allerdings noch nicht genehmigt ist, ist der Bau eines neuen Container-terminals unmittelbar am Güterbahnhof. Heute müssen wir dort noch viel rangieren. Können wir den Knoten Bettemburg besser ausrüsten, sehe ich eine gute Chance für sein Weiterbestehen.

 

Die CFL haben im letzten Jahr Kombi-Frachtverkehr verloren. Ist es so schwer, Kunden dafür zu interessieren, ihre Fracht mal per Lkw, mal per Bahn zu transportieren, oder unterbieten Straßengüterfirmen - vielleicht noch dazu solche mit Fahrern aus Osteuropa - die Schienentransportpreise zu stark?

Preislich ist die Konkurrenz der Straße enorm. Auch die kurzen Wege und das Handling von Fracht, das wir am Eingang und Ausgang des Landes vornehmen müssen, kom-men uns teuer zu stehen. Wir versuchen, das Problem klein zu halten, indem wir unsere großen Lokomotiven zum Beispiel von Antwerpen bis nach Frankreich laufen las-sen. Aber im Kombiverkehr sind wir sehr stark abhängig von Belgien. Ein Großteil der Fracht kommt vom Antwerpener Hafen und ist für Kunden bestimmt, die stark auf die Zeit achten. Wir haben es mit unseren belgischen Kollegen noch nicht fertig gebracht, Pünktlichkeit zu sichern. Deshalb fiel der Rückgang im Kombiverkehr für die SNCB im letzten Jahr ähnlich aus wie für uns. Um so wichtiger sind auf unserer Seite die geplanten Ausbauten im Netz: die schon genehmigte Zweigleisigkeit von Petingen nach Luxemburg und der - wenngleich noch nicht bestätigte - Neubau der Strecke Luxemburg-Bettemburg. Auf der alten Re-lation beträgt die Auslastung in Spitzenzeiten jetzt schon 110 Prozent. Kommt dann noch der TGV-Est hinzu, geraten wir in eine ungute Lage.

 

Anfang Juli gerieten die CFL stark in die Kritik wegen des neuen Fahrplans. Gerade noch rechtzeitig vor einer großen Protestmanifestation in Wiltz wurden, auch nach Einspruch des Transportministers, Änderungen teilweise zurückgenommen. Wie kann es sein, dass in einem Fahrplan Ungereimtheiten auftreten wie eine schlechte Anpassung von Frühzügen an den Stundenplan des Lycée du Nord? Transportleistungen werden doch im Binnenverkehr vom Staat bei den CFL bestellt.

 

Der Fehler lag bei uns. Wir machen Fahrplanvorschläge, das Ministerium bestätigt sie. Aber das ganze ist recht komplex, und ich meine, dem Ministerium muss ein Problem nicht gleich auffallen. Wir haben gesagt, wir brechen den Fahrplantakt auf. Wir haben in der Vergangenheit zum einen Verspätungen von einer Strecke auf die anderen übertragen, weil Züge von Nord bis Süd durchgelaufen sind. Zum anderen haben wir auf der Wiltzer Strecke Verspätungen erzeugt: Kam ein Zug aus Wiltz und traf in Kautenbach zum Anschluss auf einen Schnellzug, wurde es so eng, dass der Zug aus Wiltz in derselben Minute wie er an-gekommen war, schon wieder hätte abfahren müssen. Die daraus entstandenen Verspätungen haben wir bis nach Rodange geschleppt.

 

Aber Ihre Fahrplanexperten hätten das Problem mit dem Lyzeum sehen müssen?

 

Ich denke schon. In diesem Fall haben sie das offenbar nicht gut genug bedacht. Ich sage ganz deutlich, dass uns Qualität ebenso am Herzen liegt wie Sicherheit. Wir wollen die Wiltzer Strecke renovieren. Die Geschwindigkeit musste von 60 auf 50 km/h reduziert werden. Die Busse von Wiltz nach Ettelbrück sollen nur eine Übergangslösung sein. In ei-nem Jahr hoffen wir auf eine Behebung des Engpasses. Es geht uns nicht um die Abschaffung der Züge nach Wiltz.

 

Drängt sich nicht auch der zweigleisige Ausbau der Strecke von Ettelbrück nach Troisvierges auf?

 

Ich halte ihn nicht für derart prioritär. Was sich in erster Linie aufdrängt, sind die Verbesserungen im Süden.

 

Im Süden werden große Verbesserungen geplant. Makroökonomisch ist das bestimmt sinnvoll, und wegen der Neunutzung der Industriebrachen und der zunehmenden Urbanisierung im Raum Esch wird ja nun sogar eine neue Bahnverbindung zur Hauptstadt geprüft. Riskieren wir nicht aber, im dünner besiedelten Norden das zu reproduzieren, was wir im grenznahen Ausland schon als Problem vorfinden: mangels Investitionen solche Regionen unattraktiv für eine Bahn zu machen, die sich letzten Endes rechnen muss?

 

Wir betreiben nicht die Ablösung von Zügen durch Busse. Was es geben muss, ist ein besseres Zug-Bus-Zusammenspiel. Das werden wir an der Gare pilote in Mersch erstmalig mit einem Busleitsystem einführen. Dort wird dann unter anderem im Falle eines verspäteten Zuges die Abfahrt der Busse beeinflusst. Wir sehen im Bus nicht per se eine Konkurrenz zur Bahn, sondern ein Mittel, das uns Kunden auch erst heran bringt.

 

Im Juni hatte ein Lokführerstreik gedroht, der am Ende mit einer Feuerlöschaktion noch vermieden werden konnte. Welchen Spielraum gibt es für eine dauerhafte Behebung der Personalengpässe und den Abbau der vielen Überstunden?

 

Schon Anfang der 90-er Jahre hat-ten sich 8 000 Tage an Überstunden angesammelt. Der Verkehr war erheblich gewachsen. Wir haben zwar die Ausbildungszeit der Lokführer von 27 auf 24 Monate gedrückt, konnten aber nicht in kurzer Zeit genügend Nachwuchs sichern. Auch, weil es eine Zeitlang nicht viel Interesse am Beruf gab. Hinzu kam noch, dass Belgien und Frankreich sich in einer ähnlichen Situation befinden und wir für beide Seiten Züge kurzfristig übernommen haben, um sie nicht stehen zu lassen. Wir waren, wenn man so will, immer auf der schlechten Seite. Auch wegen des neuen Fahrplans, mit dem mehr Züge verkehren, hat das Problem sich jetzt weiter verschärft. Aber Anfang nächsten Jahres wird wieder eine Ausbildungsrunde abgeschlossen, 15 Lokführer rücken nach. Dann kommen wir langsam über den Berg. Weitere 60 sind noch in Ausbildung. Ich denke, im nächsten Jahr können wir damit beginnen, Überstunden abzubauen.

 

Sie werden von den Gewerkschaften als sehr dialogbereit geschätzt. Wie wollen Sie ihnen die CFL-Strategie zur Begegnung der Liberalisierung erklären?

 

Es ist vorstellbar, dass Nachbareisenbahnen an einer Kooperation mit uns Interesse zeigen, genauso wie die CFL auf ausländischen Netzen aktiv werden könnten. Aber noch ist der Moment nicht gekommen. Es geht nicht darum, loszuschlagen, sonst kriegen wir eine Gegenreaktion genauso schnell zurück, wie wir austeilen. Wir müssen auf jeden Fall die Kommunikation mit den Gewerkschaften verbessern, denn sie müssen mitspielen. Und zum Beispiel verstehen, dass durch eine Fili-a-lisierung zwar der eine oder andere Eisenbahnerposten wegfallen mag, aber dafür mehr Posten gesichert werden können.

 

Die CFL-Direktion wurde von der FNCTTFEL heftig kritisiert, weil der erste Entwurf zum Strategiekonzept nicht im gemischten Betriebsrat diskutiert wurde.

 

Diskutiert wurde auf Verwaltungsratsebene. Gewerkschafts- und Staatsvertreter saßen mit am Tisch. Mit Modifikationen ist das Papier zurück an den Verwaltungsrat gegangen und wird dort derzeit weiter analysiert. Ich weiß, die Strategiediskussion wird nicht einfach werden, es gibt immer Aspekte, die Gewerkschaften ganz anders sehen. Ich stelle mir vor - wenngleich das noch nicht abgesprochen ist -, dass wir die einzelnen Teile des neuen Konzepts mit den Gewerkschaften besprechen. Ohnehin ist es schwierig, eine Strategie für die ganze Eisenbahn zu entwickeln. Man braucht eine Strategie für jeden einzelnen Bereich, sonst könnte einer den anderen blockieren.

 

Peter Feist
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