Bahnhof Luxemburg, 14.33 Uhr. Pünktlich rollt der Interregio der Deutschen Bahn von Bahnsteig 5. Münster ist das Reiseziel, über Trier, Koblenz und Köln. Ankunft laut Fahrplan um 19.28 Uhr nach vier Stunden und 55 Minuten Fahrzeit.
Stark besetzt sind die sieben weiß-blauen Waggons an diesem Nachmittag allerdings nicht: insgesamt 31 Passagiere verlassen Luxemburg in Richtung deutsche Grenze. Voller werden diese Züge erst ab Trier. Weil das meistens so ist und auch für die anderen beiden Interregios zutrifft, die von Luxemburg um 10.33 Uhr beziehungsweise 18.33 Uhr abfahren, will die Deutsche Bahn sie ab Dezember 2002 einsparen - im Rahmen eines erst Anfang August vollständig veröffentlichten Sparprogramms, das deutschlandweit gilt. Kritiker in Deutschland bezeichnen es als "Kahlschlag"; was die DB-Zentrale in Berlin damit kontert, dass der IR-Betrieb 1999 ein Defizit von 300 Millionen Mark eingefahren hat. Betriebswirtschaftlich gesehen kein gutes Resultat, wenn man in drei Jahren an die Börse gehen will.
Östlich der Mosel werden die Einsparpläne heiß diskutiert, in Luxemburg kaum. Vielleicht, weil hier nur drei Zugpaare täglich betroffen wären und die Fahrzeit nach Münster nur um zehn Minuten länger ist, wenn man einen Regionalexpresszug nach Koblenz nimmt - Umsteigen in Trier inklusive - und von dort einen Interregio- oder Intercity-Zug. Je nach Fahrplansituation mit erneutem Umsteigen in Köln. Lediglich die Transportgewerkschaft FNCTTFEL appellierte in einer Pressemitteilung an Regierung und CFL-Direktion, alles für eine Verbesserung der Bahnverbindungen nach Deutschland zu tun.
"Aber was soll ich tun, wenn so wenige Luxemburger die Fernzüge nach Deutschland benutzen?", fragt Transportminister Henri Grethen (DP). Das Kostenargument, das die DB ins Feld führt, kann er verstehen. Grethens Berliner Amtskollege Reinhard Klimmt erklärte letzten Samstag in einem Interview mit dem Trierischen Volksfreund, die Deutsche Bahn halte die Zugauslastung nach Luxemburg für "ausgesprochen schwachströmig". Man werde jedoch alles tun, um den Ausfall der Interregios durch ein integriertes Regionalverkehrskonzept aufzufangen.
An diesen Diskussionen, die vor allem die rheinland-pfälzische Landesregierung mit dem Berliner Verkehrsministerium und der DB-Zentrale führt, wird sich auch Henri Grethen beteiligen. Für ihn geht es dabei jedoch in erster Linie um eine deutsche Angelegenheit: "Da wird von mir erwartet, politischen Druck zu machen. Aber das Hauptproblem besteht darin, dass die Region östlich der Mosel nur dünn besiedelt ist."
Was nicht nur für das deutsche Grenzgebiet zutrifft, sondern auch für das belgische. Die SNCB, notorisch finanzschwach, orientiert sich an der gleichen Kostenwahrheit wie die DB. Die Trasse von Gouvy nach Lüttich hätte die SNCB allein nie finanziert: Die belgischen Interregios von Luxemburg nach Lüttich sind nur bis Troisvierges gut gefüllt, und dann erst wieder ab Rivage. Von den 880 Millionen Franken, die die Verstromung der Bahnstrecke kostete, schoss die EU 330 Millionen die EU zu, den Löwenanteil von 550 Millionen aber bezahlte Luxemburg.
Wären die Staatsfinanzen des Großherzogtums nicht die gesündesten europaweit, wäre es vom grenzüberschreitenden Personenverkehr per Schiene vermutlich noch stärker abgekoppelt als es schon der Fall ist. Wenn für die ausländischen Bahnen das eigene Grenzgebiet kommerziell schon nicht interessant genug ist, um einen hochwertigen Fernverkehr zu organisieren, ist auch das Großherzogtum selbst trotz allen Bevölkerungswachstums zu klein, um ausländischen Bahnen einen ausreichend großen Passagiermarkt zu bieten - zumal nach Richtlinienvorgabe der EU-Kommission der internationale Personenverkehr nach Möglichkeit nicht länger als öffentliche Dienstleistung subventioniert werden sollte. Zwar ist der Personenfernverkehr von und nach Luxemburg nach Auskunft der CFL nicht rückläufig. Große Steigerungen aber werden nur im Berufsverkehr erzielt. Der Verkauf von Abonnement-Tickets für Berufspendler zwischen Arlon und Luxemburg wächst seit 1994 kontinuierlich um durchschnittlich zehn Prozent jährlich, der der Flexway-Tickets Luxemburg-Thionville sogar um durchschnittlich 22 Prozent. Als 1997 die Öko-Card Luxemburg-Trier eingeführt wurde, griffen 400 Abonnenten zu, 1998 waren es 1 000 und im vergangenen Jahr 1 200. Zahlen, die positiv stimmen, aber wenn nach einer von der Baseler Prognos AG durchgeführten Erhebung im Herbst 1997 werktags im Schnitt
9 500 Personen aus dem Ausland mit dem Zug in das oder durch das Großherzogtum reisen, tun das weitere 400 000 per Auto.
Dass dieses ungünstige Verhältnis etwas zu tun hat mit der Qualität des Angebots, geht aus der Erhebung zwar auch hervor: An allen Fahrten von Brüssel nach Luxemburg brachte es die Bahn im Herbst 1997 auf einen Anteil von 20 Prozent, von Metz auf 23, von Thionville auf 21 Prozent. Von Trier her waren es schlappe sieben. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Dieseltriebwagen für die Überwindung der 40 Kilometer langen Strecke mehr als eine Dreiviertelstunde benötigt und auf deutscher Seite mancherorts dem Schrittempo gefährlich nahe kommt.
"Wenn die deutsche Seite den ersten Schritt unternimmt, werden auch wir unseren Teil der Strecke modernisieren", sagte Henri Grethen vor drei Wochen dem Lëtzebuerger Journal in einem gemeinsamen Interview mit seinen beiden Amtskollegen aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz. In der Tat steht in Deutschland mehr Sanierungsarbeit an. Allein die Instandsetzung der Konzer Brücke, der neuralgische Punkt, würde mit 20 Millionen Mark zu Buche schlagen, sagt Richard Groß, Vorsteher des Nahverkehrs-Zweckverbandes Nördliches Rheinland-Pfalz. Ob in Konz bald schon die Bauarbeiten beginnen werden, ist allerdings ungewiss: für die Schieneninfrastruktur ist die Bundesregierung in Berlin zuständig, und Henri Grethens Mainzer Kollege Hans-Artur Bauckhage dämpfte im Journal-Interview allzu große Erwartungen: Im Zweifelsfall sei es einfach billiger, auf das Auto zu setzen.
Mit den Nachbarn in Lothringen, sagt Henri Grethen, seien Verbesserungen der Schienenwege am leichtesten zu diskutieren, da der nahe gelegene Ballungsraum Metz-Thionville rund eine Million Einwohner zählt und damit eine Ausnahme im grenznahen Ausland darstellt. Grethen erwähnt die Eröffnung des neuen Bahnhofs in Hettange-Grande, die eventuelle Verlängerung der CFL-Strecke über Düdelingen bis nach Volmerange-les-Mines, einen möglichen Ausbau der Strecke nach Longwy. Allerdings: "Das lassen wir uns auch etwas kosten." Sollte zum Beispiel die Verbindung nach Volmerange realisiert werden, kämen die 800 Meter Gleis plus der Bau eines Rangierwerks in Düdelingen die Staatskasse 240 Millionen Franken zu stehen.
Doch auch dieser Neubau nutzt in allererster Linie dem Berufsverkehr nützen ins Beschäftigungs-Dorado Luxemburg, nicht aber dem Fernverkehr in die Europa-Hauptstadt, in das Finanzzentrum. Eine Zukunftsperspektive für den Eisenbahnpersonentransport, die den Berufsverkehr per Schiene fördert, für weitere Distanzen aber auf die Benutzung des Autos verweist, wäre für Luxemburg fatal. Schreiten doch jenseits der Grenzen große Projekte voran.
Für den Ausbau der Trassen zwischen Brüssel und Antwerpen sowie Brüssel und Lüttich auf 300 Stundenkilometer für den TGV Thalys erhielt die SNCB erst vor drei Wochen von der Europäischen Investitionsbank einen Kredit über insgesamt 112,5 Millionen Euro bewilligt. Der französische TGV-Est von Paris nach Straßburg soll als deutsch-französisches Projekt ostwärts weiter bis nach Frankfurt geführt werden, und schon in zwei Jahren wird auf der Neubaustrecke Köln-Frankfurt der ICE rollen. Luxemburg würde damit weiträumig umfahren: der nächstliegende TGV-Bahnhof ist derzeit Lüttich. Aber der ist auch nach der Elektrifizierung der Strecke zwischen Gouvy und Lüttich kaum schneller erreichbar geworden als vorher, und schon kursieren Gerüchte, die belgische Bahn wolle den Zwei-Stunden-Takt abschaffen, in dem die Interregio-Züge nach Luxemburg verkehren. Mangels Auslastung.
Denkbar, dass Luxemburg erneut investiert und die Gleise saniert, ist es für Henri Grethen durchaus. Angesichts der beklagenswerten Schienenverbindungen nach Deutschland, die eine Reise nach Frankfurt oder Köln über Trier und Koblenz zum Dreieinhalb-Stunden-Abenteuer machen, wird Lüttich der wichtigste Knotenpunkt in Richtung Norden. Nach Süden setzt die Regierung auf den TGV-Est; noch die schwarz-rote Koalition hatte sich im vergangenen Jahr bereit erklärt, Luxemburgs Beteiligung am TGV-Est von 450 auf 770 Millionen französische Francs zu erhöhen. Die Gegenleistung für Luxemburg: ein Anschluss an den lothringischen Knoten-Bahnhof, der zwischen Metz und Nancy auf der grünen Wiese entstehen soll und täglich vier TGV-Züge von Paris und Straßburg ins Großherzogtum.
Im Frühjahr aber haben DB und SNCF sich geeinigt, den TGV-Est als französisch-deutschen Mega Train über Saarbrücken und Frankfurt weiter zu führen. Obendrein ist eine Verlängerung ab Straßburg in Richtung Zürich im Gespräch. Der Verkehr würde damit zunehmen, vier TGV-Züge nach Luxemburg sind da nicht mehr so sicher. "Damit wir nicht abgehängt werden", haben die CFL sich mit der DB, der SNCF und der Schweizer Bundesbahn an der Gesellschaft Rhealys beteiligt, die den Weiterbau der Hochgeschwindigkeitsbahn studieren lassen soll.
Für Luxemburg ist der Anschluss an den TGV-Est von großer Bedeutung. Noch wichtiger aber ist die Modernisierung der Trasse nach Brüssel, die seit den 50-er Jahren keine Reparatur erlebt hat. Denn selbst mit dem TGV-Est würde sich die Fahrt von Luxemburg nach Straßburg von derzeit günstigenfalls rund zwei auf eineinhalb Stunden verkürzen, weil nach Luxemburg keine Hochgeschwindigkeit gefahren werden wird. Zwischen Straßburg und Paris aber würde die Fahrzeit von derzeit fünf auf zwei Stunden und 15 Minuten sinken. Da Paris jedoch heute schon von Brüssel per TGV in nur 85 Minuten erreichbar ist, könnten Reisende aus der Europahauptstadt Straßburg in die Europahauptstadt Brüssel via Paris in drei Stunden und 40 Minuten gelangen - um knapp eine Stunde schneller als über die Europahauptstadt Luxemburg selbst mit Weiterfahrt per TGV. Sofern ein belgischer Intercity für die 222 Kilometer auch weiterhin drei Stunden braucht.
Herumprojektiert wird an der Sanierung der Trasse Luxemburg-Brüssel seit 1991. Erwogen wird seit April letzten Jahres, die Strecke durchgängig mit 160 Stundenkilometern befahrbar zu machen - eventuell mit Neigezügen, dann müssten nicht so viele Kurven begradigt werden, was die Kosten empfindlich senken könnte. Über die Studier- und Arbeitsgruppenphase ist man aber bis heute nicht hinaus gelangt. Für die SNCB hat das Projekt keine erstrangige Priorität - wieder einmal führt eine Eisenbahnlinie Richtung Luxemburg jenseits der Grenze durch ein dünn besiedeltes Gebiet.