d'Lëtzebuerger Land: Herr Streff, bei der jüngsten Umfrage unter den Bahnkunden äußerten viele sich unzufrieden mit der Pünktlichkeit. Woher, meinen Sie, kommt das?
René Streff: Wir nehmen die Verspätungen ernst, aber die Lösung des Problems hängt nicht nur von uns ab. Viele internationale Züge, vor allem aus Belgien, kommen nicht pünktlich an. Auch wenn diese Verspätungen relativ gering sind, können sie sich stark auf den Binnenverkehr auswirken, da unser Netz klein ist. Hinzu kommt: 1993 haben wir das Zugangebot im Personenverkehr um 43 Prozent gesteigert, mit der Einführung des Takt '98 vor zwei Jahren um weitere zehn Prozent. Damit sind die Kapazitätsgrenzen so gut wie erreicht. Leider treten mitunter noch immer Schwierigkeiten mit unserem Rollmaterial auf; Sie wissen ja, dass die neuen Elektrolokomotiven an Zuverlässigkeit zu wünschen übrig lassen, obwohl sich dieses Problem in letzter Zeit deutlich entschärft hat.
Für diese Schwierigkeiten hätten wahrscheinlich auch die Fahrgäste Verständnis. Bei der erwähnten Umfrage aber haben gut 50 Prozent der Befragten angegeben, sie fühlten sich nicht ausreichend über Verspätungen informiert.
Wir sind dabei, auch hier Verbesserungen durchzusetzen. Ich gebe zu, dass noch nicht alles zur Zufriedenheit funktioniert. Zum Teil liegt das jedoch am internationalen Informationsfluss: Wenn ein Zug aus Belgien Verspätung hat, erfahren wir das erst, wenn er in Arlon angekommen ist. Da bleibt uns nicht viel Zeit, um zu reagieren. Wir verfolgen die Frage der Pünktlichkeit aber intensiv und haben dazu eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt. Erste Erfolge kündigen sich an: Im Januar/Februar 2000 konnte der Pünktlichkeitsgrad im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 87 auf 91 Prozent verbessert werden.
Im Herbst letzten Jahres haben die CFL einen Plan directeur zur Entwicklung des Bahnverkehrs bis zum Jahr 2006 vorgelegt. Darin ist die Rede von einem Zuwachs von 45 Prozent. Ist damit vor allem der Personen- oder der Güterverkehr gemeint?
Sowohl als auch. Wir wollen mehr Verkehr auf die Schiene holen. Wenn Tag für Tag allein aus Frankreich über 40 000 Leute nach Luxemburg zur Arbeit kommen, aber nur rund 4 000 per Zug, sieht man, was für ein Potenzial existiert. Den geplanten TGV-Est haben wir in unserer Rechnung ebenfalls berücksichtigt. Im grenzüberschreitenden Güterverkehr gehen unsere französischen Nachbarn von einer Verdoppelung in den nächsten zehn Jahren aus. Das bedingt auch bei uns eine Kapazitätserweiterung des Schienennetzes.
Behindern sich auf den ausgelasteten CFL-Gleisen Güter- und Personenverkehr gegenseitig?
Derzeit kaum. Güterzüge verkehren vorwiegend nachts, wenn die Strecken frei sind. Aber wenn der Güterverkehr zunimmt, was wir ja anstreben, kann das schon ein Problem werden. Deshalb haben wir im Plan directeur auch für den Ausbau bestimmter Strecken plädiert. Nach den von den EU-Transportministern im Dezember definierten Frachtkorridoren ist absehbar, dass in Zukunft alle aus Belgien kommenden Güterzüge über die Athus-Meuse-Strecke geführt werden. Die Weiterfahrt zum Verschiebebahnhof Bettemburg kann entweder über Petingen und Luxemburg oder über die Minette-Strecke erfolgen. Aber dort gibt es enge Kurvenradien und relativ große Steigungen, was die Kapazität der Strecke begrenzt. Deshalb geben wir dem Transit über Petingen und Luxemburg den Vorzug. Im Moment jedoch ist dieser Abschnitt eingleisig, pro Stunde können ihn nur fünf Güterzüge passieren. Um Zuwächse im Frachtverkehr zu realisieren, brauchen wir dort unbedingt Zweigleisigkeit und zwischen Luxemburg und Bettemburg eine zusätzliche neue zweigleisige Verbindung.
Transportminister Henri Grethen macht seine Zustimmung zu diesem Ausbau abhängig davon, wie sich der Verkehr im Dreieck Luxemburg-Belgien-Frankreich für den Fall entwickelt, dass bei Mt St-Martin eine Umfahrung gebaut wird. Ist das für Sie kein Planungshindernis?
Nein. Das zweite Gleis zwischen Petingen und Luxemburg würde 1,8 Milliarden Franken kosten, der Neubau zwischen Luxemburg und Bettemburg 4,5 Milliarden. Wenn man so kostspielige Wünsche äußert, muss man natürlich beweisen, dass man den Ausbau braucht. Wir haben uns diese Gedanken gemacht, und der Plan directeur ist das Resultat davon.
Das reicht Herrn Grethen aber nicht.
Dass er von uns ein Konzept verlangt, in dem wir für den Fall, dass Belgien und Frankreich tatsächlich die Umfahrung bauen, eine Strategie entwickeln, ist auch eine ganz natürliche Forderung. Der wollen wir Rechnung tragen. Die Daten liegen auch größtenteils vor.
Die Transportgewerkschaften sagen, falls der so genannte Bypass gebaut wird, könnten die CFL 80 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Güterverkehr verlieren.
Diese Aussage ist so nicht richtig. Wir haben im vergangenen Jahr 19,3 Millionen Tonnen Fracht befördert. Davon waren nur 8,1, Millionen Tonnen Transitgüter. Das entspricht etwa einem Viertel unserer Gesamteinnahmen aus dem Güterverkehr. Auch wenn der Bypass gebaut wird, würden wir höchstens 15 bis 20 Prozent Transitfracht verlieren. Die geplante Ausweichstrecke bei Mt St-Martin hat relativ viele Steigungen, schwere Züge können da nicht fahren. Auch reichen die Ausmaße verschiedener Tunnel nicht aus, um sämtliche Transporte im Kombiverkehr - das ist Containerfracht - durchführen zu können.
Sie könnten also mit diesem Bypass notfalls durchaus leben?
Uns beunruhigt Folgendes: Was wir an Fracht neu auf die Schienen bekommen, sind überwiegend Container im Kombiverkehr. Die Nachfrage hier zu Lande ist jedoch zu gering, um eigene komplette Containerzüge zusammenstellen zu können. Wir sind darauf angewiesen, an Ganzzüge, die über Bettemburg fahren, Containerwaggons anzuhängen. Die belgische Bahn aber betreibt ein Container-Terminal in Athus und möchte es ausbauen. Falls die Umfahrung realisiert wird, liefe ein Großteil der Containerfracht über Athus. Das wäre zum Nachteil für den Standort Bettemburg. Würde sich dort das Angebot verringern, bekämen auch die Exporteure in Luxemburg ein Problem. Ihre Container müssten sie zwangsläufig noch öfter per LKW transportieren lassen, als das im Moment der Fall ist.
Aber einen Streckenausbau könnte man sich dann sparen?
Nein. Das Netz lässt derzeit kaum noch Steigerungen im Güterverkehr zu. Von den 19 Millionen Tonnen Fracht hatten ja im vergangenen Jahr über elf Millionen ihren Abgangs- oder Zielort in Luxemburg. Für diesen Fall: reduzierter Transitverkehr wegen des Bypass, aber weiterhin wachsender Verkehr von und nach Luxemburg, wollen wir ein klares Strategiekonzept vorlegen.
Und wann?
Sobald wir wissen, was in Mt St-Martin geschehen wird. Es gibt eine gemischte Arbeitsgruppe aus Vertretern der drei Transportministerien und der drei Eisenbahnen. Mitte Mai soll sie Rede und Antwort stehen. Wir hoffen, dass eine für Luxemburg vernünftige Lösung gefunden wird.
Haben die CFL als eine kleine Eisenbahngesellschaft überhaupt eine Chance in einem liberalisierten europäischen Güterverkehr?
Die großen Bahnen sind mehr und mehr daran interessiert, Fracht über weite Distanzen zu befördern. Sie könnten in Zukunft - und darin besteht ein Risiko für uns - bestrebt sein, die für Luxemburg bestimmte Fracht in Eigenregie bis zum Zielort zu führen. Im Gegenzug könnten auch wir auf europäischer Ebene auftreten und versuchen, den anderen Bahnen ein paar Tonnen abzunehmen und europaweite Transporte zu organisieren. Ich halte das jedoch nicht für die beste Lösung. Nicht nur der logistische Aufwand ist dafür sehr hoch, vor allem müssten wir Rollmaterial im Ausland bereit halten. Ich sehe die Zukunft der CFL als Zubringer in der Großregion.
Riskieren Sie nicht, unrentabel zu sein, wenn die CFL einzelne Waggons abholen und ins Ausland bringen?
Ich sehe uns nicht als Zubringer einzelner Waggons, sondern ganzer Züge. Wir sind zum Beispiel schon von der DB gefragt worden, ob wir Güterzüge in Trier-Ehrang abholen könnten anstatt sie erst in Wasserbillig aufzunehmen. Das wäre ein Nischengeschäft, das uns wichtige Marktanteile sichert und uns gleichzeitig unsere Eigenständigkeit bewahren hilft.
Kommen für die CFL Joint ventures in Betracht? Vielleicht auch mit Luxemburger Spediteuren?
Wir sind grundsätzlich offen für alles, wollen aber, wie gesagt, unsere Eigenständigkeit bewahren. Eine gemeinsame Frachtgesellschaft, wie sie die DB Cargo mit der niederländischen Eisenbahn gegründet hat, kommt für uns nicht in Frage. Wir würden damit alles aufgeben. Die Kooperation mit Spediteuren kann zur Steigerung des Kombiverkehrs prinzipiell sinnvoll sein. Aber die Preise auf dem Markt sind zurzeit extrem niedrig. Damit kommen höchstens die LKW-Spediteure zurecht. Unsere Kosten sind zu hoch, allein die Verladung eines Containers von einem LKW auf einen Waggon ist bereits teuer. Bei einem Joint venture aber müsste es eine Kostenaufteilung mit dem Spediteur geben. Das wäre mit Sicherheit sehr problematisch.
Für Transportminister Grethen hat beim Streckenausbau der Nordausgang des Bahnhofs Luxemburg-Stadt Priorität. Und zwar aus Sicherheitsgründen. Im Plan directeur der CFL steht dieses Projekt auch, aber an dritter Stelle nach den Petinger und Bettemburger Strecken. Dadurch entsteht der Eindruck, es gebe eine akute Gefahrenquelle nördlich des hauptstädtischen Bahnhofs.
Das Problem besteht darin, dass unmittelbar hinter dem Viadukt über dem Stadtgrund zwei Weichen liegen, die in beide Richtungen befahrbar sind, obendrein gibt es einen Abzweig in Richtung Wasserbillig. Wir haben vor, das Gleis nach Wasserbillig von den beiden aus Richtung Norden zu trennen und eine weichenfreie Verbindung zu schaffen. Es ist falsch anzunehmen, dass dieses Vorhaben für uns drittrangige Priorität hätte. Auch wenn es im Plan directeur an dritter Stelle steht, sehen wir die drei Projekte als gleichwertig an. Weil Sicherheit vorgeht, werden wir das Problem am Nordausgang vorrangig lösen.
Schon seit wenigstens zwei Jahren ist der Ersatz der zum Teil 30 Jahre alten Z250/260-Triebwagen im Gespräch. Warten die CFL, die immer auf das BTB-Projekt gesetzt hatten, noch ab, welche definitive Entscheidung darüber fällt?
Wir sind nach wie vor an der Optimierung des öffentlichen Transports interessiert, welche Lösung am Ende auch immer gefunden wird. In der Zwischenzeit haben wir mit unseren Kollegen in Lothringen über die Verbesserung der grenzüberschreitenden Verbindungen beraten. Die SNCF will neun Doppelstock-Triebwagen anschaffen, sechs davon sollen zwischen Nancy/Metz und Luxemburg verkehren. Als Ausgleich dafür und aus Kostengründen wollen wir uns an der Bedienung dieser Strecke beteiligen, ebenfalls drei dieser Züge anschaffen und in den gemeinsamen Pool mit der SNCF setzen. Darüberhinaus denken wir an den Kauf weiterer neun für den Binnenverkehr. Damit ließe sich, auch wenn eine Entscheidung pro BTB fällt, auf Regionalexpress-Verbindungen wie der von Luxemburg nach Troisvierges die Qualität deutlich erhöhen.
Und wann werden diese Züge zum Einsatz kommen?
In drei bis vier Jahren. Die Lieferfristen der Hersteller sind leider so lang.
Die Transportgewerkschaften fordern die Einstellung zusätzlichen Personals, vor allem von Lokführern. 30 bis 40 würden im Lokführer-Effektiv fehlen, deshalb hätten sich rund 10 000 nicht beanspruchte Ruhetage angesammelt. Werden die CFL ihre Personalpolitik ändern?
Wir unternehmen beträchtliche Anstrengungen, um gerade im Lokführerberuf massive Einstellungen vorzunehmen. Weil wir unser Transportportvolumen steigern wollen, wurde der genehmigte Lokführer-Personalbestand innerhalb von zwei Jahren von 310 auf 327 erhöht. Aber auf Grund der hohen Sicherheitsanforderungen erfüllen eine Reihe von Anwärtern die vorgegebenen Kriterien nicht. Hinzu kommt, dass die Ausbildung 27 Monate dauert. Auf eine größere Transportnachfrage flexibel zu reagieren, ist sehr schwierig, ohne dass in einer Zwischenphase angespannte Arbeitsbedingungen auftreten.
Das Personalproblem wird also noch eine Weile bestehen bleiben?
Wir arbeiten an der Entschärfung der Lage. Binnen Jahresfrist soll ein Fahrsimulator in Betrieb gehen, der eine optimale Ausbildung des Lokpersonals gestattet. Außerdem überdenken wir derzeit die Ausbildungsstruktur, um die Kandidaten etappenweise einzusetzen. Wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um in einem völlig liberalisierten europäischen Umfeld bestehen zu können. Aber ich denke, dass das CFL-Personal unsere Bemühungen anerkennt und seinen Teil dazu beiträgt. Überzogene Forderungen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht angebracht und würden auch nicht helfen, das Problem zu lösen.