Als CSV-Arbeitsminister Georges Mischo vor zwei Wochen erstmals „Invité vun der Redaktioun“ im RTL Radio war, wollte die Journalistin gleich zu Beginn von ihm wissen, ob es noch zeitgemäß sei, dass die gesamte Baubranche im Sommer „zwou Woche laang zou mécht“. „Ob et zäitgeméiss ass, mengen ech, misst een eng Kéier mat de Sozialpartner eng Kéier duerchdiskutéieren, fir ze kucken, kënne mer net iergendwéi et réckelen oder méi kuerz maachen oder iergendwéi eng aner Léisung fannen, wéi lo dräi Woche komplett zouzemaachen“, antwortete der Minister. Déi Lénk reagierte prompt und wollte in Mischos Aussagen „d’Linn vun der Frieden-Bettel Regierung“ erkannt haben, weil „d’Patronat aus dem Bausecteur“ schon länger die Abschaffung des Kollektivurlaubs verlange. Dabei steht der 1974 per Branchentarifvertrag eingeführte dreiwöchige Kollektivurlaub im Baugewerbe derzeit eigentlich nicht zur Debatte: Im Koalitionsabkommen der CSV-DP-Regierung wird er nicht erwähnt und er ist auch nicht Gegenstand der Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Comité permanent du travail et de l‘emploi (CPTE). Sowohl die Gewerkschaften OGBL und LCGB, als auch die Fédération des entreprises luxembourgeoises de construction et de génie civil distanzierten sich noch am selben Tag gegenüber Radio 100,7 von Mischos Aussage, der Präsident des Dachverbandes der Bauunternehmen, Roland Kuhn, wies darauf hin, dass es für wichtige Baustellen immer Ausnahmeregelungen gegeben habe. Die letzte Initiative, den Kollektivurlaub abzuschaffen, hatte 2019 der frühere Fedil-Präsident Robert Dennewald mit einer öffentlichen Petition ergriffen – sie erhielt 820 Unterschriften.
Diese im Sommerloch von RTL und vom Arbeitsminister lancierte Scheindebatte kann jedoch nicht davon ablenken, dass Georges Mischo rund zehn Monate nach seinem Amtsantritt noch wenig vorzuweisen hat. Den Mindestlohn zu erhöhen, hatte CSV-Premierminister Luc Frieden Mitte Juni aus Gründen der „Kompetitivität“ abgelehnt, nachdem Mischo im Februar im Parlament eine Aufbesserung nicht ausgeschlossen hatte. Den Vorentwurf für den in der EU-Mindestlohnrichtlinie vorgesehenen Aktionsplan zur Steigerung der tarifvertraglichen Abdeckung von aktuell 55 auf mindestens 80 Prozent wollte Mischo eigentlich schon vor den Sommerferien dem Regierungsrat vorlegen, doch seine Pläne hat er noch nicht einmal mit den Sozialpartnern im CPTE besprochen. Gewerkschaften und Patronat haben bislang lediglich ihre jeweiligen Forderungen vorgebracht, die der Arbeitsminister erst studieren und später synthetisieren möchte. Am 14. August sagte er im Radio, er wolle den Gesetzentwurf zum Aktionsplan bis Ende des Jahres fertigstellen, man müsse jedoch berücksichtigen, dass es in großen Unternehmen „e gutt Stéck méi einfach“ sei, Kollektivverträge abzuschließen: „Eischtens mol mat de Gewerkschaften, awer och mat de Leit, déi natierlech an den Entreprise schaffen.“ Diese Aussage sorgte für Verwirrung, denn die Vereinbarung von Tarifverträgen ist laut Gesetz den Gewerkschaften vorbehalten, die die Arbeitnehmer/innen in den Betrieben vertreten. Seine Äußerung, in kleineren Betrieben seien Kollektivverträge schwieriger umzusetzen, „well een do awer méi flexibel muss sinn, et huet een net grad sou vill Personal, et kann een net einfach e Service mol zou maachen“, rief bei den Gewerkschaften ebenfalls Unbehagen hervor: Seit Jahren fordern sie Reformen, die den Abschluss von Branchentarifverträgen erleichtern – insbesondere in Sektoren, in denen vor allem kleinere Betriebe tätig sind. Auf die Branchentarifverträge ging Georges Mischo bislang noch gar nicht ein.
In einer rechtsliberalen Regierung mit einem Premierminister, der Luxemburg „modernisieren“, sprich die Wirtschaft und das Arbeitsrecht (weiter) liberalisieren will, ist Beschäftigung vielleicht nicht das leichteste und beliebteste Ressort. Das hatte sich schon in den Arbeitsgruppen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen abgezeichnet. „Travail“ wurde im Verbund mit Wirtschaft, Landwirtschaft und Weinbau, Tourismus, Konsumentenschutz, Industrie, Finanzplatz und Energie behandelt. Geleitet wurde diese Arbeitsgruppe von Elisabeth Margue für die CSV und Lex Delles für die DP. Während die Liberalen für den „Volet travail“ eine eigene Delegation mit dem späteren Wirtschaftsminister Delles, den Abgeordneten Corinne Cahen und Carole Hartmann sowie dem Juristen Maximilien Lehnen zusammengestellt hatte, war bei der CSV offenbar lediglich der heutige Fraktionsvorsitzende und frühere LCGB-Generalsekretär Marc Spautz für diesen Bereich zuständig. Georges Mischo war nicht in dieser Arbeitsgruppe, er leitete die zum „État moderne“, in der es um Digitalisierung, Medien, öffentlichen Dienst, Gemeinden und Infrastruktur ging. Die Maßnahmen, die er als Minister umsetzen soll, hat er selbst nicht mit erarbeitet.
Umso überraschender war es, dass Georges Mischo neben dem Sport auch das Ressort Arbeit übernehmen sollte, hatte er doch im Wahlkampf auf einer Table-Ronde noch gefordert, man solle den Mindestlohn (und die Teuerungszulage) endlich an die Inflation koppeln. Das lässt darauf schließen, dass niemand die Beschäftigung wollte und Mischo sie als Gegenleistung für sein Wunschressort Sport aufgezwungen bekam (d’Land, 17.11.2023).
Unter CSV-Premierminister Jean-Claude Juncker hatte das Arbeitsministerium noch einen höheren Stellenwert. Nachdem er 1982 Staatssekretär für Beschäftigung und Soziales geworden war und 1984 Minister für Arbeit und Finanzen, behielt er auch als Premierminister die Arbeit unter seiner Obhut. Weil Juncker das Ressort jedoch im Laufe der Zeit vernachlässigte, forderten die Gewerkschaften die Wiedereinführung eines hauptamtlichen Arbeitsministers. Als François Biltgen 1999 in der CSV-DP-Regierung das Ressort übernahm, zeigten OGBL und LCGB sich erkenntlich und überschütteten ihn mit Vorschusslorbeeren. Aufgrund seines anfänglichen Arbeitseifers verliehen seine Beamt/innen Biltgen den Spitznamen „Mitch“, in Anlehnung an den gleichnamigen Hurrikan, der im Herbst 1998 in Mittelamerika gewütet und rund 19 000 Menschen das Leben gekostet hatte (d’Land, 7.1.2000). Die von Biltgen genährten Hoffnungen der Gewerkschaften, er werde die nach langen Tripartite-Verhandlungen im Pan-Gesetz von 1999 beschlossene Arbeitszeitflexibilisierung in seinem Zusatzgesetz durch eine Arbeitszeitreduzierung kompensieren, wurden jedoch enttäuscht.
Eine indirekte Reduzierung kam erst 2016 mit Nicolas Schmits (LSAP) Reform der Arbeitszeitregelung, die zwar die Referenzperiode, in der die gesetzlich festgelegte Arbeitszeit an einzelnen Tagen und in einzelnen Wochen im Rahmen von Arbeitsorganisationsplänen (Pot) überschritten werden darf, von einem auf vier Monate erhöhte, als Kompensation für die Arbeitnehmer/innen jedoch bis zu sechs zusätzliche Urlaubstage vorsah. Die Arbeitgeber fühlten sich durch Schmits Reform benachteiligt, die DP unterstützte die Änderungen unter der Bedingung, dass nach einigen Jahren Bilanz gezogen werde. 2020 beauftragte der damalige LSAP-Arbeitsminister Dan Kersch das Liser mit der Durchführung einer entsprechenden Studie, die das Forschungsinstitut im März 2023 dem Arbeitsministerium übergab. Der Kammer oder der Öffentlichkeit vorgestellt wurde sie aber bislang nicht; ob Georges Mischo das noch nachholen will, konnte das Arbeitsministerium in dieser Woche auf Nachfrage nicht beantworten.
Neben dem Kollektivvertragswesen und dem Sozialdialog in den Betrieben gehöre die Arbeitszeitorganisation zu seinen drei großen Prioritäten, sagte Mischo vor zwei Wochen im Interview mit RTL. Was genau angedacht ist, ließ er jedoch weiterhin offen. Das Regierungsprogramm enthält lediglich vage Formulierungen („Le Gouvernement s’engage à faciliter une réorganisation du temps de travail et à permettre une meilleure conciliation entre vie privée et vie professionnelle. (...) Le Gouvernement s’engage à ce que les horaires de travail puissent être négociés entre salariés et employeurs au sein des entreprises ou dans le cadre d’une convention collective“). Und auch Georges Mischos Ausführungen in der Öffentlichkeit gingen bislang nicht über Gemeinplätze hinaus. Als Arbeitsminister sei es seine Aufgabe, durch die Arbeitszeitorganisation „de Bien-être vun de Salariéeën héichzehalen“. Die Work-Life-Balance müsse zwar eingehalten werden, „mee déi däerf awer och net iwwerstrapazéiert ginn“, mahnte der studierte Sportlehrer. Gewiss scheint nur, dass die Regelung zur Sonntagsarbeit gelockert werden soll, doch auch in diesem Bereich herrscht noch Unklarheit über die konkrete Umsetzung.
Die gesetzliche Lockerung der Arbeitszeitorganisation und der Sonntagsarbeit könnten jedoch zu einer Schwächung des Kollektivvertragswesens führen. Ausnahmeregelungen wie eine Erweiterung der Referenzperiode auf zwölf Monate oder die Möglichkeit, sonntags länger als vier Stunden zu arbeiten, sind schon heute gesetzlich erlaubt. Allerdings sind sie an Tarifverträge oder Betriebsabkommen gebunden, im Rahmen derer die Gewerkschaften Kompensationsleistungen für die Arbeitnehmer/innen aushandeln können. Sollten die Lockerungen ins allgemeine Arbeitsrecht aufgenommen werden, würde der Anreiz für die Arbeitgeber, Kollektivverträge einzugehen, verloren gehen. Damit wäre auch das in der EU-Mindestlohnrichtlinie formulierte Ziel, die tarifvertragliche Abdeckung auf 80 Prozent zu erhöhen, schwieriger zu erreichen.