Kooperationsminister Xavier Bettel (DP) möchte den Sektor der Nichtregierungsorganisationen restrukturieren. Dafür hat er sie unter Druck gesetzt und die Öffentlichkeit getäuscht

„First class human capital“

Im Juni bei der Unterzeichnung der Vereinbarung mit dem Kigali International Financial Centre
Photo: MAE
d'Lëtzebuerger Land du 09.08.2024

Relations publiques „Ech hunn och vu verschidden ONGe gesot kritt, dass si zum Beispill iwwert den dote Budget hir RH, also déi Leit, déi sech em Relations publiques këmmeren, domadder finanzéieren. Dat ass net de But vun dem Ganzen“, behauptete Außen- und Kooperationsminister Xavier Bettel (DP) am 16. Mai im Parlament, in seiner Antwort auf eine question élargie seines Vorgängers Franz Fayot (LSAP). Und fuhr fort: „Dofir wëll ech mat hinne kucken – zesummen – wéi mer déi Koordinatioun vun der Sensibilisatioun an der Educatioun kënne verbesseren, well de Moment ass et de Ministère, den esou seet, jo mir finanzéieren, oder nee, mir finanzéieren net. An ech fannen et och arbiträr, datt e Ministère kann decidéieren, wat richteg ass oder net.“ Zu dem Zeitpunkt waren die Nichtregierungsorganisationen bereits in heller Aufruhr.

Zwei Monate zuvor hatte Xavier Bettel erstmals seit seinem Amtsantritt Mitglieder des Cercle de la coopération et de l’aide humanitaire (Cercle) zu einem Höflichkeitsbesuch empfangen. Die Stimmung war angespannt, weil der Kooperationsminister sich Anfang des Jahres ohne Begründung geweigert hatte, die einjährigen Projekte im Bereich der Sensibilisierung und der Bildung für nachhaltige Entwicklung (éducation au développement/ED) zu unterzeichnen, die die kleineren entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (NGDOs) im Herbst noch bei Franz Fayot eingereicht hatten. Eingeführt wurde das Finanzierungssystem 1996, in den Gesetzesreformen von 2012 und 2018 wurde es bestätigt, Beanstandungen an seiner Funktionsweise hatte es bislang nicht gegeben: Größere NGDOs erhalten staatliche Zuschüsse in Höhe von 80 Prozent ihres Bedarfs durch eine drei- bis vierjährige Rahmenvereinbarung, kleinere müssen ihre Anträge jährlich einreichen. Die vorige Finanzministerin Yuriko Backes (DP) hatte die „Participation aux frais d’organisations non gouvernementales pour la réalisation d’actions de sensibilisation de l’opinion publique luxembourgeoise concernant la coopération au développement et autres mesures à cet effet“ im Haushaltsentwurf 2024 von 4 auf 4,65 Millionen Euro angehoben – rund ein Prozent des Gesamtbudgets in Höhe von 446 Millionen, die Luxemburg in diesem Jahr für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ausgibt. Ihr Nachfolger Gilles Roth (CSV) hat diesen Betrag übernommen und ihn im mehrjährigen Haushalt für 2025 und 2026 auf 5 Millionen Euro erhöht. Der Großteil wird in den Fonds de la coopération au développement transferiert, über den internationale Projekte gefördert werden.

Beim Höflichkeitsbesuch am 15. März war der Kooperationsminister gleich mit der Tür ins Haus gefallen. Er wolle nicht die Gehälter der Kommunikationsbeauftragten der NGDOs finanzieren, weil ein zu großer Teil der staatlichen Zuschüsse in sektorinterne Weiterbildungen, Veröffentlichungen und Initiativen investiert werde und nicht genug in öffentliche Kampagnen, sagte Bettel. Deshalb müsse es Änderungen geben. Er habe schon mit Minister Claude Meisch (DP) darüber gesprochen, die Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Programme des öffentlichen Schulsystems zu integrieren.

Bettels Ankündigungen waren unausgereift, unpräzise und zum Teil widersprüchlich. Dass die NGDOs Gehälter zahlen, liegt vor allem daran, dass sie sich in den vergangenen Jahren professionalisiert haben und nicht mehr, wie noch vor 30 Jahren, fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen arbeiten. Das hat ihnen auch erlaubt, ihre Expertise zu vergrößern; Weiterbildungen sind, wie in jedem Wirtschaftsbereich, aus einer sich ständig verändernden Welt nicht mehr wegzudenken. Obwohl die Conditions générales des Ministeriums strenge prozedurale Auswahlkriterien vorsehen, bemängelte Bettel, es sei nicht die Rolle des Ministeriums, von den NGDOs eingereichte Projekte „arbiträr“ zu begutachten. Deshalb beschloss er, elf der 15 im Herbst eingereichten Jahresanträge zwar noch zu genehmigen und die zehn Rahmenverträge, die eigentlich dieses Jahr für drei bis vier Jahre erneuert werden sollten, bis Ende 2025 zu verlängern. Ein neuer Projektaufruf soll danach aber nicht mehr erfolgen, bis nächstes Jahr möchte er das System reformieren. Wie er das tun will, sagte er nicht. Stattdessen bat Bettel den Cercle, ihm Vorschläge für die von ihm verordnete Reform zu unterbreiten.

Guer näischt Nach dieser ersten Versammlung, die die Akteure aus dem Kooperationsbereich verunsichert zurückließ, weil an den staatlichen Zuschüssen – laut Franz Fayots Aussagen im Parlament – über 50 Arbeitsplätze hängen, bestellte die grüne Abgeordnete Joëlle Welfring den Minister am 29. April in eine gemeinsame Sitzung des parlamentarischen Kooperations- und des Bildungsausschusses. Dort relativierte Xavier Bettel seine Aussagen vom 15. März und ruderte zurück. Ein offizieller Sitzungsbericht wurde von der Abgeordnetenkammer noch nicht veröffentlicht, doch zwei Wochen später im Parlament unterstrich Bettel erneut, nichts sei „a Beton gegoss“: Die Reform solle in Arbeitsgruppen zwischen dem Ministerium und dem Cercle diskutiert und ausgearbeitet werden. Sollte sich herausstellen, dass seine Ideen ungeeignet seien, würde er sie wieder verwerfen: „Et fält mer keng Zack aus der Kroun, wann ech eppes lancéiert hunn, wat dono näischt gëtt. Guer näischt.“ Anschließend kündigte er die Schaffung einer Maison de la Coopération an, „wou een zesummen, och ONGen“, Ausstellungen, Versammlungen und Rundtischgespräche organisieren könne. Ziel dieser Maison de la Coopération sei es, mehr Menschen zu sensibilisieren, sagte Bettel. Was beispielsweise mit der von der ASTM herausgegebenen Zeitschrift Brennpunkt Drëtt Welt nicht erreicht werde, weil die nur von Menschen gelesen werde, die längst sensibilisiert seien, mutmaßte der Minister. Die Einrichtung einer Maison de la Coopération ist eine Forderung, die die NGDOs schon seit 40 Jahren stellen. Bislang war sie aber stets am fehlenden politischen Willen der jeweiligen Regierungen gescheitert.

Grundsätzlich verschließt der Sektor sich der Reform der Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht. Bei manchen Akteuren ist die Unsicherheit inzwischen einem Zweckoptimismus gewichen. Die Nord-Süd-Beziehungen stärker in die Stundenpläne zu integrieren, fordern die Organisationen seit Jahren. Würde die Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen unter Einbeziehung der Organisationen institutionalisiert, würde sich vermutlich nicht viel für sie ändern. Schon jetzt informieren sie mit pädagogischem Unterrichtsmaterial altersgerecht über fairen Handel, die Ausbeutung von Ressourcen und Arbeiter/innen, Armut und Hungersnot, die Vertreibung indigener Bevölkerungen, die Auswirkungen von Massenkonsum und Klimawandel auf den globalen Süden, die Verantwortung des globalen Nordens. Vielleicht könnte künftig noch einheitlicher aufgeklärt werden, als das bislang schon der Fall ist. Auch könnte verhindert werden, dass Lehrer/innen eine NGDO nur in ihre Schulstunde einladen, weil sie ein Mitglied persönlich kennen.

Die 91 dem Cercle angegliederten und die rund 100 NGDOs insgesamt verfolgen zum Teil unterschiedliche Ansätze: Manche agieren eher patriarchisch und karitativ, andere fordern faire Preise für Agrarprodukte und Rohstoffe oder leisten humanitäre Hilfe, während noch andere deutliche Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und seinen multinationalen Unternehmen äußern, die sie für Ausbeutung, Armut und Umweltschäden im globalen Süden verantwortlich machen. Diese Unterschiede äußern sich aber eher in der politischen Sensibilisierung als im Bildungsbereich.

Lions Club Manche befürchten nun, Xavier Bettel wolle unter dem Vorwand, die Koordination von Sensibiliserung und ED zu verbessern, die politische Ausrichtung von Aufklärungskampagnen der staatlichen Kontrolle unterwerfen und sie ihrer kritischen Dimension berauben. Der linke Abgeordnete David Wagner mutmaßte diese Woche in einem Podcast, CSV-Premierminister Luc Frieden könne sich an der antikapitalistischen Haltung mancher NGDOs stören, insbesondere wenn sie den luxemburgischen Finanzplatz hinterfragen. Er habe den Eindruck, für DP und CSV müssten NGDOs „sou eppes si wéi de Lions Club“, meinte Wagner. Ähnliche Mutmaßungen stellte sein Parteikollege Marc Baum am Donnerstag gegenüber RTL an hinsichtlich der Entscheidung der Regierung, die Caritas vorerst nicht mehr finanziell zu unterstützen, nachdem ihr 61 Millionen Euro geklaut wurden: „An dass een och muss kucken, dass d’Caritas awer eng Organisatioun war, déi sech och an der Vergaangenheet ëmmer erëm kritesch geäussert huet, dass een elo vun dëser Noutsituatioun profitéiert, fir een ‚onliebsame‘ Kritiker monddout ze maachen.“

Mit der Zusammenlegung von Außenpolitik, Entwicklungskooperation und Außenhandel in einem Ressort hat die Regierung im November ein Zeichen gesetzt. Mitte Juni hat Xavier Bettel bei einem Besuch in Ruanda ein Projekt der staatlichen Agentur Lux-Development zur Entwicklung des internationalen Finanzplatzes in der Hauptstadt des ostafrikanischen Staates genehmigt. Sein Vorgänger Franz Fayot (LSAP) hatte bereits 2021 eine entsprechende Absichtserklärung mit dem ruandischen Finanz- und Wirtschaftsminister unterzeichnet. Das neue Projekt sieht vor, dass Lux-Development das Kigali International Financial Centre (KIFC) bis 2028 mit 9,3 Millionen Euro unterstützt – doppelt so viel, wie Luxemburg jährlich für Sensibilisierung und ED ausgibt. Die Regierung erhofft sich davon, dass in Kigali „first class human capital for the financial sector“ herangezogen („cultivate“) wird: „I am thus more than pleased to see that so many actors from Luxembourg are involved in the development of the Kigali International Finan-
cial Centre, both from the field of development cooperation and the finance sector“, wird Bettel in der offiziellen Pressemitteilung zitiert, die die Regierung Ruandas im Anschluss an die Vereinbarung veröffentlichte.

Dieser finanzmarktorientierte Ansatz der „Entwicklungshilfe“ wird von NGDOs oft kritisert: Vorwürfe wie etwa die der ASTM, die noch im Februar beanstandete, der Luxemburger Finanzplatz beanspruche zwar eine Führungsrolle im Bereich der nachhaltigen Finanzprodukte, vernachlässige jedoch die Menschenrechtsfrage, konterkarieren die von der Regierung geförderten Expansionspläne der Finanzindustrie. Dass Xavier Bettel diese Form der politischen Arbeit der kritischen Zivilgesellschaft mit seiner Reform einschränken oder unterbinden will, scheint nicht unwahrscheinlich. Tatsache ist, dass der Cercle, dem Bettel mehr Befugnisse bei der Ausführung von Kampagnen zugestehen will, politisch „neutraler“ sein muss als seine Mitgliedsorganisationen, da er fast sämtliche NGDOs aus dem Entwicklungshilfe-Sektor (mit Ausnahme der großen internationalen Organisationen) vertritt.

Restructurer Der von einigen NGDO-Funktionären an den Tag gelegte Zweckoptimismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter den Organisationen weiterhin Ungewissheit und Misstrauen gegenüber den Plänen des Außen- und Kooperationsministers herrscht. Was auch an den widersprüchlichen Aussagen des Ministeriums liegt: Während Bettel am 16. Mai im Parlament ausdrücklich betonte, er habe noch überhaupt nichts entschieden und ihm falle kein Zacken aus der Krone, wenn die Reform scheitere, schrieben seine Beamt/innen in den im Anschluss an eine am 24. Mai stattgefundene Arbeitssitzung zwischen Kooperationsministerium und NGDOs veröffentlichten Bericht: „Le Ministère a pris la décision de restructurer le secteur de la sensibilisation et de l’éducation au développement et a invité le Cercle à formuler une proposition de refonte du secteur à soumettre au MAE.“

Diese „Propositions“, die im Juni von den in der Sensbilisierung und ED tätigen Organisationen ausgearbeitet wurden, liegen dem Minister inzwischen vor. In dem fünfseitigen Papier versucht der Cercle einen Kompromiss zwischen den Interessen des Sektors und Bettels Restrukturierungsplänen zu finden. Zu Beginn erinnern die Autor/innen daran, dass der damalige Kooperationsminister Franz Fayot gemeinsam mit seinem irischen Kollegen Colm Brophy den Europäischen Kongress zur Globalen Bildung im November 2022 in Dublin präsidiert hatte und Luxemburg sich in seiner 2018 ausgearbeiteten Kooperationsstrategie bis 2030 dazu verpflichtet hat, die finanzielle Unterstützung für Sensibilisierung und ED zu erhöhen, um der Bevölkerung die Komplexität und die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung besser zu vermitteln. In dem Strategiepapier ist vorgesehen, dass den nationalen NGDOs dabei eine zentrale Rolle zukommt.

Roadmap In seinen konkreten Vorschlägen basiert der Cercle sich zum Teil auf ein bislang unveröffentlichtes „Audit“ des in Entwicklungsfragen erfahrenen belgischen Expertenkollektivs Cota, das Franz Fayot schon vergangenes Jahr mit der Ausarbeitung einer Roadmap beauftragt hatte. Es sollte zeigen, wie der luxemburgische NGDO-Sektor mittelfristig gestärkt und die staatlichen Mittel kohärenter und zielführender eingesetzt werden können. Im Gegensatz zu Bettel stellte Fayot das staatliche Finanzierungssystem jedoch nie grundsätzlich in Frage.

In seinem Dokument schlägt der Cercle nun vor, im Bereich der Sensibilisierung und ED Programme für eine Dauer von fünf Jahren einzuführen und die Zugangskriterien zu diesen Programmen zu vereinfachen für Projekte, die von mehreren Organisationen gemeinsam eingereicht werden. Die Anträge der NGDOs sollen nicht mehr vom Ministerium alleine, sondern nach klaren qualitativen Kriterien von einem Auswahlkomitee begutachtet werden, das sich aus Vertretern des Cercle, Beamten der betroffenen Ministerien und akademischen Expert/innen zusammensetzt. Der Cercle an sich soll finanziell und personell aufgestockt werden, damit er seinen Mitgliedsorganisationen beratend und koordinierend zur Seite stehen kann. Nicht zuletzt sollen sowohl auf Regierungsebene als auch auf der der NGDOs neue Gremien geschaffen werden, die eine bessere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Ressorts (Umwelt, Kooperation, Bildung, Kultur, Familie) und Organisationen ermöglichen.

Würde der Kompromiss umgesetzt, würde der Cercle wohl an Macht gewinnen und die einzelnen NGDOs könnten einen (weiteren) Teil ihrer politischen Unabhängigkeit verlieren. Als Gegenleistung bekämen sie vielleicht ein schönes Haus, in dem sie Workshops, Konferenzen und Rundtischgespräche veranstalten können. Die Verhandlungen über die Vorschläge zwischen dem Cercle und Bettels Ministerium sind noch nicht abgeschlossen. Spätestens am 31. Dezember 2025 solle „déi nei Struktur en place“ sein, antwortete das Kooperationsministerium diese Woche auf Nachfrage.

Luc Laboulle
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