Die Schwestern Françoise und Martine Kemp sind die neuen Hoffnungsträgerinnen der CSV, die eine im Europaparlament, die andere in der Lokalpolitik – und wahrscheinlich bald auch im Parlament. Ein Doppelporträt

Sister Act

d'Lëtzebuerger Land vom 03.11.2023

Ist Düdelingen nun eine Stadt oder ein Dorf? Tatsächlich steht mitten im Ort in großen Buchstaben „I am Duerf“, was wohl eine Art Zusammenführung eines kosmopolitischen Geistes und der Dorfmentalität suggerieren soll. Für Françoise Kemp, die hier aufgewachsen ist und auch heute noch hier wohnt, ist es eine Stadt. Wobei, sagt sie, in den verschiedenen Vierteln sei man dann doch noch sehr auf die Bezeichnung der Viertel bedacht. Und in Butschebuerg, da würde man noch wirklich mit seinem Nachbarn sprechen, dort sei alles noch ein bisschen wie früher.

Im Mont Chalet, einem an diesem verregneten Montag ziemlich leeren aber gemütlichen Lokal, sitzt sie neben ihrer jüngeren Schwester Martine Kemp, die vergangene Woche für Christophe Hansen ins Europäische Parlament nachzog; ein Mandat, das in sieben Monaten abläuft. 2019 landete sie mit exakt neun Stimmen Unterschied hinter Hansen auf dem zweiten Platz, noch vor Isabel Wiseler-Santos Lima. Die beiden Schwestern sind seit jungen Jahren in der CSV aktiv, beide Elternteile sind ebenfalls in der gleichen Partei politisch engagiert. Martine Kemp war 2010 Kommunikationssekretärin im Jugendparlament, ein Jahr später Vizepräsidentin. Seit 2021 ist die studierte Verkehrsingenieurin Vizepräsidentin des CSJ-Nationalkomitees.

Françoise Kemp hat den lokalen Weg gewählt. Sie ist Präsidentin des CSJ-Südbezirks und sitzt seitdem sie im Sommer 2022 nachgerückt ist im Düdelinger Gemeinderat (2017 hatte sie den Einzug knapp verpasst). Nach einem Master in Mathematik betrieb sie im Rahmen einer biomedizinischen Doktorarbeit Forschung zu Covid-19 (angedacht war ein Projekt zu Brustkrebs, bevor die Pandemie begann). In einem Postdoktorat nutzte sie Künstliche Intelligenz, um die Klassifizierung von Gehirntumoren voranzutreiben. Dabei stehen stets Systeme und Daten im Vordergrund – Datenwissenschaft also, die sie nun im Familienministerium betreibt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie als Neuntgewählte, gleich hinter Nathalie Morgenthaler, nach der Regierungsbildung ins Parlament nachrückt. Sie wünscht sich mehr „datenbasierte“ politische Entscheidungen, solche, die auf Forschungsergebnissen beruhen, anstatt jene die aus einem „Bauchgefühl“ heraus getroffen werden. („Graue Zellen“ seien die Hauptressource des Landes, erklärt sie.) Im Parlament würde sie Akzente auf Digitalisierung und Gesundheitspolitik setzen, vor allem im Dossier E-Santé.

Die beiden Schwestern, 29 und 32 Jahre alt, verstehen sich immer schon „mega gut“. Als sie aufwuchsen, war schnell klar, dass sie eher der Wissenschaft nahestünden und aus ihnen keine Literatinnen werden würden. Die Eltern fragten im Auto oft das Einmaleins ab, erzählen sie. Ihr Vater Carlo Kemp, ebenfalls Ingenieur, arbeitete unter anderem bei der Arbed, war Direktor von ProActif und ist nun Beamter im Bildungsministerium, verantwortlich für den Bereich Privatschulen. Er ist im Lion’s Club aktiv. Ihre Mutter Annett Kemp-Klemann ist in der Justizverwaltung der Staatsanwaltschaft tätig und war Präsidentin des Kiwanis-Clubs und bei den Scouten aktiv. Auch Martine und Françoise Kemp sind seit klein auf bei den LGS-Pfadfindern. Vernetzt sind die Kemps also. (Mit der CSV-Abgeordneten Nancy Kemp-Arendt sind sie eigenen Angaben zufolge nicht verwandt.)

Die CSV war eine natürliche Wahl für Françoise Kemp, da sie auf den Werten der „Subsidiarität und Nächstenliebe“ basiere. Würde sie sich als konservativ beschreiben? Nein, denn sie entwickle sich mit der Gesellschaft. Das Wort konservativ seit mit alten, weißen Männern konnotiert, mit einer Politik von vor 30 Jahren. Sie sieht sich als Teil des sozialen Flügels der CSV, Umwelt sei ihr wichtig und auch der Mensch, dem es am schlechtesten in der Gesellschaft geht, brauche eine Chance, sagt sie. Sie würde gerne einmal Bürgermeisterin ihrer Heimatsgemeinde werden.

Martine Kemps Steckenpferd ist der Transport, allen voran sanfte Mobilität und der Ausbau des Schienenverkehrs. Sie sagt, mit dem Auto wären wir nachsichtiger als mit dem Zug. Stau vertrage man oft besser, als eine zehnminütige Verspätung des Zuges. Sie spielte während ihrer Zeit im Jugendparlament kurz mit dem Gedanken, zu den Grünen zu gehen. Eine Diskussion um Jäger, die als Betrunken-auf-dem-Hochsitz-Ballernde in einen Topf geworfen worden seien, habe sie abgeschreckt. Geht es um eins der Kernthemen der Volkspartei, um die Familienpolitik, fällt bei den Schwestern schnell das Stichwort Wahlfreiheit. „Ich bin froh, einen Mann zu haben, der weiß, wie man einen Staubsauger benutzt“, sagt Martine Kemp. Es gebe einen Mentalitätswandel, und Familien die Wahlfreiheit zu lassen, ob sie ihre Kinder in eine Betreuungstruktur geben wollen, könne eben auch bedeuten, dass der Vater mehr zuhause bleibt. Immerhin werde es nun normaler, dass Frauen auf höheren Posten sitzen. „Dadurch kommt dann auch der Wandel.“ Sie wird leidenschaftlich, wenn sie erklärt, es sei nicht an der Gesellschaft, ihr vorzuschreiben, wann sie und ihr Mann Kinder bekommen sollen. Und erklärt, bei ihnen zuhause sei es normal gewesen, dass man sich als Frau nicht in eine finanzielle Abhängigkeit zu einem Mann bringen lässt. „Und dass uns alle Türen offen stehen“, sagt Françoise Kemp, „…wenn wir sie aufmachen wollen“, ergänzt ihre Schwester.

Dass die Sprecherposition, also wer über ein Anliegen spricht, in den letzten Jahren immer wichtiger wurde, ist auch an den Kemp-Schwestern nicht vorbeigegangen. Vor allem Martine Kemp unterstreicht mehrmals im Gespräch, dass sie eine weiße, privilegierte Frau sei, und sich dessen bewusst sei. „Es ist nicht authentisch, wenn ich über den Alltag als Krankenschwester referiere. Wenn ein Stack-Letzebuerger sagt, wir müssen mehr auf Ausländer hören, kann ich das nicht sofort glauben. Das können eben auch leere Parolen sein.“ Der Mangel an Diversität in der Politik sei generalisiert. Dass so viele Anwälte im Parlament sitzen, sei „enorm schwierig“. Dann geht sie nahtlos in eine Beschreibung von Alltagssexismus über. „In der Flugzeughalle erklärte mir jemand während eines Praktikums, wie eine Turbine funktioniert. Das weiß ich.“ Parteiintern sei es subtiler gewesen, da hätte es sich um Blicke gehandelt, die eine Reduzierung aufs Frausein suggerierten. Martine Kemp nahm das als „Ansporn“, den Herren damit in einem Gespräch zu konfrontieren: „Nur durch Aufklärung kann sich etwas verändern.“

Während Françoise Kemp jovialer, fast als Mädchen von nebenan daherkommt, viel lacht, wirkt Martine Kemp ruhiger, reflektierter – auch angepasster und technokratischer. Den Weg, den sie in die Politik gesucht haben, passt zu ihnen. Wenn Martine Kemp Ideen ausführt, pflichtet ihre ältere Schwester ihr bei: „Ja, besser hätte ich das selbst nicht ausdrücken können“, oder „Ich sehe das auch so“.
Beide Frauen haben die Polit-Phrasen drauf, die alles und nichts bedeuten und Fragen nicht beantworten. „Am Puls der Zeit und am Ball bleiben“, „Weichen“ sollen gestellt, „Lösungen gefunden“ und „Debatten geführt“ werden. Letztere Formulierung fällt beim Thema Ausländerwahlrecht. Das Referendum damals sei sehr emotional gewesen, die heutige Diskussion dürfe die ADR nicht weiter stärken. Was heißt das konkret? „Wir müssen Menschen, die hier Steuern bezahlen, mehr mitbestimmen lassen“, antwortet Martine Kemp. Die zwei verwehren sich einer klaren Position, eine Offenheit dem gegenüber ist dennoch zu vernehmen.

So ganz passen die Kemp-Schwestern nicht ins Bild der Altherrenpartei, die gerade Koalitionsverhandlungen mit der DP führt, bei denen der Standort Luxemburg und Wirtschaftswachstum eine große Rolle spielen (und in deren Arbeitsgruppen Martine Kemp vertreten ist). Wo sie dann wieder stärker wie die CSV klingen, wie sie Luc Frieden „erneuert“ hat, ist, wenn es um den Wohnungsbau und den Naturschutz geht. Oft fällt das Wort Gleichgewicht und Kompromiss. „Wenn die Windmühle den Rotmilan impaktiert, würde ich sagen, wir setzen sie jetzt trotzdem hin, wenn der Standpunkt passt. Die Kompromissfindung ist bei diesen Themen schwierig“, meint Martine Kemp. Ihren nächsten Termin hat sie während des Interviews glatt vergessen. Sie verabschiedet sich von ihrer Schwester, die sie Fränzi nennt, und hastet in den strömenden Regen hinaus.

Sarah Pepin
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