In der Klima- und Außenpolitik habe die CSV eine klare Haltung, sagt ihr Ko-Parteipräsident Claude Wiseler im Interview. In manch anderen Fragen hält er sich lieber bedeckt

„Ich hoffe, dass es wieder bergauf geht“

Müde: Claude Wiseler (62) am frühen Mittwochmorgen in seinem Büro im Generalsekretariat der CSV
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2022

d᾽Land: Herr Wiseler, die CSV will unbedingt verhindern, dass Frank Schneider von Frankreich an die USA ausgeliefert wird. Wieso liegt Ihrer Partei so viel an Schneider?

Claude Wiseler: Ich glaube nicht, dass es eine personengebundene Sache ist. Es ist eher eine Prinzipienfrage: Luxemburger Bürger sollen – wenn möglich – das Recht auf einen Prozess in Luxemburg haben.

Frank Schneider wohnt nicht in Luxemburg und die One-Coin-Affäre, um die es geht, hat nur wenig mit Luxemburg zu tun...

Herr Schneider ist aber ein Luxemburger Bürger.

Der Fall hat auch eine politische Dimension. Als ehemaliger operativer Leiter des Geheimdienstes Srel hat Frank Schneider 2012 maßgeblich zum Machtverlust der CSV beigetragen. Wieso setzen Sie sich trotzdem für ihn ein?

Natürlich ist Herr Schneider kein unbeschriebenes Blatt. Wenn es nicht um die Person, sondern um das Prinzip geht, ist diese Frage unwichtig.

Es fällt aber auf, dass der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar in dieser Angelegenheit besonders engagiert ist...

Es sind die Abgeordneten, die Mitglied des Justiz-ausschusses sind, die sich dazu äußern. Das ist ja auch ihre Aufgabe. Laurent Mosar kümmert sich zusammen mit anderen Kollegen um die Angelegenheiten, die die Justiz betreffen.

Laurent Mosar war bis 2009 Verwaltungsratsmitglied der General Mediterranean Holding (GMH), die laut Radio 100,7 Anteile an Schneiders Firma Sandstone hatte. Liegt da nicht ein offensichtlicher Interessenkonflikt vor?

Ich weiß nicht, ob diese Verbindungen tatsächlich so sind, wie sie in der Presse dargestellt werden. Das sollten Sie mit Laurent Mosar besprechen. Er hat sich ja unmissverständlich dazu geäußert.

Laurent Mosar hat im Interview mit Radio 100,7 bestritten, dass die GMH Aktionär bei Sandstone war. Frank Schneider hatte im November 2012 dem Land erzählt, er sei „particulièrement fier“, dass GMH Sandstone finanziert habe. Einer von beiden hat offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt. Haben Sie als Parteipräsident versucht herauszufinden, ob es vielleicht Laurent Mosar ist?

Ich weiß darüber nicht Bescheid. Ich glaube Laurent Mosar. Diese Fragen müssen Sie mit ihm klären.

Wenn ein Interessenkonflikt vorläge, müssten Sie als Parteipräsident dann nicht eingreifen?

Doch, aber a priori glaube ich Herrn Mosar und stehe hinter seinen Aussagen.

Auch die GMH ist kein unbeschriebenes Blatt. Ihr Besitzer Nadhmi Auchi und seine rechte Hand Nasir Abid waren vor 20 Jahren in den Elf-Skandal verwickelt. Trotzdem nahm Laurent Mosar 2006 ein Mandat im Verwaltungsrat der GMH an, Ehrenstaatsminister Jacques Santer sitzt dort seit 22 Jahren und hat sein Mandat im Juli erneut verlängert. Beunruhigen Sie solche Vorgänge?

Ich kenne diese Akte nicht und weiß auch nicht, worauf Sie hinauswollen. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.

Dann vielleicht eine andere Frage: Laurent Mosar hat vergangene Woche gegenüber dem Land seine Sympathie für China bekundet. Er ist seit 2015 Mitglied im Verwaltungsrat der staatlichen Bank of China Europe. Vergangenes Jahr hat die chinesische Regierung ihre Ehefrau, die EU-Abgeordnete Isabel Wiseler-Lima, mit einem Einreiseverbot belegt. Haben Sie auch Sympathien für China?

Von den Sanktionen gegen meine Frau bin ich selber auch betroffen, denn sie gelten für die ganze Familie. Für diese Form von Sippenhaft habe ich relativ wenig Sympathien. In meiner außenpolitischen Rede im Parlament habe ich unmissverständlich auf die massiven Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren und in Hongkong hingewiesen. Andererseits bin ich der Meinung, dass wir in unserer China-Politik nicht naiv sein dürfen. Man kann ein solches Land nicht ignorieren oder die Wirtschaftsbeziehungen zu ihm abbrechen. Handelsabkommen mit China sind zwar wegen der geopolitischen Spannungen zurzeit nicht möglich, doch vom Prinzip her sollte man sie nicht ausschließen, weil man mit Abkommen manche Dinge sauberer regeln und sich Garantien geben lassen kann. Darüber hinaus bin ich für ein Importverbot von Produkten, die in Regionen hergestellt werden, in denen Zwangsarbeit herrscht; ich bin absolut nicht damit einverstanden, dass die Regierung die Belt and Road Initiative unterzeichnet hat und kann nicht verstehen, wieso mein Gesetzesvorschlag zum Investmentscreening von Unternehmen aus China und anderen Drittstaaten oder das dementsprechende Gesetzesprojekt der Regierung noch nicht angenommen wurden. Ich war 2018 auch fundamental dagegen, dass der Luxemburger Staat 25 Prozent von Encevo an einen chinesischen Investor verkauft. Damit ist meine Position und die der CSV gegenüber China ganz klar.

Wie passt das denn zusammen mit Laurent Mosars Engagement im Verwaltungsrat der Bank of China?

Herr Mosar kann in den Verwaltungsräten sein, in denen er möchte, das entscheidet er selbst. Doch die Position der Partei ist eindeutig.

Diese Inkohärenz in der CSV spiegelt sich auch in anderen Fragen wider, zum Beispiel beim Klimaschutz.

Eigentlich sind unsere Positionen auch in diesem Bereich klar, der eine drückt sie halt anders aus als der andere. Wir engagieren uns als Partei ganz stark für den Klimaschutz; der Schutz dessen, was das Leben lebenswert macht, gehört zu einer christlich-sozialen Partei dazu. Die Klimaschutzpolitik muss aber realistisch, technologiegestützt und zukunftsweisend sein. Sie darf keine Verbotspolitik sein. Was das konkret heißen soll, wird in unserem Wahlprogramm zu lesen sein.

Sie haben sich in den vergangenen Monaten vor allem auf die Grünen eingeschossen. In jeder zweiten Rede und in vielen ihrer Social-Media-Posts geht von „Ideologie“ und „Verbotspolitik“ die Rede. Was bezwecken Sie damit?

Es ist ja normal, dass wir im Zusammenhang mit Klima und Umwelt von den Grünen reden, weil sie in der Regierung die politische Verantwortung für diese Ressorts tragen und sie diese Ideen exponiert nach außen vertreten. Das ist ja nur ein Beweis dafür, dass wir uns viel mit Klimapolitik beschäftigen.

Der Antipode zu Laurent Mosar in der CSV ist Paul Galles, der zur COP27 nach Ägypten gefahren ist, und sogar einen Teil der Strecke mit dem Fahrrad zurückgelegt hat.

Paul Galles ist Vizepräsident der Partei und Laurent Mosar einer unserer langjährigen Abgeordneten. Beide haben ihren Platz in der CSV.

Ist die CSV als Volkspartei noch glaubwürdig? Ist sie noch stark genug, um den Spagat zwischen solch gegensätzlichen Positionen zu schaffen?

Seit 100 Jahren ist die große Stärke der CSV, dass wir ein breites Spektrum an Meinungen abdecken und daraus eine Politik machen, in der die Leute sich wiederfinden. Der Spagat zwischen dem sozialen und dem liberal-konservativen Flügel dehnt sich inzwischen auch auf andere Themen aus. Ich denke aber, dass wir am Ende kohärente Positionen sowohl in der Klima- als auch in der Außenpolitik auf den Tisch legen können. Wie der eine oder andere diese Positionen dann auslegt, ist eher Charaktersache als Ausdruck von parteiinternen Divergenzen.

In der Öffentlichkeit scheint diese parteiinterne Kohärenz noch nicht ganz anzukommen. Wenn eine Partei 40 Prozent der Wählerstimmen hat, ist es vielleicht sinnvoll, dass sie ein breites Spektrum an Meinungen abdeckt. Aber gilt das auch für eine Partei, die nur noch bei 20 Prozent liegt?

Diese Frage steht natürlich im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Ich glaube jedoch nicht, dass der Begriff Volkspartei am Prozentsatz bei den Wahlen abzuleiten ist. Volkspartei bedeutet eher, nicht nur für einen Teil der Bevölkerung einzustehen und gezielt bei dieser Gruppe Stimmen zu sammeln. Wir wollen eine Kompromisspolitik für alle Bürger machen. Unsere Politik muss sich an der gesamten Gesellschaft orientieren, auch an den Bürgern, die wir vielleicht nicht direkt zu unseren Wählern zählen.

Wenn man die gesamte Gesellschaft bedienen möchte, aber nur noch ein Fünftel der Wähler erreicht, kann man dann noch den Anspruch erheben, eine Politik für das ganze Volk zu machen?

Man kann das nur tun, wenn man in der Regierung ist. In der Opposition geht das natürlich nicht. Die Frage ist eher die, ob die Politik, die im Wahlprogramm steht, auf die gesamte Gesellschaft oder nur auf einen Teil von ihr ausgerichtet ist. Ich möchte auf jeden Fall auf dem Kurs bleiben, dass wir alle Menschen ansprechen.

Die Regierungskoalition besteht zwar aus drei unterschiedlichen Parteien, die jedoch gemeinsam ein großes Spektrum an Themen kompetent abdecken. Ist ein solches Dreierbündnis nicht die bessere „Volkspartei“?

Das heißt, Sie definieren Gambia als eine Partei? Manchmal stelle ich mir diese Frage auch, aber in den vergangenen Monaten war die Politik der Dreierkoalition nicht sonderlich kohärent. Der Zusammenhalt scheint zu bröckeln, je näher wir zu den Wahlen kommen. Die Frage, ob die Regierung 2023 als Block antritt, ist aber berechtigt. Für die Luxemburger Politik wäre es jedenfalls schlecht, wenn wir damit beginnen, Blöcke zu bilden, und den einen Block gegen den anderen ausspielen. Die CSV war traditionell immer offen für Koalitionen mit Parteien aus dem Zentrum des politischen Spektrums, ohne sich im Vorfeld festzulegen. Ich bin der Meinung, dass das auch weiterhin der richtige Weg ist.

Für die CSV war es natürlich leicht, weil sie jahrzehntelang stärkste Partei war und sich ihren Juniorpartner aussuchen konnte.

Wir waren auch 2018 noch stärkste Partei, doch schon damals hat sich die Frage nach einem Blockwahlkampf gestellt. Wir tun das jedenfalls nicht, sondern bleiben für alle Zentrumsparteien offen.

Die CSV schafft es bislang nicht, sich klar von der Regierungspolitik abzugrenzen. Die multiplen Krisen machen es sicherlich nicht leichter, weil es für sie keine 100 Lösungen gibt und viele Beschlüsse inzwischen auf europäischer Ebene gefasst werden.

Krisenzeiten sind immer Regierungszeit. Die Minister stehen im Fokus der Öffentlichkeit, weil die Medien und auch die Menschen sich vorzugsweise an sie wenden, was ein ganz normaler Reflex ist, weil nach Führung gesucht wird. Für die Oppositionsparteien ist es in solchen Zeiten schwierig, sich zu profilieren. Sobald man widerspricht, wird man als Meckerer bezeichnet; stimmt man zu, gilt man als Mitläufer.

Muss die CSV deshalb polemisieren, um Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie auf Begriffe wie „Ideologie“ im Umweltbereich und „Planwirtschaft“ im Gesundheitswesen zurückgreift? Ansonsten verliert sie sich ja vor allem in Detailfragen.

Wörter sind manchmal polemisch, aber unsere Alternativen – zum Beispiel in der Steuerpolitik – unterscheiden sich wesentlich von denen der Sozia-listen. Beim Wohnungsbau werden wir ebenfalls andere Vorschläge machen als die, welche die Regierung nun vorgelegt hat. Diese Unterschiede werden wir auch in der Wahlkampagne thematisieren.

Die CSV verliert seit zehn Jahren an Zuspruch, bei den letzten Umfragen kam sie nur noch auf 21 Prozent beziehungsweise 16 Sitze. Deshalb hat die Partei sich neu erfunden und sich ein neues Image zugelegt. Was zeichnet die neue CSV denn nun aus?

In erster Linie haben wir unseren Parteivorstand verjüngt. Mit meinen grauen Haaren bin ich vielleicht der falsche, um das zu sagen, doch der Altersdurchschnitt ist extrem gesunken. Auch bei den Gemeindewahlen wollen wir diese Erneuerung konsequent fortsetzen. Bei der Kampagne für die Kammerwahlen wollen wir ganz anders auftreten, um auch Zielgruppen zu erreichen, zu denen wir bislang weniger Zugang hatten. Nicht zuletzt müssen wir auch inhaltliche Fragen neu angehen. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie etwa Elisabeth Margue, Stéphanie Weydert und Christophe Hansen sich zurzeit präsentieren.

Ausgewiesenes Ziel der CSV ist es, zurück in die Regierung zu kommen. Zuletzt sah es nicht danach aus, als ob das so einfach werden würde. Wie lautet Ihr Wahlziel?

Wir haben uns noch kein Wahlziel gesetzt und ich werde heute auch keines ausgeben. 2021 war ein schwieriges Jahr für uns, was auch an hausgemachten Problemen lag. Wir haben uns aber stabilisiert und ich hoffe, dass es nun wieder bergauf geht.

Nehmen wir an, es ginge wieder bergauf: Mit wem würden Sie dann am liebsten koalieren, mit wem hat die CSV die meisten programmatischen Überschneidungen?

Sie wissen, dass ich Ihnen darauf keine Antwort geben werde. Erstens hat noch keiner ein Programm veröffentlicht, zweitens weiß man noch nicht, ob die Regierung wieder als Block antritt...

Die Positionen der einzelnen Parteien sind doch weitgehend bekannt.

Wir werden zuerst unser Programm ausarbeiten und erst danach die Schnittstellen mit den anderen Parteien ausmachen.

Im Bereich der Sicherheitspolitik gibt es Überschneidungen mit der ADR. Ihre Haltung zum Ukraine-Krieg dürfte für die CSV jedoch problematisch sein. Käme die ADR als Koalitionspartner für Sie in Frage?

Ich mache jetzt keine Koalitionsaussagen. Wenn Sie meine außenpolitische Ansprache verfolgt haben, wissen Sie, was ich von der Haltung der ADR im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine halte. Für mich ist ihre Position absolut unverständlich und inakzeptabel.

Neben der Parteispitze hat auch die Fraktion der CSV sich teilweise erneuert. Sie selbst sind nun nicht mehr ganz so neu, spielen aber weiterhin eine wichtige Rolle, sowohl in der Partei als auch in der Fraktion. Welche Ambitionen haben Sie für 2023? Stehen Sie noch einmal als Spitzenkandidat zur Verfügung?

Wir haben innerhalb der Partei vereinbart, dass wir auf Fragen über Spitzenkandidaten nicht mit ja oder nein antworten. Mit dieser Frage werden wir uns erst später beschäftigen.

Im Norden scheint das Spitzenduo mit Martine und Christophe Hansen schon festzustehen. Im Süden dürfte es etwas schwieriger werden, eine weibliche Spitzenkandidatin zu finden.

Auch im Norden stehen die Listen noch nicht fest. Das sind Ihre Reflexionen.

2018 sind Sie als Spitzenkandidat gescheitert, obwohl es in den Umfragen lange Zeit gut für sie ausgesehen hatte. Lag das vielleicht auch daran, dass Sie in außenpolitischen Fragen zwar klar Stellung beziehen, in innenpolitischen Angelegenheiten jedoch häufig zögern und es Ihnen schwer fällt, Entscheidungen zu treffen?

Ich finde nicht, dass ich in innenpolitischen Fragen zögere. Ich kann auch nicht zu allem Stellung beziehen, denn wir haben uns die Themenbereiche innerhalb der Partei und der Fraktion aufgeteilt. Dass wir klare Positionen haben, werden Sie in der Wahlkampagne sehen. 2018 haben wir den Fehler gemacht, den Spitzenkandidaten schon viel zu früh zu bestimmen. Es ist nicht angenehm, zwei Jahre lang unter Beschuss zu stehen. Darüber hinaus treffen viele Wähler ihre Entscheidung erst in den Wochen vor den Wahlen. Nach den Sommerferien haben wir es damals verpasst, die letzte Wahlkampfphase mit neuen Themen zu besetzen, weil wir schon zu früh mit unserer Kampagne begonnen hatten. Das hat letztendlich dazu geführt, dass viele Wähler ihr Kreuz bei einer anderen Partei gemacht haben.

Haben Sie überhaupt eine Chance gegen Xavier Bettel, der wesentlich öffentlichkeitswirksamer auftritt als Sie und auch den Umgang mit den sozialen Medien besser beherrscht?

Seine Art und Weise zu kommunizieren, gefällt wohl vielen Menschen.

Sie wirken zwar kompetent, aber im Gegensatz zu Xavier Bettel erwecken Sie manchmal den Eindruck, als würden Sie die sogenannte Politique politicienne und die Bürgernähe nicht ganz ernst nehmen, als wären Sie zu schlau für den Politzirkus. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich interessiere mich für Politik, weil ich mich für Prinzipien, Ideen und Konzepte und ihre Umsetzung begeistern kann. Bürgernähe ist mir wichtig; Skandale, kleine Affären und ähnliches interessieren mich tatsächlich weniger.

Luc Laboulle
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