Berlinale / Films made in Luxembourg

Um des Überlebens Willen

d'Lëtzebuerger Land vom 18.02.2022

Der Satz fällt beiläufig. In die düstere, beinahe unheimliche Szenerie gesprochen. Dazu ein strahlendes, jugendliches, blauäugiges Lächeln. Seine Eltern seien „auf Transport nach Osten“ geschickt worden. Ein Kriminalpolizist steht im Raum. Er will die Liste der Wertsachen abgleichen, die die Mutter bei der jüdischen Gemeinde abgegeben hat. Sie sollen in den nächsten Tagen beschlagnahmt und abtransportiert werden. Der Sohn lächelt. Er macht nicht auf Heldentum, sondern spricht die unheilvollen Worte. Sie meinen nichts anderes als: Seine Familie ist ins Konzentrationslager deportiert worden.

Samson Cioma Schönhaus, gespielt von Louis Hofmann, bleibt allein zurück im Salon einer großbürgerlichen Berliner Wohnung. Sommer 1942. Er ist noch keine zwanzig Jahre alt, weiß noch nicht, dass er seine Familie nie wiedersehen wird, hat keine Vorstellung davon, dass das Deutsche Reich „judenfrei“ gemacht werden soll, dass auch er seine Heimat – und mehr noch seine Jugend verlieren wird. Es ist eine eben jener beiläufigen Szenen im Film Der Passfälscher von Maggie Perens, die ihre Wucht im Nachhall entfalten, die das Monströse und Böse zu einer beiläufigen Banalität werden lassen. Der Film erzählt ein Jahr aus dem wahren Leben eines jungen Mannes, der unter dem Wahn und Druck aus Verfolgung und Vernichtung seinen jugendlichen Charme, auch oft seinen Übermut und Leichtsinn nutzt, um einfach nur überleben zu wollen, um jung sein zu dürfen.

Schönhaus ist in diesem Sommer noch als kriegswichtiger Beschäftiger in einer Berliner Waffenfabrik angestellt, was ihn zunächst noch vor der Deportation mit seinen Eltern bewahrte. Spätestens der Besuch des akribischen Kriminalpolizisten machen ihm bewusst, dass die Tage der trügerischen Stille und der sorglosen Jugend gezählt sind. Dennoch möchte er in seinem Übermut diese genießen. Dazu muss er sein Schicksal mehr als ein Mal hinausfordern. Schönhaus nimmt sich mehr heraus, als er eigentlich darf. Obwohl untergetaucht, bleibt er nicht unsichtbar, sondern begibt sich unter Menschen, geht in Restaurants, zum Tanz. Dies sei Mimikry, sagt er im Film, eine Form der Nachahmung etwa visueller Signale, die dazu führt, dass dem Nachahmer und Fälscher Vorteile durch die Täuschung des Signalempfängers entstehen. Schönhaus gibt sich also deutscher und arischer als es die Deutschen im Dritten Reich von ihm erwarten. Dazu braucht es nicht nur einen neuen Haarschnitt und Namen, sondern auch Chuzpe, Mut und Übermut, die ihn zum Musterdeutschen werden lässt. Inklusive des Habitus der Obrigkeitshörigkeit, mit dem er seinen Kopf in brenzligen Situation retten kann. Er stößt im Jahr 1943 zum Helferkreis von Franz Kaufmann und der Bekennenden Kirche, denn er kann etwas, womit er anderen hilft und Menschen rettet: Ausweise und Dokumente perfekt nachzeichnen, Stempel basteln, Druckschriften ersetzen. Kurzum: Pässe fälschen – für im Untergrund lebende Juden. Sein Können verhilft letztendlich auch ihm selbst zur Flucht in die Schweiz.

Man mag glauben, dass man eine solche Geschichte bereits tausendmal gesehen hat. Erinnerungen werden an die deutsch-österreichische Koproduktion Die Fälscher aus dem Jahr 2007 wach, die die Geschichte von Adolf Burger erzählt, der im Konzentrationslager im Auftrag der Nazis Geld fälschen musste. Der Titel des Perens-Films mag diese Assoziation beflügeln. Doch Der Passfälscher unterscheidet sich deutlich und ist nicht die beliebigste Wiederholung eines auserzählten Themas in moderner Filmerzählung. Es ist wesentlich mehr. Es ist vor allen Dingen ein Film zur rechten Zeit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Einerseits gegen das Vergessen, denn die letzten Zeitzeugen der Shoa sterben und hinterlassen eine Lücke im Narrativ, um weiterzutragen und lebendig zu halten, was in der Schönfärberei und Verharmlosung der Erinnerung und Umdeutung zu verblassen droht. Andererseits trägt das Werk zur richtigen Einordnung dessen bei, was es tatsächlich heißt, in einer Diktatur zu leben, was es bedeutet, wenn die Meinungsfreiheit abgeschafft ist, wenn Denunziation, Verhaftung und Ermordung alltäglich sind. Es ist der große Verdienst von Regisseurin Perens, dass sie dabei nicht auf Knallchargen in braunen Naziuniformen setzt oder Massenszenen mit gerecktem rechten Arm inszeniert, sondern das Grauen des Dritten Reichs in den Nebenfiguren sichtbar macht, die die Rollennamen Frau Peters oder Herr Dietrich – gespielt von André Jung – tragen. Begegnungen im Tanzlokal, in einem Restaurant, die impertinente Vorwitz von Frau Peters reichen aus, deutlich zu machen, wie weit eine Diktatur das moralische und ethische Grundgerüst einer Gesellschaft zerstören kann.

Sei es beim Essen. In den knappen Restaurantszenen hat Schauspieler Luc Feit Auftritte mit einer äußerst intensiven Präsenz. Er nutzt diese, um in seiner Rolle – Kellner Albert – den ganzen Zwiespalt von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit zu offenbaren. Dabei ist er in den Kameraeinstellungen oftmals kopflos und dennoch durch die Persönlichkeit fassbar und begreifbar, gibt sein äußerst präzises Spiel mehr Einblicke in die Menschlichkeit in totalitären Diktaturen. Mit der simplen Frage nach Lebensmittelkarten läutet er eine der wichtigsten Szenen des Films ein, der die Unbeschwertheit und das Hoffnungsvolle des Films in das pure Gegenteil verkehrt. Marc Limpach gibt den Anwalts Franz Kaufmann, der zwischen den Gegenpolen laviert und sich als überheblich unangreifbar hält, bis er auffliegt. Die historische Person wurde 1944 im KZ Sachsenhausen ermordet. Samson Cioma Schönhaus hingegen gelang die Flucht. Er starb 2015 in der Schweiz.

Der Film ist eine deutsch-luxemburgische Koproduktion. Auf Seiten des Großherzogtums zeichnete die Produktionsfirma Amour Fou von Bady Minck verantwortlich. Finanzielle Unterstützung gab es vom Film Fund Luxembourg. Gedreht wurde von Januar bis März letzten Jahres unter anderem bei Arcelor Mittal in Schifflingen, den Kasematten der Hauptstadt und im Minettpark von Fond de Gras. Der Film feierte am vergangenen Sonntag seine Premiere in der Sektion „Gala“ der diesjährigen Berlinale.

Der Passfälscher. Deutschland, Luxemburg: 2022. Mit Louis Hofmann, Jonathan Berlin, Luna Wedler, André Jung, Marc Limpach, Luc Feit. 116 Minuten. Vorführung im Rahmen des Luxembourg Film Festival, 4. März

Martin Theobald
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