Das Sportpferd hat das Bauernpferd am Futtertrog abgelöst. Der Sport ist teuer, aber die Reiter schwärmen vom
Zen-Gefühl, das er ihnen beschert

Equasy

Ein Pferd in Merl
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 16.08.2024

Kristine Møller reitet auf einem schwarzen Oldenburger Pferd in Niederpallen durch den Sand. Die Adern der Stute sind geweitet, erste Schweißtropfen laufen an der schwarz-braunen Brust herunter. An diesem Montagmittag zeigt das Thermometer 32 Grad an. Geübt werden Seitwärtsbewegungen, Pirouetten und Trabbewegungen auf der Stelle (im Fachjargon: Piaffe). Nachdem die Berufsdressurreiterin das Pferd wieder in den Stall geführt hat, drückt sie der Verfasserin dieser Zeilen ein Magnum-Eis in die Hand. Kristine Møller ist entspannt. „Ich reite nahezu den ganzen Tag“, sagt sie – denn immerhin stehen 18 Pferde zur Ausbildung im Stall. Zwei davon gehören ihr. „Ein bis zweimal im Monat fahre ich mit ihnen auf Turniere.“ Ihr größter Erfolg war der erste Platz im kleinen Finale der Weltmeisterschaft für junge Pferde. Nachmittags unterrichtet sie gelegentlich bereits erfahrene Reiter/innen. Sie beschreibt ihre Übungen als gekennzeichnet von Wiederholungen, Geduld, Lob und einem gegenseitigen Kennenlernen. „Es muss Harmonie zwischen Reiter und Pferd entstehen, sonst klappt es nicht.“ Beim Reiten werde „das Gehirn auf null gestellt“, man lebe ganz im Moment. Reiten als Pferde-Meditation.

Wie kam Kristine Møller zu den Pferden? Vielleicht war es umgekehrt – die Pferde kamen zu ihr: „Mein Opa war Pferdehändler und hat mir mein erstes Pony geschenkt.“ Mit drei Jahren begann sie in Dänemark ihre ersten Reitübungen; ihre Eltern, beide Lehrer von Beruf, ritten ebenfalls. In ihrem Umfeld kennt sie viele Profi-Reiter, die durch ihren familiären Hintergrund in den Beruf hineingewachsen sind. Anders war es bei Reitlehrer Dominique Remy. Er steht in grauen Reitleggings und weißem T-Shirt in der Manege der Ecurie de la Pétrusse in Merl. Erst mit 15 Jahren begann er zu reiten. „Damals war dieser Sport in Frankreich sehr zugänglich; Vereine boten Reitunterricht kostengünstig an“, erzählt der freischaffende Reitlehrer, der das Rentenalter bereits erreicht hat.

Als Dominique Remy 1973 mit dem Reiten anfing, waren mehr Jungs als Mädchen im Reitstall. Heute ist der Pferdesport ein Mädchen- und Frauensport: Von den 1 060 Lizenzen, die die luxemburgische Föderation vergeben hat, gingen 907 an weibliche Personen. Und 228 Lizenzinhaber nehmen nicht an Turnieren teil. Die Pferdemädchen-Publizistik urteilt, der Pferdesport sei für Mädchen attraktiv, weil sie von diesen feinfühligen Wesen Zuneigung bekommen und zugleich Strenge ausüben könnten – Pferde könnten ein Gefühl von Empowerment und Bindung stimulieren. Die Autorin Laurel Braitman nennt sie gateway animals – Tiere, die einen zu jemand anderem werden lassen, beispielsweise einem Cowgirl mit Pferd. Trotz des hohen Frauenanteils fallen sie in der Spitzenliga hinter den Profireitern zurück. Dominique Remy rät, die Teilnehmerliste der Springdisziplin bei den Olympischen Spielen durchzugehen; dort trifft man überwiegend auf Männer, und die Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen haben Männer aus Westeuropa gewonnen. Ein Blick auf den Knuedler genügt zudem, um zu sehen, dass sich Pferde-Assoziationen im Laufe der Zeit wandeln können: Hier steht eine Reiterstatue von Wilhelm II. – Kavalleriepferde wurden mit Krieg und männlichem Stolz in Verbindung gebracht. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts galten Reit- und Transportpferde in vielen Kriegshandlungen als entscheidender Faktor. Die Realität auf dem Schlachtfeld war jedoch längst nicht so heroisch wie die Bronzestatue auf dem Knuedler: Es wird geschätzt, dass im Ersten Weltkrieg acht Millionen Pferde starben; in der napoleonischen Schlacht bei Waterloo mehrere Tausend.

Das Pferd wurde etwa vor 5 500 Jahren domestiziert – Hinweise darauf bieten Milchrückstände in Keramikgefäßen aus dem heutigen Kasachstan. In Europa wurden Pferde zunächst vor allem als Zugtiere genutzt. Auch in der Mythologie spiegelt sich diese Nutzungsart wider: Der Sonnengott Helios wird häufig als Gestalt dargestellt, der den Himmel mit einem Pferdegespann durchquert. Erst im 7. Jahrhundert kamen in Europa schnelle und elegante Reitpferde in Mode, vermutlich inspiriert durch die Perser, wie ein interdisziplinäres Team aus Genetikern und Archäologen an der Universität Toulouse herausfand. Europäer begannen allmählich, beweglichere und leichtfüßigere Reittiere zu schätzen – man erhoffte sich von drahtigen Warmblütern eine höhere Mobilität im Vergleich zu den gemütlichen Kaltblütern. Menschheitsgeschichtlich setzte das Interesse an Reitpferden in Europa somit relativ spät ein: Skelettfunde aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. in der westeurasischen Steppe deuten darauf hin, dass das Reiten dort vermutlich bereits kurz nach der Domestizierung der Pferde begann, wie der Archäologie-Professor Volker Heyd von der Universität Helsinki 2023 feststellte.

„Kuckt, elo sinn hei scho schwarz Flecken op der Muert“, ruft eine ältere Dame, die ihre Möhre in durchsichtigen Plastikhandschuhen hält. Wegen der hohen Temperaturen habe der Faulprozess bereits eingesetzt. Sie steht in Merl vor einem hellbraunen Pferd mit blonder Mähne. Besitzt sie schon seit ihrer Kindheit Pferde? „Nein, überhaupt nicht. Ich habe ein Pferd, weil ich eigentlich einen Hund wollte“, sagt sie, wohlwissend, dass ihre Antwort absurd klingt. Und erklärt sich: „Mein Mann wollte partout keinen Hund, der würde das Haus schmutzig machen. Er drohte mir sogar damit, seine Koffer zu packen, wenn ich einen Hund anschaffen würde. Deshalb sagte ich in einem Anflug von Leichtsinn: Ich kaufe mir ein Pferd.“ Sie sei dann zu einer Pferdeauktion nach Deutschland gefahren und habe das Pferd einer Witwe abgekauft. „Ich wusste gar nichts über Pferde. Zum Glück werden das Pferd und ich hier von Fachleuten betreut.“

In der Ecurie de la Pétrusse sind 70 Pferde in Pension. Spiegelt sich die internationale Einwohnerschaft von Luxemburg-Stadt in den Pferdebesitzern wider? „Viele Pferde gehören Franzosen oder Italienern, die hier arbeiten und die Pferde für ihre Kinder angeschafft haben“, erklärt Tom Biren am Telefon – er ist gerade unterwegs, um Heu einzufahren. Im Stall arbeiten drei Festangestellte und ein Teilzeitarbeiter. „Jeden Tag werden die Pferde frisch eingestreut, ausgemistet und dreimal gefüttert.“ Die beiden Brüder, die den Pferdehof betreiben, verstehen sich als Landwirte und Pferdesportbegeisterte. Ihr Vater war Ardenner-Züchter. In Luxemburg kosten Pferdepensionen je nach Boxgröße und Einstreu zwischen 450 und 650 Euro pro Monat. Zehn Aquatraining- und Solariumbehandlungen sind auf dem Meeschhaff für 320 Euro buchbar. Der Preis für eine Reitstunde in Merl und im Reitstall Kandel in Strassen liegt bei etwa 30 Euro. Die Nachfrage nach Kursen nehme allerdings leicht ab, schätzt Reitlehrer Dominique Remy – „es gibt einfach viele konkurrierende Freizeitangebote.“ Wie lange Kinder am Reitunterricht dranbleiben, sei sehr unterschiedlich: „Manche kommen nur ein paar Monate, manche bis sie für ihr Studium ins Ausland ziehen.“

4 181 Pferde zählte der Statec im Jahr 2023 in Luxemburg. Laut einer Statistik von 2017 ist ein Achtel als „landwirtschaftliche Pferde“ registriert, der Rest sind Reitpferde. Der Pferdebestand insgesamt hat sich seit 1995 verdoppelt. Allerdings ist diese Zahl unzuverlässig, da eine Meldepflicht erst in den letzten Jahren eingeführt wurde. Für die Pferde, die Luxemburgs Einwohner kaufen, zahlen sie zwischen 5 000 und einer Million Euro. Olympiasieger-Pferde können bis zu 10 Millionen kosten. Die meisten hiesigen Einwohner kaufen ihre Pferde in Niedersachsen, den Niederlanden, Frankreich oder Dänemark. Das dänische Unternehmerpaar Cynthia und Jens Thorsen, das das Gestüt auf dem Barockhof Pallerhof betreibt, arbeitet beispielsweise mit dänischen Pferden. In Luxemburg gibt es etwa zehn Züchter. Wer die Zucht professionell betreibt, erlebt die Geburt von sechs bis acht Fohlen im Jahr. Einige Fohlen kommen dabei durch Leihstuten zur Welt; ein Embryotransfer, der etwa 4 000 Euro kostet, soll die Weitergabe der Gene von Spitzenpferden ermöglichen, ohne sie von Sportwettbewerben fernzuhalten. Ein Züchter aus dem Osten erläutert, dass er dabei ist, 60 Pferde auszubilden. Dafür benötigt er 40 Hektar Land und fünf Festangestellte. Nach fünf bis sechs Jahren verkauft er sie über Händler weiter; steckt viel Potenzial in einem Jungpferd, kann er bis zu 250 000 Euro verlangen.

Am Sonntag findet auf dem Meeschhaff die Landesmeisterschaft im Dressurreiten statt. Sieben der Eingeschriebenen sind jünger als 16 Jahre. Weitere 20 Erwachsene und neun Profis ringen um Bestnoten, darunter auch Kristine Møller. In den vergangenen drei Jahren wurde sie Landesmeisterin in der Kategorie Senior B. Favorit in der Kategorie Senior A bei dieser Landesmeisterschaft ist Nicolas Wagner-Ehlinger. Bei den Olympischen Spielen in Paris konnte er gerade sein Ergebnis im Vergleich zur letzten Olympiade in Tokio mit seinem Pferd Quater Back Junior verbessern, erreichte allerdings nicht das Finale. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Nach dem Dressurwettbewerb vor dem Schloss von Versailles sagte er gegenüber L‘Essentiel: „Ich habe unser Land ganz gut repräsentiert und ich glaube, alle Luxemburger können stolz sein.“ 50 Tage vor dem Wettbewerb organisierte L‘Essentiel bereits ein Treffen mit Großherzog Henri und Nicolas Wagner-Ehlinger. Auf dem Pferdehof in Elvingen (Gemeinde Beckerich) ritt Henri neben dem Olympiateilnehmer und erzählte, dass er mit fünf oder sechs Jahren auf einem Pony namens Rusty zu reiten begann. Nun sei er „seit mindestens 20 Jahren nicht mehr geritten“. Aber es sei „wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht“. Zufällig wurde in der Nacht vor dem großherzoglichen Besuch auf dem Pferdehof ein Fohlen geboren, weshalb der Dressurreiter und seine Mutter vorschlugen, das Staatsoberhaupt könne einen Namen, der mit „F“ beginnt, für das Neugeborene aussuchen. Großherzog Henri entschied sich für Fireball.

Auch Politiker reiten. Lexy Schoos (ADR) für ihr Interesse an Pferden bekannt. „Es ist nun eine Weile her, dass ich auf einem Pferd saß. In meiner Freizeit bin ich vor allem geritten und Kutsche gefahren“, so Schoos. Die Eltern der CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen hatten ein Pferd auf ihrem Hof, auf dem sie geritten ist. Das Pferd habe sie mehr als einmal getreten. Sie rät aus Erfahrung: „Et soll een hanne vum Päerd wegbleiwen!“ Daneben ist die Klerfer DP-Politikerin Angèle Mersch, Lehrbeauftragte an der Landbauschule und ehemalige Präsidentin der Jongbaueren, eine aktive Reiterin. Als Pferdesympathisant bekannte sich 2018 der heutige Umweltminister Serge Wilmes (CSV) in einer parlamentarischen Anfrage: An den damaligen Minister für innere Sicherheit, François Bausch (déi Gréng), schrieb er, in Brüssel würden Polizisten auf Pferden patrouillieren. Das bringe den Vorteil, dass „der Polizist in einer erhöhten Position ist und einen viel besseren Überblick über das hat, was um ihn herum passiert“. Außerdem sei das Pferd ein Tier, „das sehr imposant ist und eine gewisse Autorität ausstrahlt“, und dennoch von vielen Menschen gemocht werde. Bausch antwortete dem damaligen Abgeordneten, die Schaffung einer Reiterstaffel würde „viel, sogar sehr viel“ kosten. Anders als Hunde könnten Pferde nur vier Stunden am Stück arbeiten.

Leser aus dem ländlichen Raum mögen sich erinnern, dass früher Ponys oder Pferde auf landwirtschaftlichen Betrieben mit durchgefüttert wurden. Mit rudimentären Vorkenntnissen machten die Dorfkinder Spaziergänge auf den Stuten. Für das Tier wurde kein besonders teures Material angeschafft. Dieser Trend nehme jedoch ab, heißt es aus der Pferdeszene. Einige erschwingliche Angebote existieren allerdings noch, wie die Islandpferde-Touren mit Daniel Schmidt in Alscheid. Die Pferdehaltung konzentriert sich jedoch zunehmend auf den Pferdesport. Und wer diesen ernsthaft betreibt, braucht Geld: Günstige Pferdeanhänger kosten 7 000 Euro, ein kleiner Pferdetransporter 60 000 Euro. Hochwertige Sättel kosten etwa 2 500 Euro, und Trensen circa 80 Euro. Hinzu kommen Rechnungen für das Beschlagen der Hufeisen, die zwischen 80 und 200 Euro liegen, sowie Tierarztkosten. Tiermediziner sagen, dass bei einem gesunden Pferd nicht mehr als 300 Euro jährlich anfallen – eben nur für Impfungen und Entwurmungen. Für Kolik-Operationen, die zumeist am Universitätsklinikum in Lüttich durchgeführt werden, können die Kosten jedoch auf bis zu 15 000 Euro steigen. Mittlerweile werden zudem Stammzellentherapien bei Gelenkerkrankungen und Sehnenschäden angeboten, die etwa 1 500 Euro kosten.

Reiten ist nicht ungefährlich. „Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich von einem Pferd gefallen bin“, sagt Dominique Remy. 2009 provozierte der Psychiater David Nutt die britische Regierung mit dem Artikel Equasy – An Overlooked Addiction with Implications for the Current Debate on Drug Harms. Darin argumentiert er, dass es sich bei Equasy, dem von ihm erfundenen Neologismus zur Beschreibung der Pferdesportsucht, um eine Sucht handle, „die zur Freisetzung von Adrenalin und Endorphinen führt und von vielen Millionen Menschen im Vereinigten Königreich, darunter auch Kindern und Jugendlichen, konsumiert wird. Die schädlichen Folgen sind hinlänglich bekannt – etwa zehn Menschen pro Jahr sterben daran, und viele weitere erleiden bleibende neurologische Schäden.“ Das Beispiel sollte eine Debatte über die moralische Akzeptanz und die historischen Neubewertungen bestimmter Aktivitäten anregen – wie Fuchsjagd, Zigarettenrauchen, Autofahren, Alkoholkonsum und MDMA-Gebrauch. So wollte er über die therapeutische Bedeutung von MDMA Aufmerksam machen. Die Idee dazu kam ihm, als er vor einer Patientin saß, die schwere Gehirnschäden durch einen Pferdesturz davongetragen hatte. Wahrscheinlich hätte Nutts Artikel Winston Churchill nicht beeindruckt. Er war der Meinung: „Es gibt etwas an dem äußeren Erscheinungsbild eines Pferdes, das dem Inneren des Menschen gut tut.“

Stéphanie Majerus
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