Mit Engel & Hansen nimmt die CSV einen zweiten Anlauf

Nun auch noch cool werden

d'Lëtzebuerger Land vom 01.02.2019

Bürgermeisterin Marion Zovilé-Braquet tritt selbstsicher auf. Hier in Contern herrschte von 2011 bis 2017 „die erste Gambia-Koalition des Landes“, erzählte sie am Samstag, doch seit einem Jahr sei die CSV wieder an der Macht. Der enge Moutforter Mehrzwecksaal mit dem Glanz vergangener Tage konnte einen symbolträchtigen Ort für einen zweiten Anlauf der CSV gegen die liberale Regierungskoalition abgeben.

48 Stunden nach der Wahlkatastrophe vom 14. Oktober hatte der erweiterte Nationalvorstand der CSV Handlungsfähigkeit demonstrieren und den Partei- und den Fraktionsvorsitzenden ersetzen wollen, um eine lähmende Führungslosigkeit wie 2013 zu verhindern. Serge Wilmes, der Sieger der Gemeindewahlen in der Hauptstadt, sollte als Parteipräsident und Martine Hansen als Frak­tionspräsidentin designiert werden.

Martine Hansen hatte bei den Kammerwahlen ihre Popularität im Ösling unter Beweis gestellt. Serge Wilmes hatte schon wiederholt erfolglos für Parteiposten kandidiert, doch nach seinem Erfolg bei den Gemeindewahlen in der Hauptstadt sollte es ihm wie einst Xavier Bettel bei der DP ergehen: Die Partei kam nicht mehr länger an ihm vorbei. Doch im Nationalvorstand stieß der Personalvorschlag auf Widerstand. So beschloss man, unter anderem auf Wunsch des nach der Niederlage von 2013 zurückgetretenen Präsidenten Michel Wolter, nichts zu überstürzen.

Damit blieb Zeit, um offiziell für eine Regierungsbeteiligung zu kämpfen und heimlich Ausschau nach einem besseren Kandidaten für den Parteivorsitz zu halten. Dann kündigte auch der Europaabgeordnete und ehemalige Fraktionssekretär Frank Engel seine Kandidatur an, und am vergangenen Samstag passierte, was passieren musste: Statt dass die Kongressdelegierten wie bisher einen von der Parteiführung ausgewählten, einzigen Kandidaten durchwinken mussten, hatten sie plötzlich die Wahl zwischen zwei Kandidaten.

Für die Orientierungslosigkeit der großen, alten Partei spricht, dass die beiden Präsidentschaftskandidaten nicht aus ihrer einflussreichen Mitte kamen, sondern vom Rand. Serge Wilmes ist in der Partei eher für seinen Ehrgeiz als für seinen Fleiß bekannt, der unberechenbare Frank Engel pflegt mit exotischen Ansichten zu provozieren. Beide versuchten, sich in Debattierzirkeln das Gehör zu verschaffen, das sie in der Partei nicht fanden, Serge Wilmes in der Dreikönigsgruppe der CSJ-Veteranen, Frank Engel in dem rechtsliberalen Cercle Joseph Bech.

Bis dahin wäre Serge Wilmes als der zuvorkommende Enkeltyp vielleicht zu seinem Ziel gekommen, wenn auch über den unvorhergesehenen Umweg einer richtigen Wahl. Doch um eine öffentliche Auseinandersetzung während des Kongresses zu vermeiden, organisierte die Partei in den vier Bezirken nicht öffentliche Aussprachen mit den beiden Kandidaten. Und jedes Mal, wenn beide Kandidaten den Mitgliedern im direkten Vergleich Rede und Antwort standen, schien das Frank Engel genutzt und Serge Wilmes geschadet zu haben.

Die CSV war nicht gespalten, aber uneins. Unmittelbar vor der Wahl am Samstag durften sich beide Kandidaten noch einmal 20 Minuten lang an die Delegierten wenden. Serge Wilmes spielte den fleißigen Rhetorikschüler der Akademie Oetzenhausen, unterstrich mit einstudierten Gesten, was ihn von seinem Konkurrenten unterscheide: dass für ihn der Mensch im Mittelpunkt stehe, dass er schon als Kind in Merl CSV-Flugblätter verteilt habe, dass er ein Familientyp sei, dass er „für eine konsequente, intelligente Opposition, nicht für knallharte Worte“ stehe, dass die CSV „eine Mitglieder- und Kompetenzpartei“ mit einer „neuen Diskussionskultur“ werden müsse. Sein vorsichtiges Kompromissangebot lautete: „Wir brauchen Erneuerung, keine Tabula rasa!“ Serge Wilmes servierte die wohlig warmen Worthülsen, die eine konservative Zuhörerschaft während Jahrzehnten beruhigten, sie könne getrost schlafen, die Patriarchen Werner, Santer oder Juncker hätten schon alles im Griff. Er spielte den jungen Mann, der so war, wie ihn sich die Alten in der CSV immer wünschten: alt zur Welt gekommen.

Der Unterschied zu Frank Engel hätte kaum größer sein sollen: Der Europaabgeordnete hielt eine politische Rede. Er gab sich als der forsche Typ, der heiße Eisen anfasst, wie die angebliche Ungeheuerlichkeit, dass die CSV nun eine Oppositionspartei sei und sich als solche zu benehmen habe. Die CSV solle nicht länger so tun, als ob sie einen Staat zu tragen hätte, denn den trügen inzwischen andere. Deshalb müsse die CSV „zurück in die Mitte der Luxemburger Gesellschaft“, ihre Beziehungen in der Zivilgesellschaft, zu Kirchen und Gewerkschaften beleben, neue Themen angehen wie künstliche Intelligenz, Umweltschutz und Klimawandel.

Zusammen mit der Nachwuchsorganisation CSJ müsse die Partei „wieder eine coole Partei“ werden, forderte Frank Engel. „Dieser Saal ist cool!“, jubelte er nach einem Blick in den Kongresssaal, der eher aussah wie die Weihnachtsfeier im Cipa. Wo Serge Wilmes gleich „delegieren“ wollte, versprach Frank Engel, hauptberuflich die Partei zurück an die Macht zu führen. Mit konservativen Zugeständnissen versuchte er, seinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Von der CSV, die eine Partei der kleinen Leute und kein Akademikerverein sei, bis zur Schlusspointe, der Staat solle allen Hausfrauen mit Kindern die Sozialversicherung zahlen.

So saß in Moutfort eine Hälfte Delegierte, die ein wenig, aber nicht zu viel erneuern wollten, damit alles weitergehen konnte, wie sie es gewohnt waren, und eine Hälfte, die befürchtete, noch einmal fünf Jahre zu vergeuden. Dass am Ende Frank Engel 42 Delegierte mehr als Serge Wilmes überzeugen konnte, drückt die Verzweiflung unter den Konservativen aus, die nach der zweiten Niederlage wohlig warme Worthülsen als Bedrohung zu empfinden beginnen, während DP, LSAP und Grüne vollendete Tatsachen schaffen.

Der heute 44-jährige Frank Engel aus Diekirch, der bis 1998 in Brüssel und Metz Recht studiert hatte, gehört zu jenen Konservativen, die nicht in dritter Generation als CSV-Mitglieder geboren wurden: In rechten Zeiten kam er aus der linken Studentenvereinigung Unel, deren Präsident er kurz war, und von den Grünen, um sich zum Marsch nach rechts aufzumachen. Manche marschieren weiter bis in ihr Verderben, er machte in der CSJ und der CSV halt. Als Präsident des Conseil national de la jeunesse stritt er mit JDL-Präsident Xavier Bettel. Er wurde parlamentarischer Referent des Europaabgeordneten Jacques Santer und nach den Niederlagen im Superwahljahr 1999 unter Fraktionspräsident Lucien Weiler 2001 Fraktionssekretär. Damals trat er die Nachfolge von Marc Glesener an, des glücklosen Wahlkampfberaters von Claude Wiseler bei den Kammerwahlen 2018. Nach einem Fiasko bei den Gemeindewahlen in der Hauptstadt 2005 durfte er 2009, als keine Minister mehr auf Stimmenfang gehen durften, zu den Europawahlen antreten und wurde hinter Viviane Reding und Astrid Lulling als Dritter direkt gewählt.

Im Juni 1999, als unmittelbar nach den Wahlen wieder alle eine Erneuerung forderten, gründete Frank Engel zusammen mit einigen anderen CSV-Mitgliedern aus der zweiten Reihe und dem Segen ehemaliger Partei- und Fraktionsvorsitzender den Cercle Joseph Bech. Der Zirkel wollte der Partei die Reste der christlichen Soziallehre ausreden und sie im Geist der Zeit auf einen rechtsliberalen Kurs bringen: Statt immer auf den LCGB zu hören, sollte die CSV das Kapitaldeckungsverfahren in der Rentenversicherung einführen. Wie das bei manchen christlich-sozialen Geschäftsanwälten die Regel ist, versuchte Frank Engel sich mit Kollegen des Cercle Joseph Bech oder als Europaabgeordneter in allerlei politischen und privaten Geschäften von Kroatien über Rumänien und Taiwan bis zur Françafrique, trat als Weinbauexperte in Nordkorea auf, sitzt im Verwaltungsrat der Briefkastengesellschaft einer britischen Söldnerfirma und ist Ehrenkonsul Armeniens.

Nachdem die CSV während der vergangenen Legislaturperiode als Regierungspartei ohne Regierung versucht hatte, bloß nichts falsch zu machen, um die Kontinuität des Luxemburger Modells nicht zu stören, will sie nun als Oppositionspartei Opposi­tion machen. Dazu ersetzte sie am 5.  Dezember mit 15 von 21 Stimmen den sanften Claude Wiseler durch die forsche Martine Hansen und jetzt den konservativen Gewerkschafter Marc Spautz durch den sarkastischen Liberalen Frank Engel. Um die Parteisektionen bei Laune zu halten, wählte der Kongress den Abgeordneten, Bürgermeister von Kehlen und ehemaligen Picco-bello-Moderator Félix Eischen ohne Gegenkandidaten zum neuen Generalsekretär.

Martine Hansen ihrerseits polemisierte schwerfällig und stramm rechts gegen die Regierung, die mit „seelenlosem Wachstum die Seele Luxemburgs verkauft“. Anders als für die liberale Koalition soll für die CSV das Eigenheim noch immer Vorrang behalten und auch „der Diesel nicht verteufelt“ werden. Die Fraktionspräsidentin will den Hausfrauen die Wahl lassen, zu Hause zu bleiben, und – „weshalb nicht?“ – den einst von Jean-Claude Juncker erfundenen „Congé fir d’Bomi an de Bopi“ einführen.

So wurde mit knapper Mehrheit die Zukunft der CSV beschlossen: Martine Hansen soll mit Stilblüten und Frank Engel ohne politisches Mandat der Regierung am Zeug flicken. Schlagen sie sich bis 2023 durch, haben sie Aussichten, sich um den Posten des Spitzenkandidaten, das heißt des dann vielleicht nächsten Premiers zu streiten. Eine forsch daherkommende Frau ist der alten Tante CSV sicher eine Überlegung wert, doch Frank Engel dürfte das Feld nicht kampflos räumen. Dass sich aber bis dahin noch vieles ändern kann, davon wissen Leute wie Luc Frieden genug zu erzählen.

Romain Hilgert
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