Immer wieder kommt es in der Unterhaltungsindsutrie zu einer Übernahme, die längerfristig die Spielkarten neu mischt. In diesem Fall ihm wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn die Spielkarten digital sind. Zu Beginn letzter Woche wurde angekündigt, dass das amerikanische Technologieunternehmen Microsoft den Computer- und Videospielkonzern Activision Blizzard zu übernehmen gedenkt. Und für diese Übernahme 68,7 Milliarden (!) auf den Tisch hinlegen will.
2013 stellte Microsoft seine Xbox One-Spielkonsole vor. Eine mittelgroße Katastrophe für den Konzern, der mit seinem Beitrag in der neuen Spielkonsolengeneration neben dem Gaming auf andere Medienfunktionen setzen wollte. Als sich dann Gerüchte verbreiteten, dass die Konsole technisch schwächer ausgerüstet als die PlayStation 4 von Sony daherkommen würde, eine Internetverbindung zum Spielen verbindlich wäre und dass die Konsole vor allem kein gebrauchtes Spiel annehmen würde, stieg der Frust bei SpielerInnen. Sony reagierte auf der Spielemesse E3 unter anderem mit einem 20-sekündigen Tutorialvideo, um zu erklären, wie man Spiele auf der PS4 teilt: einer drückte dem anderen eine Spielekopie in die Hand. Thanks, erwidert letztere. Wenn man von passiv-aggresiven Marketingsstrategien redet, dann ist das wohl ein Musterbeispiel. Microsoft ruderte zurück und strich die angeblichen Features. Doch der Schaden war schon angerichtet. Bis heute sind fast 55% weniger XBox One Konsolen über den Tisch gereicht worden als die Konsolen der Konkurrenz von Sony.
Die Fronten der console wars haben sich in der neunten Generation um Xbox Series X und S, PS5 (und Nintendo) nicht enthärtet. Und der Activision Blizzard Deal könnte eine verspätete Antwort auf die Sonys Thanks von vor fast 8 Jahren sein. Die fast 70 Milliarden Dollar sind nicht nur für Normalsterbliche eine alles andere als fassbare Summe. Disney hat für Marvel (Superhelden) und Lucasfilm (Star Wars) jeweils 4 Milliarden, für Pixar 7 Milliarden hingelegt. Nur die Disney-Maus-Übernahme von Fox ähnelt diesem Deal. Mit dieser Aktion erinnert Microsoft einmal mehr, inwieweit die Videospielindustrie in der Mitte der Unterhaltungsindustrie angekommen und schon lange kein Nischengewerbe ist. Hollywood ist schon lange vom Gaming überholt worden: Es wird von einem jährlichen Umsatz von 80 Milliarden Us-Dollar in der ganzen Branche gesprochen.
Übernahmen jeglicher Größenordnung liegen dem Spiel inne. Und Microsoft ist keinewegs verzweifelt. Lässt sogar mit einem längerfristigen Blick die Muskeln spielen. Activision besitzt die lukrativsten Lizenzen auf geistiges Eigentum seiner Sparte. Von den rein qualitative Bemessungen abgesehen, gehören die alljährlichen Call of Duty-Spiele weiterhin zu den meistverkauftesten Spielen jedes Jahr. Candy Crush der maltesischen King ist seit Jahren mit seinem Freemium-Konzept aus Gratisspiel mit Mikrotransaktionen einer der lukrativsten Player bei Handyspielen. Und gehört in Zukunft Microsoft. Genau so wie World of Warcraft, Crash Bandicoot – der Versuch von Sony zu PlayStation (1)-Zeiten, seinen eigenen Mario zu haben – und Dutzend andere Spiele mit einer Spielerschaft in Millionenhöhe.
Das aggressive Vorgehen bei diesem Deal ist in erster Linie nicht, Spiele unter eigenem Namen zu entwickeln. Vor allem geht es Microsoft darum, den angebotenen Spielekatalog für seinen Game Pass-Dienst zu vergößern. Ein Abonnement-Modell im Stil von Netflix oder Spotify, bei dem SpielerInnen monatlich bezahlen, um Zugriff auf Spiele zu erhalten. Und Game Pass trifft auf hungrige Spielefinger: Mit der Ankündigung der Übernahme ließ Microsoft auch wissen, dass der Game Pass-Dienst die Zahl von 25 Millionen Abonennten überschritten hat. Ein Abonnement startet bei rund 10 Euro. Sie können die Rechnung selber machen.
SpielerInnen können sich mit sehr gutem Grund, Sorgen darüber machen, wie es in Zukunft weitergehen soll. PC-Gamer werden vielleicht von Steam auf den Microsoft Gaming Store, PlayStation-JüngerInnen eventuell komplett auf eine andere Konsole oder einen PC umsteigen müssen, wenn sie weiterhin Spiele verschiedener Franchises spielen wollen. Sony hat in dieser Hinsicht schon auf die kontraktuellen Bedingungen aufmerksam gemacht, die sie mit den Multiplattform-Spieleherstellern haben. Microsoft Gaming CEO Phil Spencer versicherte prompt über Twitter, dass in dieser Hinsicht nichts zu befürchten sei. Call of Duty-Spiele würden z.B. weiterhin überall spielbar sein. Das Exklusivitätsthema ist berechtigterweise in aller Munde, aber eine grundsätzliche Diskussion um die Eigentümerschaft wird findet nicht statt. Genau so wenig wie das Konservierungs- und Archivierungsthema. Heute ist es noch ein Abonnement mit Gigabytes schweren Downloads, Morgen oder Übermorgen ist Cloud Gaming die Ansage, die die Frage des kostenschweren technischen Dispositivs umgeht. Und wer nicht mehr zahlt, hat nichts mehr. Die Dematerialisierung der Kunst- und Kulturgüter – unabhängig von Microsoft und Sony, oder Nintendo – wird in großen Schritten kommen und wird sicher nicht vor nostalgischen Geeks Halt machen, die sich die gebrauchten Spiele gegenseitig in die Hand drücken wollen.