Die Parlamentseröffnung in Großbritannien ist ein Ereignis, das mit strengen und teils skurrilen Traditionen gespickt ist. Auch dieses Jahr suchten zum Beispiel die königlichen Leibwächter die Keller in Westminster nach Sprengstoff ab. Dies ist eine zeremonielle Durchsuchung, die auf das Jahr 1605 zurückgeht, als britische Katholiken um Guy Fawkes planten, das Parlament und König James I. in die Luft zu sprengen. Da diesmal glücklicherweise kein Sprengstoff gefunden wurde, konnte die königliche Kutsche König Charles III. und Königin Camilla vom Buckingham Palace zum Parlament bringen. Eine Abgeordnete wurde gleichzeitig zeremoniell als Geisel im Palast festgehalten. Diese Tradition stammt aus den Bürgerkriegen des 17. Jahrhunderts, die zur Enthauptung von König Charles I. führten. Die Monarchie wollte sich zukünftig so gegen weitere Königsmorde absichern. Natürlich schlüpfte der König auch wieder in den schweren Hermelinumhang der Staatsrobe, trug die Imperial State Crown auf dem Kopf und nahm Platz auf dem prunkvollen Sovereign’s Throne, eines der wichtigsten Möbelstücke in Westminster.
Doch es wehte diesmal auch frischer Wind in den alten Gemäuern des Parlaments. Die königliche Rede, die traditionsgemäß von der Regierungspartei verfasst und vom König verlesen wird, stellte ganze 40 Gesetzentwürfe vor, doppelt so viele wie der Durchschnitt der konservativen Königsreden der letzten 14 Jahren. Marode Infrastruktur, stagnierende Wirtschaft und Wohnungsnot will die Regierung bekämpfen, auch sollen Bahnunternehmen verstaatlicht werden.
Starmer ist sich bewusst, dass der Erdrutschsieg seiner Partei ihm die Möglichkeit gibt, das Königreich bedeutungsvoll umzugestalten. Das ambitionierte Regierungsprogramm zeugt von seinem Tatendrang: Seine Maßnahmen werden „die Position Großbritanniens als führende Industrienation stärken und es dem Land ermöglichen, neue Chancen zu nutzen, die Wachstum und Wohlstandsschaffung fördern können“, las der König aus dem Programm vor.
Wachstum ist das Hauptanliegen Starmers. Ein Nationaler Vermögensfonds, ausgestattet mit 7,3 Milliarden Pfund, soll Investitionen anlocken, die dann in grüne Projekte fließen können. Auch stellte die Regierungspartei „Great British Energy“ vor, ein neues öffentliches Unternehmen, das erneuerbare Energien produzieren wird. Die Erwartungen sind groß: Zusammen sollen der Vermögensfonds und GB Energy das Königreich in eine „Supermacht der sauberen Energie“ verwandeln, Kosten senken, Arbeitsplätze schaffen und bis 2030 „Netto-Null-Emissionen erreichen“, so Labour.
Hiermit unterscheiden sich die Sozialdemokraten von der Vorgängerregierung, denn im Herbst machte Rishi Sunak eine klimapolitische Kehrtwende: Er verschob das Verkaufsverbot für Autos mit Verbrennungsmotoren von 2030 auf 2035 und das Neuinstallieren von Gasheizungen sollte ebenfalls länger erlaubt sein.
Ed Miliband, Labours Energieminister, erklärte etwas überraschend, dass seine Partei keine Frist für Gasheizungen festsetzen will. Doch dem Daily Telegraph sagte er, dass er statt eines Verbots „zeigen wollte, dass Wärmepumpen erschwinglich sind und für die Menschen funktionieren können“. Verbrennungsmotoren sollen jedoch wieder ab 2030 verboten werden.
Gleichzeitig wird der Bahnverkehr wieder verstaatlicht. In den kommenden fünf Jahren soll fast der komplette Zugverkehr von Great British Railways, einer neuen nationalen Gesellschaft, übernommen werden. Labour verspricht Reisenden damit billigere Ticketpreise und mehr Zuverlässigkeit.
Das Arbeitsrecht wird fairer für Arbeiter werden. Null-Stunden-Verträge werden verboten, genau wie fire and re-hire-Praktiken, bei denen Firmen Arbeitnehmer entlassen, um ihnen neue, ungünstigere Kontrakte anzubieten. Auch haben Arbeiter nun Anspruch auf Krankengeld ab dem ersten Arbeitstag und müssen nicht mehr ein Jahr Betriebstätigkeit hinter sich haben, um Elternurlaub anfragen zu können.
Die geplante Reform des Planungsrechts ist eines der ambitioniertesten Versprechen der Regierung: 1,5 Millionen Wohnungen – manche sogar in komplett neuen Ortschaften – sollen in fünf Jahren gebaut werden. Details über die Standorte dieser neuen Wohnungen und wie diese Pläne mit den grünen Ambitionen der Regierung in Einklang gebracht werden können, bleiben noch abzuwarten. Auch fehlt es Großbritannien zum Beispiel an Fachkräften wie Maurern und Planungsspezialisten. Bevor chronische Wohnungsnot bekämpft werden kann, müssen also erstmals Arbeiter ausgebildet und eingestellt werden.
Außenpolitisch wird sich mit der neuen Regierung auch einiges ändern. Obwohl man keine Brexit-Kehrtwende erwarten kann, wird der Ton gegenüber den europäischen Nachbarn freundlicher. „Wir möchten mit Ihnen allen zusammenarbeiten, um Beziehungen neu zu gestalten, unser gemeinsames Interesse wiederzuentdecken und die Beziehung des Vertrauens und der Freundschaft zu erneuern, die das Gefüge des europäischen Lebens erhellen“, sagte Starmer letzte Woche beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Auch hat Starmer Rishi Sunaks kontroverse Asyl-Abkommen mit Ruanda gestoppt, in dem Asylbewerber unabhängig von ihrer Herkunft ins afrikanische Land abgeschoben werden sollten.
Obwohl der Ton der Königsrede traditionell neutral ist, konnte man einen klaren Seitenhieb an die Tory-Partei heraushören. Das Regierungsprogramm sieht nämlich vor, dem Amt für Haushaltsverantwortung mehr Befugnisse zu übertragen. So soll das Office for Budget Responsibility (OBR) über alle wichtigen Steuer- oder Ausgabenankündigungen urteilen, um ein Desaster wie das „Mini Budget“ von Liz Truss zu verhindern. Denn die Tory-Regierung unter Liz Truss hatte vor zwei Jahren ganze 45 Milliarden Pfund an nicht finanzierten Steuersenkungen angekündigt, ohne das OBR vorher zu konsultieren. Das Pfund fiel daraufhin auf historische Tiefstände und erschütterte die Finanzmärkte. „Stabilität wird der Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik meiner Regierung sein und jede Entscheidung wird im Einklang mit ihren Haushaltsregeln stehen“, so die Sozialdemokraten.
Bereits am Dienstag zeigte Starmer, dass er es mit der Haushaltsverantwortung ernst meint, auch wenn unpopuläre Entscheidungen getroffen werden. Im Parlament stimmten die Abgeordneten nämlich über einen Antrag der Schottischen National Party ab, die eine Zwei-Kind-Grenze beim Kindergeld abschaffen will, ein Überbleibsel der strengen Sparmaßnahmen der Konservativen. Starmer hatte dies nicht im Regierungsprogramm vorgesehen, und so wurde von Labour-Abgeordneten erwartet, dass sie dagegen stimmten. Der Antrag schlug schlussendlich fehl, und sieben Labour-Abgeordnete, die für das Ende dieser Maßnahme votierten, wurden von der Partei für sechs Monate suspendiert. Eine Machtdemonstration, die vom linken Flügel der Partei stark kritisiert wird.
Die Regierung erklärte, dass man keine „unfinanzierte Versprechen“ machen könne. Doch der Druck, die Obergrenze des Kindergeldes abzuschaffen, wird wachsen, denn in Großbritannien leben immerhin mehr als vier Millionen Kinder in Armut.
In der Königsrede versprach Keir Starmer, „das Fundament der Nation zu reparieren“. Wie gewohnt, blieb der Sozialdemokrat pragmatisch – er weiß, was für eine monumentale Arbeit seiner Regierung bevorsteht. „Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfordern entschlossene, geduldige Arbeit und ernsthafte Lösungen und nicht die Versuchung einer einfachen Antwort“, so Keir Starmer. Der linke Flügel der Labour-Partei hat dem Premier jedoch bereits deutlich gemacht, dass seine Reformpläne für einige Parteimitglieder und vermutlich auch für zahlreiche Wähler nicht weitreichend genug sind.