Die konservative britische Regierung hat Anfang März neue verschärfte Regeln angekündigt, um in Großbritannien Asylsuchende von der Überquerung des Ärmelkanals auf kleinen Booten und der unerlaubten Einreise nach England abzuhalten. Innenministerin Suella Braverman kündigte im britischen Unterhaus in einem Gesetzesantrag an, dass jegliche Person, die auf diese Weise nach England einreise, sofort in Haft genommen und nach spätestens 28 Tagen in ihr Ursprungsland abgeschoben werde, notfalls in ein sicheres Drittland. Ein Recht, die Entscheidung anzufechten, gebe es erst aus dem Ausland.
Das Recht, eine Abschiebung zu stoppen, weil Menschenhandel oder Sklaverei vorliege, gelte bei einer illegalen Einreise nicht mehr. Auch das Recht auf eine Rückkehr nach Großbritannien, sowie das Recht, je die britische Staatsbürgerschaft zu erhalten, verfalle. Ausnahmen bei der Abschieberegelung werde es nur bei Kindern unter 18 Jahren geben, bei Menschen, deren Gesundheitszustand eine Abschiebung nicht zulässt, und in
besonderen Härtefällen.
Braverman gab an, sie könne nicht garantieren, dass die Ankündigungen mit dem britischen Menschenrechtsgesetz kompatibel seien, wohl aber mit internationalem Recht und der Flüchtlingskonvention von 1951. Im Gesetz seien allerdings Vorkehrungen eingebaut, die Teile des Menschenrechtsgesetzes in diesem Fall außer Kraft setzen. Andere verneinen jede Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, so dass das Gericht nicht einfach die britischen Maßnahmen
blockieren könne.
Bei einem Staatsgipfel zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich genehmigte die britische Regierung Zahlungen in Höhe von 542 Millionen Euro, mit der die Küstenüberwachung in Frankreich gestärkt und außerdem ein Auffangzentrum errichtet werden soll, das allerdings frühestens 2026 fertig gestellt sein wird. Im Juli letzten Jahres gewährte London bereits 62,7 Millionen Euro für ähnliche Zwecke.
Labours Schatteninnenministerin Yvette Cooper kritisierte die Ankündigungen. Der Anstieg der Bootüberquerungen von 280 vor vier Jahren auf 45 000 im letzten Jahr sei einzig die Schuld der seit 13 Jahren regierenden Torys, die es weder schafften, gegen Menschenschleuser vorzugehen, noch den aufgrund von Personalkürzungen entstandenen Rückstau an Asylanträgen
zu bearbeiten.
Zudem bestünden kaum Vereinbarungen mit anderen Ländern, Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Abschiebungen nach Ruanda – sie werden derzeit vom höchsten britischen Gericht geprüft – seien auf nur 200 Personen begrenzt.
Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR gab an, Großbritanniens eigene Daten würden bezeugen, dass es sich bei der großen Mehrheit der Menschen, die den Ärmelkanal auf eigene Faust überqueren, um Personen handelt, die als Flüchtlinge vollständiges Recht auf Asyl hätten.
Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei diesen Gesetzesanträgen lediglich um Symbolpolitik handelt. So werden die Maßnahmen erst einmal zwischen Unterhaus und Oberhaus hin- und herpendeln. Selbst wenn das Gesetz am Ende verabschiedet wird, könnte es noch vor Gericht angefochten werden. Mit einer harten Politik zu den Asylsuchenden könnte die britische Regierung versuchen, den rechten Flügel in der Fraktion zu besänftigen. Regionalwahlen stehen im Mai an, die Nationalwahlen nächstes Jahr.
Doch die Debatte um diese kontroverse Asylpolitik fand sich überraschenderweise in einem ganz anderen Rahmen wieder – außerhalb von Westminster. Das wurde ersichtlich, als am vergangenen Wochenende das britische Fußballhighlight der BBC ohne Moderation und Studiogäste lief und auf 20 Minuten gekürzt wurde. Der Moderator des Match of the Day ist normalerweise der frühere englische Stürmestar Gary Lineker, der dafür die Spitzengage des Senders von umgerechnet rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr erhält. Doch Lineker, der seit 20 Jahren die Fußballsendung moderiert, wurde suspendiert.
Was das mit der Asylpolitik zu tun hat? Der frühere Nationalspieler hatte am vergangenen Dienstag auf Twitter die Maßnahmen der britischen Regierung kritisiert: „Es gibt keinen großen Zustrom. Wir nehmen weniger Flüchtlinge als andere große europäische Länder auf. Dies ist einfach eine unfassbar grausame Maßnahme, die sich gegen die verletzlichsten Menschen richtet, verfasst in einer Sprache, die der Deutschlands der 1930-er Jahre nicht unähnlich ist“, hatte Lineker getwittert.
Eine ganze Garde konservativer Politiker/innen sah darin einen schweren Bruch der Neutralität der BBC. Manche forderten, dass der Sender Lineker entlassen solle. Innenministerin Braverman wollte in der Aussage eine Verharmlosung des Holocausts erkennen. BBC-Intendant Tim Davie, selbst Tory-Mitglied, hatte bei seinem Amtsantritt die „Neutralität“ zu seinem Hauptanliegen erklärt. Damit reagierte er auf Beschwerden von Brexit-Unterstützer/innen, die BBC sei vor und nach dem Referendum nicht neutral gewesen. Nun sagte auch er, Lineker habe die Neutralitätsregeln gebrochen.
Die Frage wurde seitdem heiß diskutiert. BBC-Beschäftigte müssen die Balance halten – auch in den sozialen Medien. Für den Ruf der Rundfunkanstalt gilt das als besonders wichtig. Aber Lineker ist kein Politikreporter und in Sachen Fußball ist er mit seinem Tweet neutral geblieben. Zudem unterliegt er als freier Mitarbeiter anderen Regeln.
Bereits im Februar letzten Jahres stellte die Beschwerdestelle der BBC einen Regelbruch Linekers fest. Er hatte via Twitter gefragt, ob die Partei der damaligen Außenministerin Liz Truss Parteispenden russischer Geldgeber wohl zurückgeben würde. Lineker habe als einer der Stars des Senders eine „weitreichende Verantwortung“, auch wenn er nicht denselben Neutralitätsregeln unterworfen sei wie festangestellte BBC-Journalist/innen, hieß es damals.
Greg Dyke, BBC-Intendant von 2000 bis 2004, glaubt, dass der Sender selber nicht neutral ist und sich dem Druck der Regierung gebeugt hat. Andere sehen das ähnlich. Der Blick geht dabei auf den BBC-Vorsitzenden Richard Sharp. Dieser erhielt seine Stelle vom damaligen Premier Boris Johnson, kurz nachdem Sharp ihm geholfen hatte, ein Privatdarlehen in Höhe von umgerechnet 900 000 Euro zu sichern. Sharp hat den Torys zudem umgerechnet 450 000 Euro gespendet. Die ganze Affäre wird immer noch parlamentarisch untersucht.
Bemerkenswert war aber die Solidarität, die Lineker entgegengebracht wurde. Seine Kolleg/innen kündigten unmittelbar nach seiner Suspendierung an, dass sie ohne Lineker nicht auf Sendung gehen würden. Schließlich meldete sich noch Premierminister Rishi Sunak zu Wort, nachdem eine Yougov-Umfrage ergeben hatte, dass die Mehrheit der Brit/innen die Suspendierung Gary Linekers für falsch halte. Er hoffe, dass die BBC und Lineker die Sache bald ausbügeln könnten.
Anfang dieser Woche gab es dann Rückzieher und Rettungsversuche. Linekers Suspendierung wurde aufgehoben, die BBC kündigte eine Untersuchung zur Handhabung der Neutralität an, und im Parlament betonte Innenministerin Braverman, man würde ja unbegleitete Kinder und Jugendliche im Land aufnehmen. Die Guardian-Kolumnistin Hannah Jane Parkinson argumentierte, dass die Torys momentan Promis aus dem öffentlichen Leben mehr fürchten könnten, als die Labour-Opposition.