Der Motorsport als Paralleluniversum: Technologie-Transfer vom Verbrenner-Boliden zum Elektro-Renner

Emotionen aus der Batterie

d'Lëtzebuerger Land vom 21.01.2022

Der Motorsport ist seit seinen Anfängen im 20. Jahrhundert eine Art Technologie-Labor für die Automoindustrie. Auch heute noch. Unter Wettbewerbsbedingungen treten permanent Extremsituationen auf, oder sie werden in Trainings-Sessions simuliert, um die Belastbarkeit und Widerstandsfähigkeit der Autos zu testen. Die unter höchstem Stress für Mensch und Material gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Serienproduktion ein. Da diese sich aber längst an der fortschreitenden Elektromobilität orientiert und nicht mehr an den jahrzehntelang gängigen Verbrennungsmotoren, gilt das inzwischen auch für den Rennsport. Im Interesse der Serienproduktion hat die Phase der Transformation auch die „Fahrerei im Kreis“, wie es der verstorbene Formel-1-Weltmeister Niki Lauda einmal formulierte, erreicht. Elektromobilität ist vielerorts nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die großen Konzerne investieren in Serien, wie etwa die Formel E, in denen ausschließlich batteriebetriebene Fahrzeuge an den Start gehen. Oder aber sie treten mit völlig neuentwickelten elektrifizierten Modellen in bereits bestehenden, renommierten Wettbewerben gegen konventionell angetriebene Mitbewerber an. So wie das Audi beispielsweise bei der erst vor wenigen Tagen beendeten Rallye Dakar getan hat.

Dort brachten die Ingolstädter drei RS Q e-tron an den Start der über 8 000 Kilometer langen Ausdauerprüfung in der saudi-arabischen Wüste. Das sind Elektro-Buggys, die einen Vierzylinder-Benziner als Range Extender ihres Elektroantriebs benötigen, damit sie überhaupt das Ziel erreichen. Bei der Entscheidung über den Gesamtsieg spielte Audi zwar wegen eines Unfalls und Problemen bei der Navigation keine Rolle. Den machten zwei Toyotas ohne E-Antrieb unter sich aus. Die mit prominenten Fahrern aus der Marathon-Szene besetzten RS Q e-tron konnten aber immerhin Podiumsplatzierungen und Etappensiege bei den Tageswertungen für sich verbuchen.

Der Hersteller spricht demzufolge auch von „zuverlässig funktionierenden elektrischen Antriebssystemen“, von „voller Wettbewerbsfähigkeit beim Debüt“ und davon, dass die Rennerei in der Wüste künftig „die Speerspitze des werkseitigen Motorsport-Engagements“ der Marke mit den vier Ringen bilden solle. Hintergrund ist natürlich auch hier, den den markeneigenen Slogan „Vorsprung durch Technik“ bestätigen zu wollen. Denn auch bei den Serienmodellen vollzieht die Volkswagen-Tochter derzeit quer durch ihre gesamte Angebots-palette den Wandel hin zur Elektromobilität.

Zuvor hatte das Unternehmen auf einer anderen Plattform, der so genannten „Formel E“, seine ersten Schritte bei dieser neuen Form des Motorsports getan. Das Formel-E-Team Audi Sport ABT Schaeffler war sieben Jahre lang mit 15 Siegen und einer Meisterschaft erfolgreich unterwegs gewesen. Dann verkündete Audi-CEO Markus Duesmann Ende 2020, dass es nun an der Zeit sei, „den nächsten Schritt zu tun“, nachdem die Formel E „bei Audi die Phase der Transformation“ begleitet habe.

Zu ähnlichen Erkenntnissen war man bei BMW und Mercedes gelangt. Auch diese beiden deutschen Premium-Hersteller hatten im vergangenen Jahr in der Formel E den Stecker gezogen. Die Münchener erklärten, man habe „im Technologie-Labor Formel E“ genug gelernt. Die Möglichkeiten eines Technologie-Transfers seien „im Wesentlichen ausgeschöpft.“ Der Fokus solle daher in Zukunft hauptsächlich auf Entwicklung und Produktion elektrisch angetriebener Serienautos liegen.

Und Mercedes? Die Stuttgarter hängen in der Formel E noch eine Saison dran. Die dort sehr erfolgreichen Schwaben haben natürlich die Formel 1 im Blick. Die hat sich auf die Fahnen geschrieben, ab 2025 klimaneutral sein zu wollen. Basis dafür sollen synthetisch hergestellte E-fuels sein, die die mächtigen Verbrennungsmotoren antreiben. Zudem will der Besitzer der „Königsklasse des Motorsports“, das US-Unternehmen Liberty Media um den ehemaligen Formel-1-Geschäftsführer Case Charey, die Rennen bis zu diesem Zeitpunkt zu 60 Prozent elektrisch betreiben. Das bereits zur vergangenen Saison eingeführte Maximalbudget von 120 Millionen Euro pro Team und Saison sieht Liberty-Boss Greg Maffei als „historische Leistung“ im Rahmen „eines Öko-Systems, das wir gemeinsam mit den Teams bearbeiten“.

Die Entscheidung der drei deutschen Hersteller, die Formel E zu verlassen, wird bei den verbleibenden Werksteams von Porsche, DS, Jaguar, Nissan und NIO teilweise mit Unverständnis aufgenommen und auch dementsprechend kommentiert. Nirgendwo, untermauern viele Renningenieure, sei das Miteinander zwischen Rennsportentwicklung und Serienproduktion von Elektroautos so substanziell und ergebnisorientiert wie in der Formel E. Das gleiche gelte auch für die neue Tourenwagen-Serie E-TCR. Über deren Innovationskraft könne man zum gegenwärtigen Zeitpunkt genauso wenig belastbare Aussagen machen wie über die DTM Electric, die frühestens ab 2023 kommen wird. Dort sollen die Teilnehmer auf die Motorentechnologie von Schaeffler aus der Formel E setzen.

Aber nicht nur der Motorsport, sondern das gesamte System Auto steht derzeit vor der größten Herausforderung seiner Geschichte. Der Wettlauf um die zweite Erfindung des Automobils hat längst begonnen. Und mit ihm die Umgestaltung der Rennerei. Die Elektromobilität als Baustein einer nachhaltigen Klima-, Energie und Wirtschaftspolitik hat in neuen Rennserien oder durch ambivalente Starterfelder mit Elektro- und Verbrennungsantrieben in bereits bestehenden Formaten Einzug gehalten.

Auch in den vielen Rundstrecken-Formaten oder in den Rallye-Wertungsprüfungen, in denen Privatiers mit viel Herzblut und limitierten finanziellen Möglichkeiten ihrem Hobby nachgehen, geht die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Bestes Beispiel dafür ist das Engagement des Frontsängers der Pop-Gruppe Die fantastischen Vier, Smudo: Der 53-Jährige bestreitet auf der weltweit schwierigsten, aber auch schönsten Rennstrecke, der Nürburgring-Nordschleife, das legendäre 24-Stunden-Rennen in einem Porsche des Rennstalls Four Motors.

Das Unternehmen will mit reraffinierten Hochleistungsölen, Hightech-Kraftstoffen und biologischen Anbauteilen am mehrere hundert PS starken Fahrzeug Nachhaltigkeit und Rennsport miteinander verbinden. „Wir wollen Motorsport leben, das Adrenalin, den Wettkampf und die Action erleben, dabei aber weniger CO2 emittieren“, erläutert der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Bernd Michael Schmidt heißt, das Konzept von Four Motors.

Auf dem 20,832 Kilometer langen Kurs in der Eifel wird sich im Regelwerk der Serien, die dort gefahren werden, ohnehin ab der in wenigen Wochen beginnenden Saison einiges ändern. Die dort ausgetragene Nürburgring-Langstreckenmeisterschaft beinhaltet von März bis Oktober zehn Rennen über vier oder sechs Stunden. Dieses Jahr wird es zum ersten Mal eine eigene Hybridklasse geben. Als Erster hat ein BMW i8 des Teams Sorg Motorsport bereits seine Testrunden in der „Grünen Hölle“ absolviert. Ohne technische Probleme und mit Zeiten, die an die Leistungen der Top-Fahrzeuge heranreichen.

Volker Strycek, Leiter der Technikabteilung des Ausrichters, der Veranstaltergemeinschaft Langstreckenmeisterschaft Nürburgring (VLN), bestritt für Opel zahlreiche 24-Stunden-Rennen auf dem „Ring“. Er bestätigte schon im Herbst 2021: „Wir haben das erforderliche Reglement geschrieben und stimmen uns mit dem Deutschen Motorsportbund (DMSB) ab.“ Dieses Regelwerk wolle man sehr einfach halten, „damit großes Interesse besteht und sich jeder wiederfinden kann“. Die Betreiber der legendären Rennstrecke in der Eifel, die im Jahr 2027 hundert Jahre alt wird, wollen batteriebetriebenen Boliden in Zukunft in dieser Serie eine Chance und eine Heimat geben.

Amateuren, die ihrer Leidenschaft mit einem vergleichsweise geringen Budget und lokalen Sponsoren „aus ihrer Nachbarschaft“ frönen, soll auch abseits fester Rennstrecken im Rallyesport der Weg in eine elektrische Zukunft geebnet werden. Der von Opel in Rüsselsheim konzipierte Corsa e-Rallye ist die Grundlage für den weltweit ersten Elektro-Markenrallye-Cup. Elektrorallyes für emissionsfreie Fahrzeuge sollen dabei eine Serie werden, die diese Art Motorsport „auf Basis des Serienfahrzeugs für alle voll alltagstauglich und erschwinglich macht“. So hatte es der damalige Opel-Chef Michael Lohscheller bei der Vorstellung des Autos vor drei Jahren formuliert.

Auch der ADAC, in dessen Nachwuchsabteilungen und Förderprogrammen spätere Weltmeister wie Sebastian Vettel und Nico Rosberg ausgebildet wurden, beteiligt sich an dem Projekt. „Mit diesem Auto bringen wir erstmals Elektroantriebe in den Breitensport“, sagte Ex-ADAC-Sportpräsident Hermann Tomczyk. Tatsache ist jedoch auch, dass der 136 PS stake e-Corsa immer noch deutlich teurer als ein serienmäßiger Verbrenner-Corsa für den Rallyesport ist. Kundenteams könnten, so der Autobauer bei der Einführung vor zwei Jahren, für „deutlich unter 50 000 Euro“ ein Fahrzeug bei Opel Motorsport erwerben.

An sportlichen Angeboten seitens der Industrie in bereits bestellbaren Produkten ohne Wettbewerbs-
charakter fehlt es aber auch nicht. Stilistisch verlockend und betörend ausgeformte „Kracher“ wie beispielsweise der Ford Mustang Mach-E GT mit 487 PS sollen den König Kunden bei dessen geheimen Wünschen und Leidenschaften abholen. Das vollelektrische Pony-Car-SUV zeichnet den Weg vor, den der Motorsport, aber auch (sehr) sportliche Serienmodelle gehen werden oder bereits eingeschlagen haben. Und die Akustik-Designer aus dem Hause Ford wissen, woran es bei aller Nachhaltigkeit nicht fehlen darf: Auch ein E-Sportler für die hauseigene Wallbox muss Emotionen schüren und befriedigen können. Warum sonst gäbe es im Mach-E GT die unterschiedlichen Fahrmodi mit den Namen „Whisper“ (flüstern), „Engaged“ (mitreißend) oder „Unbridled“ (ungezügelt)?

Nur vernünftig und ausschließlich umweltbewusst unterwegs sein, macht auf Dauer eben auch keinen Spaß. Ein bisschen verrückt und entzückt sollte man allen öko-moralischen Feigenblättern zum Trotz schon sein dürfen. Beim Zuschauen auf der Rennstrecke und selbstverständlich auch beim Ausleben auf der Landstraße in der eigenen „Öko-Flunder“.

Jürgen C. Braun
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