„Background am Gespréich“ von RTL bot vergangenen Samstag großes politisches Kino. Zu erleben war, wie der grüne Vizepremier und Mobilitätsminister François Bausch den grünen Energieminister Claude Turmes auf seinen Platz verwies und sich mit Ernest Pirsch, dem Koordinator der Autohändler-Lobby House of Automobile, zu verbünden schien. Jedenfalls ein paar Momente lang.
Pirsch hatte Turmes vor zwei Wochen „fanatisch“ genannt, weil der am 29. Mai auf einer Pressekonferenz erklärt hatte, die Regeln über die Dienstwagen würden überarbeitet, so dass „in Zukunft quasi exklusiv dann noch elektrische, vollelektrische Autos über Leasing möglich sind“. Einer Nachfrage, wie das erreicht werden soll, entgegnete Turmes, auch die Leasing-Branche wisse, „dass eine Zukunft nur sein kann, wenn wir klimafreundliche Autos haben, und die einzigen klimafreundlichen Autos, die es gibt, sind vollelektrische. Alle anderen haben CO2-Emissionen. Deshalb ist die Richtung ganz klar, das steht im Klimaplan und das werden wir als Regierung so umsetzen“.
Dass Bausch im „Background“ versicherte, es gebe keine Regierungsentscheidung, beim Leasing von Dienstwagen „ab einem bestimmten Datum nur noch Elektro“ zu fördern, war nicht nur eine Ansprache an HOA-Koordinator Pirsch, sondern auch eine an die Autofahrernation. Politik zu machen, die Autofahrer als gegen sich gerichtet ansehen könnten, ist in Luxemburg heikel. Zwar muss sie Ministern der Grünen nicht schaden, vielleicht aber den Kollegen von DP und LSAP, und das setzt dann Grenzen. „Mobilität ist mein Bereich!“, betonte Bausch am Samstag. Und sagte, Turmes sei „ein engagierter Mensch“, der „vielleicht manchmal in Etappen zu weit springt. Das ist vielleicht sein Problem“. Da klang der kleine Krach noch durch, den beide zuvor hatten: Bausch belehrte Turmes, nicht mehr im Europaparlament zu sein, sondern Minister, und dass ein Minister imstande sein müsse, durchzuziehen, was er ankündigt. Auf RTL sagte Bausch, schon nächstes Jahr nur noch Elektro-Dienstwagen – das gebe der Markt nicht her, das sei „unrealistisch“.
Vermutlich hat er damit nicht Unrecht. Waren doch im vergangenen Jahr nur an die zwei Prozent der 54 000 neu zugelassenen PKW vollelektrische. Mit dem Hinweis darauf kontern Autohändler Turmes’ Äußerungen: „Herr Turmes ist ein Visionär, Visionäre braucht man“, findet der Präsident des Händlerverbands Fedamo, Philippe Mersch. „Die Frage ist aber, wie die Praxis aussieht.“
Die Praxis, mit der die Händler momentan zu ringen haben, ist mehrfach schwierig. Wegen der Covid-19-Pandemie ist in ganz Europa der Fahrzeugmarkt eingebrochen. Der Herstellerverband Acea bilanzierte am Mittwoch: In der EU27 lag die Zahl der Neuzulassungen im Mai 52 Prozent unter der vom Mai 2019, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 41 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. In Luxemburg betrug das Minus im Mai 44 Prozent, seit Jahresbeginn knapp 38 Prozent. Zwar sind das bessere Zahlen als im April. Aber hinzu kommen laut Acea wegen Fabrikschließungen in der Corona-Krise Produktionsausfälle von mindestens 2,44 Millionen Fahrzeugen. Damit sind nicht nur Autos gemeint, sondern auch LKWs und Busse. Lieferschwierigkeiten haben aber auch Hersteller, die dieses Jahr neue Elektroautos anbieten, Volkswagen zum Beispiel mit seiner groß angekündigten vollelektrischen Palette. Eigentlich ist 2020 das erste Jahr, in dem verschärfte CO2-Limits für die Neuwagenflotten der Hersteller gelten. So scharfe, dass sie das zu mehr Elektro zwingt. Doch viel mehr als heute soll es erst 2021 geben – mehr als 200 neue Modelle. Heute dagegen sind die Lager der Händler voller Autos, die längst verkauft sein sollten. Philippe Mersch schätzt, auch wenn der Absatz wieder zunimmt, werde er bis Jahresende, je nach Marke, 15 bis 30 Prozent unter dem vom vergangenen Jahr liegen. „Obwohl das Kurzarbeitergeld uns natürlich geholfen hat, fürchten wir, dass manche Betriebe Mitarbeiter entlassen müssen. Und dann macht Claude Turmes so eine Brecheisen-Äußerung.“
Doch die kommt den Garagisten vielleicht gar nicht so ungelegen. Lässt sich mit ihr doch auf die schwierige Lage verweisen und zurückkommen auf eine Forderung, die Fedamo und House of Automobile gegenüber der Regierung erhoben hatten, allerdings ohne Erfolg: 3 000 Euro Kaufprämie für alle, die ihr Auto durch ein neues ersetzen, ganz gleich mit welchem Antrieb. Keine „Verschrottungsprämie“ wie 2009 als Konjunkturmaßnahme nach der Bankenkrise, sondern eine „ökologische“ Prämie, wie Mersch sagt: „Neue Autos sind immer emissionsärmer.“ Die Regierung habe stattdessen 3 000 Euro auf die schon bestehenden 5 000 Euro für Elektroautos aufgeschlagen. Das sei keine Hilfe: „Die neu angekündigten Batterieautos seien noch nicht da. Wie viele es 2021 sein werden, muss man abwarten, und nicht jeder wird sich für sie interessieren.“ Hoffnungen, dass die Regierung doch noch eine „echte Hilfe“ genehmigt, scheint die Fedamo in ein Gespräch mit Mittelstandsminister Lex Delles (DP) zu setzen. Es sei ihr „kürzlich“ in Aussicht gestellt worden, sagte Philippe Mersch am Mittwoch dem Luxemburger Wort.
Doch die Frage, ob die Staatskasse Benzin- und Dieselautos bezuschussen sollte, wenn wegen Covid-19 die öffentlichen Finanzen angespannt sind und die nationale CO2-Bilanz bis 2030 viel besser werden soll, trifft das, was Claude Turmes vor drei Wochen anscheinend sagen wollte, als er nach den Dienstwagen gefragt wurde. In einem Interview mit paperjam.lu erläuterte er vergangene Woche, wie er verstanden werden wollte: „Il ne s’agit pas d’interdire les voitures de fonction au diesel. Nous n’avons pas les moyens de faire ça, mais nous ne voulons pas donner de milliers d’euros d’avantage fiscal à cela. Nous avons un engagement au gouvernement, fiscalement. Nous n’appuyons plus le mazout, nous n’appuyons plus le gaz et nous n’allons pas appuyer fiscalement des voitures qui ne sont pas en ligne avec notre politique climatique.“ Darüber gebe es einen „dialogue permanent“ mit den Leasing-Gesellschaften.
Das scheint der Mobilitätsminister anders zu sehen, wenn er am Samstag sagte, er werde mit der Branche erst noch reden und ihr im September Vorschläge machen. Auch Gerry Wagner, der Präsident von Mobiz, dem Verband der Leasing-Firmen, erklärt, „wir werden nicht einbezogen, die Regierung spielt lieber cavalier seul“. Doch traditionell bedeutet „einbeziehen“ für die Interessenverbände der Luxemburger Autobranche, entscheidend auf Politiken Einfluss nehmen zu können. So war das zum Beispiel in Vorbereitung der Steuerreform von 2017, die die Dienstwagen-Regelungen ein erstes Mal änderte. Händler und Leasing-Gesellschaften waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden und mit den Möglichkeiten zur Mitgestaltung auch. Andererseits geht die Endfassung des Energie- und Klimaplans, der einen Tag vor Turmes’ und Carole Dieschbourgs Pressekonferenz an die EU-Kommission geschickt wurde, weder so weit zu erklären, dass Dienstwagen ab einem bestimmten Datum nur noch als Elektroautos gefördert werden sollen, noch dass nur solche unterstützt würden, die mit der Klimapolitik der Regierung übereinstimmen. Auf Seite 89 steht lediglich: „Der Koalitionsvertrag sieht außerdem vor, dass der geldwerte Vorteil der Dienstwagen ein weiteres Mal überarbeitet wird mit dem Ziel, die Elektromobilität über diesen Weg zu fördern.“ Mehr steht nicht im Plan.
Und das kann viel heißen – sogar, nichts zu ändern. Denn gefördert werden Elektro-Dienstwagen schon seit der Steuerrefom von 2017: Weil Dienstwagen ein Bonus zum Gehalt sind, wird ein Anteil vom Neupreis als „geldwerter Vorteil“ besteuert. Bis Ende 2016 lag er für alle Dienstwagen bei 1,5 Prozent vom Neupreis (inklusive Mehrwertsteuer), die Steuerreform staffelte ihn je nach CO2-Ausstoß: Für Null-Emissions-Autos wurde er auf 0,5 Prozent vom Neupreis gesenkt, den niedrigsten Wert. In vier Kategorien darüber liegt der Prozentsatz mit dem CO2 pro Kilometer höher. Dieselautos kommen generell leicht schlechter weg als Benziner: Nach der VW-Abgasaffäre war „Entdieselung“ angesagt. Regelrecht bestraft werden nach der Tabelle nur Autos mit mehr als 150 Gramm CO2 pro Kilometer. In dieser, der höchsten Kategorie, wird der geldwerte Vorteil eines Benzinautos mit 1,7 Prozent vom Neupreis berechnet, der eines Dieselautos mit 1,8 Prozent. Mobiz rechnet auf seiner Webseite vor: Für ein Dieselauto mit 40 000 Euro Neupreis und mehr als 150 Gramm CO2 pro Kilometer werden bei einem geldwerten Vorteil von 720 Euro und beim Steuersatz von 39 Prozent monatlich 281 Euro Steuern fällig. Bei einem Elektroauto wären es nur 78 Euro.
Die CO2-Staffelung habe etwas gebracht, sagt der Mobiz-Präsident. „2015 waren 22 Prozent der Neuwagen in der Kategorie 55 bis 99 Gramm CO2 pro Kilometer Firmenwagen. 2018 waren es 50 Prozent.“ Im Bereich unter 50 Gramm seien 2015 26 Prozent der Neuwagen Firmenwagen gewesen, drei Jahre später 51 Prozent. In diese Gruppe fallen auch Elektroautos. Wagner ist überzeugt, dass ihr Anteil wegen der immer strengeren CO2-Limits und der vielfältiger werdenden Modellpalette wachsen wird. Und selbst wenn der typische Elektro-Dienstwagenfahrer eher einen Tesla nutze, als einen Renault Zoé, gebe es auch kleine Dienstwagen. Und schon heute Tesla-Alternativen, Porsche Taycan und Audi etron etwa. „Die vielen neuen Modelle aber sind noch nicht da, und noch reicht die Infrastruktur nicht“, sagt er. Von den bis 2020 versprochenen 800 Cahrgy-Ladesäulen stehe kaum die Hälfte. Die von Claude Turmes angekündigten 80 Schnellladestationen seien schön und gut. „Aber ehe ein Autofahrer auf Elektro umsteigt, will er sicher sein können, dass er auf einen Ladeplatz nicht länger warten muss als auf eine freie Zapfsäule an einer Tankstelle.“ Und oft gebe das Stromnetz so viel Laden nicht her: „Die Leasing-Firma, die ich leite, wollte eine zweite Ladesäule installieren, aber das war technisch nicht möglich.“ Solchen Engpässen sollte der Energieminister sich zuwenden. Und dann beschwört der Mobiz-Präsident das Szenario, das er und die Autohändler schon vor fünf Jahren beschworen hatten: Mache man Dienstwagen unattraktiv, würden Pendler lieber eine Gehaltserhöhung verlangen und sich das Auto ihrer Wahl hinter der Grenze kaufen. „Dann hätten nicht nur unsere Branche und die Händler viel verloren. Der Staat verlöre auch Mehrwertsteuereinnahmen.“
Mit diesem Argument hatte die Autobranche 2016 durchgesetzt, dass für Dienstwagen ab 2017 vor allem Anreize gelten sollten und nur die höchste CO2-Kategorie im geldwerten Vorteil zwei bis drei Promillepunkte schlechter gestellt wurde als vor der Reform. Damals war die Branche alarmiert. Nach dem Regierungswechsel 2013 begann der zuständige Parlamentsausschuss einen Gesetzesvorschlag zu diskutieren, den Anfang 2013 die damaligen Oppositionsabgeordneten François Bausch und Camille Gira gemacht hatten: Alle Dienstwagen, die keine Elektro-oder Plug-in-Hybridautos waren, im geldwerten Vorteil schlechter stellen und die Schraube über drei Jahre immer weiter anziehen. Anreize sahen sie nicht vor. Betriebe, die Dienstwagen leasen, um sie Angestellten für private Zwecke zu überlassen, sollten deutlich weniger mit dem Auto verbundene Kosten über die Betriebssteuer absetzen können. 65 Millionen Euro jährlich sollte die Reform der Staatskasse einbringen. Bausch und Gira schätzten, dass die damals geltende Dienstwagenregelung einen Steuerausfall von 50 bis 100 Millionen verursachte.
Drei Jahre später vom Land darauf angesprochen, erklärte Staatssekretär Gira, „als Oppositionsabgeordneter stellt man Vorschläge zur Verhandlung, in einer Regierung muss man Kompromisse machen“. Für die Steuerreform, die ein halbes Jahr später in Kraft treten sollte, sei „das System überhaupt erfolgreich in Frage“ gestellt worden. Damit habe „das Umsteuern“ begonnen (d’Land, 29.7.2016). Allerdings war es Gira und Bausch zu Oppositionszeiten nicht nur um eine „nachhaltige Mobilität“ gegangen, sondern auch um „Steuergerechtigkeit“. Es sei „in Zeiten von knappen Staatskassen nicht mehr vertretbar, dass Investitionen in Firmenautos der Oberklasse integral von der Steuer abgesetzt werden können, während gleichzeitig die Steuerlast für private Haushalte ständig zunimmt“. Der Gesetzesvorschlag, erklärten sie einen Tag vor Start des Autofestivals 2013, wolle für „klimaschädliche Statussymbole“ nicht mehr die Allgemeinheit zahlen lassen, „sondern die ‚starken Schultern‘ selbst“. Heute erinnert der grüne Energieminister an dieses Prinzip und provoziert damit auch in seine Partei hinein. Das ist eine Ironie der Geschichte. Aber die Frage, wie weit Claude Turmes damit kommt und ob er am Ende nicht an Glaubwürdigkeit verliert, stellt sich auch.