Wunder dauern etwas länger: Im Sommer 2010 schätzte die damalige Regierung, 2020 könnten auf den Luxemburger Straßen 40 000 Elektroautos unterwegs sein, und sie schrieb diese Zahl als Ziel in einen Aktionsplan. So viele waren es auch Ende 2021 noch nicht, sondern ungefähr 17 600. Davon die eine Hälfte Batterieautos, die andere Plugin-Hybridfahrzeuge. Aber immerhin: Unter den im vergangenen Jahr neu zugelassenen Autos war knapp jedes elfte ein Batteriemobil. Und mit 4 649 lag ihre Zahl um 88 Prozent höher als 2020.
„Elektro kann man nicht mehr als Nische bezeichnen“, meinte denn auch Philippe Mersch, der Präsident des Autohändlerverbands Fedamo, vor zwei Wochen bei der traditionellen Pressekonferenz der Branche vor dem Autofestival. Doch schon schwebt das nächste Ziel im Raum, das noch kühner klingt als das von 2010: Bis zum Ende dieses Jahrzehnts sollen 49 Prozent des PKW-Bestands elektrisch sein. So steht es im Nationalen Energie- und Klimaplan (Pnec) der Regierung, welcher auflistet, durch welche Maßnahmen Luxemburgs Klimaschutzziel von 55 Prozent weniger Treib-
hausgas-Ausstoß bis 2030 erreicht werden soll. Weil, sagt Energieminister Claude Turmes (Grüne), „der Transport der wichtigste Klimakiller“ hierzulande sei, mit über 60 Prozent Beitrag zum CO2-Aufkommen, müsse dort besonders viel unternommen werden. Allerdings: Nach heutigen Zahlen umfasst der PKW-Bestand fast 440 000 Autos. 49 Prozent davon wären 215 600. Wie ließe das sich erreichen?
Der Energieminister verweist darauf, dass mit „Transport“ nicht nur Autos gemeint sind. Der öffentliche Verkehr werde ausgebaut, Radfahren gefördert, Carsharing hoffentlich populärer. „Von den Autos, die dann noch bleiben, soll rund die Hälfte elektrisch sein.“
Vielleicht klappt das ja über den regulierten Markt: 2010 hatte der Elektro-Hype gerade eingesetzt. Die ersten Batterieautos wurden verkauft; vor allem kleine mit Neupreisen von dennoch weit über 30 000 Euro. Heute dagegen sind mehr als 200 unterschiedliche Modelle im Angebot, Tendenz steigend. Dafür sorgen nicht zuletzt die Vorgaben der EU: Sie zwingen die Hersteller bei Androhung von Geldbußen in Millionenhöhe, den mittleren CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotten unter einem Limit zu halten, das kontinuierlich strenger wird. 2025 wird es um weitere 16 Prozent verschärft. Im Juli vergangenen Jahres hat die EU-Kommission vorgeschlagen, es 2035 auf null zu senken. Diesel- und Benzinautos bekämen dann keine Neuzulassung mehr. Manche Städte, Paris und Amsterdam zum Beispiel, wollen Verbrennerautos schon ab 2030 aussperren. Politisch scheint der Weg Richtung Elektro vorgezeichnet und unumkehrbar. Beim Luxemburger Automobilclub, sagt ACL-Direktor Jean-Claude Juchem, werde geschätzt, dass der Neupreis für Elektroautos in fünf Jahren auf das Niveau thermischer Fahrzeuge sinken könnte.
Ob es so schnell gehen wird, ist natürlich nicht sicher. Unter anderem, weil die Verbrenner-Verbote bisher nur Ankündigungen sind. Auch der Vorschlag der EU-Kommission ist politisch noch nicht acquis unter den Mitgliedstaaten, die Hersteller betreiben Lobbying dagegen. Der einflussreiche Verband der deutschen Automobilindustrie zum Beispiel hält ihn für „innovationsfeindlich und nicht technologieoffen“.
Über die Autohändler, das letzte und ziemlich machtlose Glied in der Kette, über die ein Fahrzeug vom Hersteller zum Kunden gelangt, erreicht die Auseinandersetzung auch Luxemburg. Derzeit drückt sie sich in der Forderung der Fedamo aus, die 1 500 Euro Kaufprämie für Plugin-Hybridautos nicht abzuschaffen. Die Regierung will diesen Zuschuss Ende März auslaufen lassen und nur den für Batterieautos beibehalten: Es gebe „mittlerweile in allen Preiskategorien eine Vielzahl reiner Elektroautos“, antwortete Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) am Dienstag auf eine parlamentarische Anfrage des CSV-Abgeordneten Marc Spautz. Fedamo-Präsident Mersch hielt vergangene Woche dagegen, dass ein Autofahrer hierzulande mit seinem Gefährt im Schnitt 50 Kilometer am Tag zurücklege. „Das schaffen Plugin-Hybridautos elektrisch, die Prämie für sie muss bestehen bleiben!“ Miriam Eisenmenger, Marketingchefin bei Volkswagen-Importeur Losch, findet, „die Politik soll die Elektromobilität nicht aufzwingen, sondern bestmögliche Alternativen für alle Zielgruppen unterstützen“. Für „gewisse Kundengruppen“ seien „Plugin-Hybride oder auch reine Verbrennerautos immer noch die bessere Alternative“. Gleichwohl, berichtet sie, habe der Volkswagen-Konzern in den letzten Jahren viel in die Elektrifizierung investiert und plane bis 2030 eine Verdoppelung des Anteils seiner reinen Elektromodelle in Europa auf 60 Prozent.
Der Verweis auf die „gewissen Kundengruppen“ ist nicht nur einer, den Konzessionäre machen müssen, weil es den Taktiken ihrer Hersteller-Partner entspricht, die gewohnte Märkte verteidigen. Er hat auch damit zu tun, dass die Frage, wie die elektromobile Zukunft genau beschaffen sein soll, sich umso dringender stellt, je mehr diese Zukunft politisch beschworen wird und auch forciert wird. Dass die Luxemburger Regierung mit „Elektroautos“ nur rein elektrische meint, drückt sich auch in den neuen Regeln für Dienstwagen aus: Ab 2025 soll nur für Batterieautos (und Autos mit Brennstoffzelle) das Leasing als Dienstwagen vorteilhafter sein als die private Anschaffung so eines Autos. Wie die Regierung sich das vorstellt, soll insbesondere der Dienstwagen-Markt helfen, bis 2030 die 49 Prozent Elektro-Anteil am PKW-Bestand zu erreichen. Erfahrungsgemäß wird jedes Jahr rund ein Viertel des Dienstwagenparks durch neue Autos ersetzt. Bliebe es bei diesem Turnover, lasse sich der ganze PKW-Bestand tatsächlich bis Ende des Jahrzehnts drastisch elektrifizieren, so eine Modellrechnung des Mobilitätsministeriums. Energieminister Claude Turmes fügt hinzu, dass dann nach und nach auch hochwertige Elektroautos in den Secondhand-Markt gelangen würden.
Doch wenn all das geschieht, stellt sich die Frage nach den Lademöglichkeiten akuter. Bisher wird vor allem daheim nachgeladen, nur zehn bis 15 Prozent der Nachladungen erfolgen an öffentlichen Ladesäulen, weiß man beim ACL. 700 der geplanten 800 Chargy-Säulen mit je zwei Anschlüssen sind bisher installiert, informiert die Chargy-Webseite. Doch selbst zwei Mal 800 Anschlüsse sind nicht viel, und die Chargy-Säulen liefern lediglich 22 Kilowatt. Nicht jedes Auto mit Batterie kann so viel ziehen, dann dauert das Nachladen Stunden. Nächstes Jahr sollen 88 „Super-Chargys“ mit 150 bis 350 Kilowatt an Tankstellen an Autobahnen und Nationalstraßen hinzukommen. Doch sie wären vor allem für Transitreisende gedacht und Teil jener „Basis-Infrastruktur“, die bis 2025 zu schaffen eine EU-Richtlinie alle Mitgliedstaaten beauftragt.
Wie es weitergehen soll mit der Ladeinfrastruktur, sei eine Frage von kapitaler Wichtigkeit, findet ACL-Direktor Juchem. Und wahrscheinlich stellt bei sämtlichen Autohändlern die potenzielle Elektro-Kundschaft ganz ähnliche Fragen wie die in den Losch-Autohäusern: „Es sind vor allem Fragen nach der Haltbarkeit einer Batterie, der Reichweite eines Batterieautos, der Ladedauer und ob es genug Strom und auch genug sauberen Strom geben werde, wenn jeder ein Elektroauto fährt“, berichtet Losch-Marketingchefin Eisenmenger. „Die Politik“, findet sie, „sollte über Informationen mehr Sicherheit geben.“ Das Bewusstsein, dass sich das Fahrverhalten ändern wird, sei bei den Leuten vorhanden. Elektro interessiere nicht mehr nur „größtenteils Idealisten“, wie noch vor zwei oder drei Jahren. Heute geht es demnach um sehr Praktisches.
Der ACL-Direktor unterstellt der Regierung, sie habe keinen klaren Plan für die Ladeinfrastuktur. Er meint damit ihre Initiative, Betrieben die Einrichtung von Ladesäulen staatlich zu bezuschussen. Energieminister Turmes und LSAP-Wirtschaftsminister Franz Fayot haben dazu einen Gesetzentwurf eingereicht: Subventioniert werden sollen einerseits Lademöglichkeiten für die Belegschaft eines Betriebs. Zum anderen solche, die obendrein öffentlich zugänglich würden, auf Supermarkt-Parkplätzen etwa. Mit Zuschüssen einspringen soll der Staat auch, wenn für die Säulen ein Transformator installiert werden muss. Was immer dann nötig ist, wenn eine borne mehr Leistung liefern soll als Chargy-Säulen und das Mittelspannungsnetz angezapft werden muss.
Claude Turmes weist den Vorwurf, es gebe über Chargy und Super-Chargy hinaus keinen Plan für das Nachladen, zurück. Dass es zu wenig Strom geben könnte, sei unwahrsacheinlich: „Der Strombedarf für Elektroautos ist ein Klacks im Vergleich zu dem des in Bissen geplanten Datenzentrums.“ Allerdings gibt es eine regelrechte Planung im Sinne des Wortes offenbar nicht. Wie Turmes die Sache sieht, könne der Staat nicht alles vorschreiben. Die Regierung schaffe den Rahmen für eine Entwicklung, dann müsse der Markt übernehmen. Dass das klappen werde, zeichne sich ab: Obwohl die Beihilfenregeln für Betriebe noch Gesetzentwurf sind, erhalte das Energieministerium ständig Anfragen. Auch, weil größere Projekte öffentlich ausgeschrieben werden müssten. Und schon hätten drei Firmen sich darauf spezialisiert, Betriebe bei der Auswahl der Ladeinfrastruktur zu beraten. Eine noch offene Frage scheint zu sein, ob es genug Installateurbetriebe geben wird: Der Elektrikerberuf bleibe einer mit Zukunft, sagt Turmes lakonisch. Sein Ministerium sei im Gespräch mit dem Weiterbildungszentrum der Handwerkerföderation, damit Installateure, die heute noch Öl- und Gasheizungen einbauen, auf Elektro orientiert werden, und das möglichst schnell. Zumal zum Klimaschutz auch Wohnhäuser in Richtung tout électrique umgestellt werden sollen.
Werden Chargy, Super-Chargy und das Laden in Betrieben, neben dem zuhause ausreichend sein, wenn der Autopark massiv elektrifiziert werden soll? Wohl nicht. In welchem Umfang nicht, kann der Energieminister nicht sagen. Tankstellenbetreiber würden sicher ebenfalls mitziehen. Doch wie die Dinge derzeit liegen, wollen sie das nur in Erwartung staatlicher Subventionen: Der Verkauf von Strom erlaube lediglich eine kleine Gewinnspanne, denn in Luxemburg sei Strom sehr billig im EU-Vergleich, sagt Jean-Marc Zahlen, Energieberater bei der Fedil und Generalsekretär des Groupement pétrolier.
Doch falls das große Umsteuern an den Tankstellen, mit Ladezeiten, die dem Tanken von Benzin und Diesel vergleichbar sind, lange dauert, stellt sich die Frage, wie jemand ein Elektroauto nachladen soll, der das weder daheim kann, noch in seinem Betrieb. Damit Verbrennerverbote und steigende Preise für Benzin und Diesel kein Energie-Prekariat unter auf ihr Auto Angewiesenen schaffen – oder jene Zielgruppe, „für die Verbrennerautos immer noch die bessere Alternative sind“, müssten sich vermutlich die Gemeinden an der Infrastruktur-Bewegung beteiligen und auf ihrem Territorium massiv Ladepunkte schaffen. Das Energieministerium sei mit dem Gemeindeverband Syvicol im Gespräch dazu, sagt Claude Turmes. Von einem Durchbruch kann er jedoch noch nicht berichten.