Die Kleine Zeitzeugin

Invasion der Himmelstiere

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2022

So ein Native American Summer, wir entblättern uns vor Grabsteinen, also die unter uns, die solche seltsamen analogen Orte noch aufsuchen, die Grabsteinalten. Während unsere Freunde, die Bäume, den ultimativen magischen Strip hinlegen, nackt bis aufs Skelett. So eine entrückte Zeit.

Zauberhafte Wesen fixieren uns auf RTL. Sie stammen aus der Familie der Lemuren, alias Schattengeister der Verstorbenen, und heißen einprägsam Aye-Aye oder etwas plump Fingertiere. Ihnen wachsen Super-Finger, solche, mit denen sie uns im Nasenbohren um mindestens eine Nasenlänge voraus sind. Das ist dann auch ihre Spezialität und ihr noch nicht umfassend erforschtes Hobby. Die Bakterien der Schleimhäute hätten positive Folgen im Mund, formuliert RTL etwas umständlich. Vermutlich schmeckt’s, kennt ja jeder. Auf wen sie allerdings mit so einem Superzeigefinger deuten, dessen Stündlein hat geschlagen, das macht sie extrem unbeliebt und so werden sie häufig prophylaktisch erschlagen.

Die taz wiederum meldet, dass „ein Entdecker“ eine Süßwasserkrebsart mit extralangen Zangen nach Sahra Wagenknecht benannt hat. Als Hommage an ihren Kampf um eine bessere und fairere Zukunft.

Um Zukunft geht es auch der Letzten Generation, die sich partout nicht relax im No-Future-Gehege ihrer Ahn/innen einrichten will. Wegen der Zukunft wirft die Letzte Generation mit Kartoffelbrei. Manchmal auch mit Tomatensuppe oder konventionell mit Torte. Mona Lisa bekam Torte. Wegen der Zukunft schießt die Letzte Generation auf tote Künstler und lebendige Kunst.

Im Tageblatt erscheint eine Todesanzeige für einen Hund. Sie erscheint in der Rubrik, die bis jetzt den sg. Menschen vorbehalten war, was manchen ein Knurren entlockt. Die Gleichberechtigung schreitet aber voran, manche Kommentator/innen schreiben edel von „Ebenbürtigkeit“. Vielleicht nimmt Mutter Friedhofserde demnächst großzügig Zwei- und Vierbeiner in ihren Schoß auf, niemand zählt mehr pingelig Beine, nur Gebein zählt. Niemand etikettiert mehr Körperbestandteile, Äußerlichkeiten? Es geht nur noch um das Wesentliche, wir sind ja alle so Wesen und gewesen.

Auf Facebook zeigt die peer group nur noch Schönes. Lebende Hunde, Katzen, keiner will mehr zerfetzte Robbenbabys sehen oder zerlöcherte Wohnhausanlagen, keine will sich mehr über Impfungen oder den Krieg fetzen. Weil, wir müssen unsere Reserven schonen, wir müssen Energie sparen, die Stadt im Herbstlook ist auch viel bekömmlicher. Optimismus ist trainierbar, wir können ihn optimieren. Der Papst zum Beispiel freut sich über Madeleines von Lea Linster, die unser Premier laanscht bringt. Volk freut sich über von luxemburgischen Familien „gemachte“ luxemburgische Milch frisch aus der Lidl-Werbung. Zwei Männer, zwar ohne eindeutig nachgewiesenen Hintergrund, schenken sich vorfreudig vor einem nicht eindeutig zertifizierten Kuhhinterngrund die in Luxemburg gemachte Milch ein.

Im britischen Parlament wird eine Roboter-Künstlerin zu Künstlicher Intelligenz, Robotik und Kunst befragt. Sie ist keine Dahergelaufene, sie hat unter anderen Queen Elizabeth porträtiert und Werke von ihr sind auf der Biennale in Venedig zu sehen. Bei der Befragung schläft sie ein, was unheimlich menschlich ist.

Eine twitternde Hunde-Armee, sie nennt sich „Fellnasen“, beziehungsweise Nafo, North Atlantic Fella Organization, ist gegen russische Propaganda im Netz aktiv. Twitter-Hausherr Elon stellt gerade neue Regeln auf, zuerst einmal will er abcashen, was altmodisch beruhigend klingt. Zutiefst menschlich. De bloe Kreepchen sei jetzt payant, informiert RTL in ebenfalls beruhigender luxemburgischer Kindersprache, diese luxemburgische RTL-Kindersprache vermag uns Atomsupergaus, Weltkriege und den Klimakollaps so zu servieren, dass wir darüber selig einschlummern. Um sie aufzupeppen, ist sie elegant französisch garniert.

Eine Invasion von Marienkäfern wird gemeldet. Ist das jetzt schon – schluckschaudergrübel – der Vorgeschmack auf Armageddon, wer hat denn grad von Armageddon gemurmelt? Der Zeuge Jehova vor meiner Tür?

Michèle Thoma
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