EU-Agrarreform

Es grünt so grün

d'Lëtzebuerger Land vom 14.10.2011
Unter der Septembersonne inspiziert Bauer Rózalski demonstrativ seinen Acker in der Nähe von Kalisz in Polen. Rózalski ist Kohlbauer und es ist bald Erntezeit. Vierzehn Hek-tar bewirtschaftet er mit seiner fünfköpfigen Familie, während der Erntezeit kommen Aushilfskräfte hinzu. Etwa 400 Zloty, ungerechnet rund 100 Euro Prämie erhält er pro Hek-tar. Die Kohlköpfe verkauft er vorzugsweise ganz, doch dieses Jahr ist der Preis nicht gut, nur 15 Eurocents, zehnmal weniger als vergangenes Jahr. Den Rest seiner Ernte verarbeitet er zu Sauerkraut. Im Innenhof des Betriebs hat die Familie eine Festtafel aufgebaut, mit leinernen Tischdecken, Blumen, Kristallkrügen und -flaschen, wahlweise mit Saft und eingelegten Früchten gefüllt oder mit Cytrynówka, Zitronenwodka. Zu essen gibt es neben der Auswahl an polnischen Bratwürsten einen ganzen Lachs, einen ganzen gebackenen Schinken, jede Menge Sauerkrautgerichte und, für danach, Käsekuchen. Historische Pommerndrama-Kulisse fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Es ist die Kulisse, vor der die EU-Kommission der europäischen Fachpresse die Reform der europäi-schen Agrarpolitik erklären will. Der Rózalski-Hof mit seiner niedrigen Betriebsprämie ist besonders gut geeignet, um den „Westjournalisten“ die Ungerechtigkeit des bisherigen Systems zu erklären – schließlich sind die Prämien in den Niederlanden oder Spanien bis zu viermal so hoch. Es gibt ausreichend Anschauungsmaterial, um zu zeigen, wie die EU den Bauern bei der Weiterentwicklung ihrer Höfe hilft. Auf der anderen Seite des Hofes befinden sich die mit EU-Geldern gebauten Kühlräume, wo Sauerkraut und Salzgurken eingelagert werden, bevor sie zu polnischen Soldaten in Afghanistan, Irak und Libanon geflogen werden. Rózalski ist Exklusiv-Lieferant für die Auslandseinsätze der polnischen Armee und stolz darauf, dass die Soldaten nur sein Sauerkraut essen wollen.

Um den Prämiengraben vor allem zwischen neuen und alten Mitgliedstaaten zu verkleinern, will die Kommission mit der am Mittwoch in Brüssel offiziell vorgestellten Reform für die Zeit nach 2013 eine graduelle Angleichung erzielen. Eine europaweite Flat-Rate, wie sie ursprünglich angedacht wurde, wird es nicht geben. Die Kommis-sion strebt nationale, beziehungsweise regionale Prämien an. Historische, produktionsbezogene Referenzwerte sollen dabei künftig keine Rolle mehr spielen.

Weil die durchschnittlichen Be-triebsprämien für Luxemburger Höfe ziemlich genau dem euro-päischen Durchschnitt von rund 270 Euro pro Hektar entsprechen, hat Luxemburg dabei insgesamt erst einmal wenig zu verlieren. Höchstens um ein bis zwei Prozent, sagt Josiane Willems, Direktorin der Bauernzentrale, könne das nationale Budget gesenkt werden.

Allerdings variieren die Prämien von Hof zu Hof. Zwar hat auch Luxem[-]burg einen Teil der Prämien bereits vor Jahren auf einer regionalen Basis für alle Betriebe angeglichen. Der Rest allerdings basiert auf den historischen Produktionsdaten. Wer also während der Referenzperiode seinen Hof intensiv bewirtschaftete oder viele Tiere hielt, erhält heute höhere Prämien pro Hektar als die Kollegen, manchmal gar doppelt so hohe.

Denn auch in Luxemburg gibt es solche Höfe, die über 600 Euro pro Hektar kassieren. Im Weinbau etwa. Weil aber die Winzerbetriebe flächenmäßig klein sind und über wenige Hektar verfügen, dürfte eine Senkung der Betriebsprämien in ihrem Einkommen dennoch nicht allzu schwer ins Gewicht fallen. Dennoch wird es zu einer Umverteilung zwischen Höfen mit niedrigen und hohen Betriebsprämien kommen, und das ist, wie Willems sagt, „eines der Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen“. Bis 2014 sollen 50 Prozent der Unterschiede ausgeglichen sein. Wer also heute bei einem landesweiten Durchschnitt von 270 Euro pro Hektar 150 Euro erhält, dessen Prämie muss bis 2019 um 60 Euro auf 210 Euro aufgestockt werden. Und umgekehrt.

Die Pläne der Kommission, die Prämien pro Betrieb auf maximal 300 000 Euro zu deckeln und auf „aktive“ landwirtschaftliche Betriebe zu reduzieren – womit sie auf die Vorwürfe reagiert, Großgrundbesitzer und agri-industrielle Betriebe bezögen ungerechtfertigt hohe Prämien –, dürften in Luxemburg nur wenige Betriebe treffen. Von den Maximalbeträgen werden Lohn- und Lohnnebenkosten für die Mitarbeiter abgezogen, bevor die Summe gedeckelt wird. Für Betriebe, die solch hohe Prämien kassieren, soll der Betrag zwischen 250 000 und 300 000 Euro um 70 Prozent reduziert werden, der zwischen 200 000 und 250 000 Euro um 40 Prozent und der zwischen 150 000 und 200 000 um 20 Prozent.

Flächenmäßig sind die Luxemburger Höfe mit durchschnittlich rund 88 Hektar im EU-Vergleich zwar relativ groß. Weil aber bei 270 Euro Prämie die landwirtschaftlich genutzte Fläche eines Betriebes mindestens 555 Hektar betragen muss, um die 150 000-Euro-Grenze zu knacken, dürften davon nur wenige Fusionsbetriebe betroffen sein, die, wie Willems sagt, zwischen 400 und 600 Hektar bewirtschaften. Je nachdem, wie sie sich rechtlich aufstellen, haben aber auch sie nichts zu befürchten – das wissen auch die Agroindustriebetriebe im Ausland, weshalb die Vorschläge der Kommission schon als ineffizient abgestempelt wurden, noch bevor sie offiziell vorgestellt waren.

Dabei ist die Kommission darauf bedacht, den Mitgliedstaaten erstmal nichts wegzunehmen. Gelder, die durch die Deckelung der Prämien in einem Land eingespart werden, sollen im gleichen Mitgliedstaat für die Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Darunter fallen etwa Hilfen für Jungbauern oder Weiterbildungskosten.

Kritik musste die Kommission auch für die „Vergrünung“ der Agrarpolitik einstecken. Den einen geht sie nicht weit genug, den anderen zu weit. Zu Letzteren gehört auch die Luxemburger Bauernzentrale. Nach der Reform soll die Auszahlung von 30 Prozent der Betriebsprämie von drei „grünen“ Bedingungen abhängig gemacht werden. Erstens, die Bestimmung von Dauerweiden, zweitens, die Kulturenwechselwirtschaft, wobei mindestens drei verschiedene Kulturen angebaut werden müssen, die Hauptkultur nicht mehr als 70 Prozent der Anbaufläche beanspruchen darf und die kleinste mindestens fünf Prozent der Fläche in Anspruch nehmen muss, sowie drittens, die Stilllegung von mindestens sieben Prozent der Anbaufläche. Kriterien, die sich in Teilen mit denen decken, die bisher zur Auszahlung der Landschaftspflegeprämien oder als so genannte Agrarumweltmaßnahmen extra entlohnt wurden.

Diese Einnahmen – 2010 wurden den Luxemburger Betrieben laut Rechenschaftsbericht des Landwirtschaftsministerium 10,9 Millionen Euro Landschaftspflegeprämien und 2,6 Millionen Euro für Agrarumweltmaßnahmen überwiesen – drohen nun zumindest teilweise wegzufallen. Denn auch wenn nach der Reform weiterführende Umweltmaßnahmen aus der von den Mitgliedstaaten mitgetragenen zweiten Finanzierungssäule (im Gegensatz zu Direktzahlungen aus der ersten Säule, die aus dem EU-Budget gespeist wird) gefördert werden können, müssen sich die Bauern höheren Anforderunen stellen oder aber auf die Gelder verzichten.

Von den neuen grünen Maßnahmen regt die Forderung nach der Stilllegung von sieben Prozent der Ackerfläche die Bauernzentrale und ihre Vertreter am meisten auf. Das sei eine „einschneidende Maßnahme“, sagt Willems, die im Gegensatz zu den Zielen der Agrarpolitik stehe, nämlich Lebensmittelversorgung und -sicherheit durch eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Umweltvereinigungen wie der WWF hingegen fordern noch weitergehende Flächenstillegungen und sind von den Kommissionsvorschlägen enttäuscht.

Wie es mit bisherigen Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete (BG) weitergeht, die der Luxemburger Landwirtschaft 2010 15,6 Millionen Euro in die Kasse spülte, bleibt weiter ungewiss. Sicher ist: Von benachteiligten Gebieten redet die Kommission nicht mehr. Sie hat acht geophysikalische Kriterien festgelegt, die Hanglagen und die Bodenbeschaffenheit oder aber klimatische Bedingungen berücksichtigen. Einkommensunterschiede zwischen der ländlichen und der städtischen Bevölkerung, wodurch über 90 Prozent der Luxemburger Landwirtschaft als benachteiligt galten, zählen künftig nicht mehr.

Zwar haben sowohl die Kommission als auch die Luxemburger Behörden Simulationen auf Basis der neuen Kriterien erstellt; die Ergebnisse hüten aber beide wie ein Staatsgeheimnis. Die Kommission hat keine länderspezifische Simulation veröffentlicht, doch klar ist, dass ein Teil der intermediate areas, zu denen Luxemburg gehört, künftig nicht mehr als benachteiligt gilt. Vorsichtig sind die Behörden auch deshalb, weil die Vorschläge der Kommission nur die Verhandlungsbasis für die Mitgliedstaaten sind, die sich vor dem geplanten Inkraftreten auf die genauen Modalitäten einigen müssen. Dass Luxemburg so klein ist, wie in anderen Ländern benachteiligte Gebiete groß, damit tut man sich in Brüssel augenscheinlich noch immer schwer. Doch wenn, wie von der Kommission geplant, die Frage ob ein Gebiet benachteiligt ist oder nicht, auf Gemeindeebene geklärt wird, dürfte das in allen Mitgliedstaaten derzeit noch unabsehbare Folgen haben – da spielen nämlich beispielsweise auch Gemeindefu-sionen eine Rolle. Je nachdem wie sich das Gemeindegebiet verändert, könnte es dort zum Beispiel plötzlich ausreichend Hanglagen oder steinigen Boden geben, um offiziell im Nachteil zu sein. Aber auch das Gegenteil kann passieren.

Immerhin dürfen die Mitgliedstaaten überhaupt noch Ausgleichzulagen Berggebiete oder solche mit anderen natürlichen Einschränkungen bezuschussen – auch das war zeitweilig in Frage gestellt – und bis zu zehn Prozent ihrer landwirtschaftlich genutzten Fläche selbst als benachtei-ligt bestimmen. Ein wenig Spielraum für die Regierung, je nachdem, wie groß die Fläche ist, die künftig noch als benachteiligt gilt.

Michèle Sinner
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