Die EU-Kommission will die Gemeinsame Agrarpolitik zugunsten der neuen Mitgliedstaaten reformieren

Umverteilung

d'Lëtzebuerger Land vom 21.10.2010

Wenn der EU-Kommissar für Landwirtschaft und Fischerei Dacian Ciolos nächste Woche Luxemburg besucht, werden die nationalen Behörden ebenso viele Fragen an ihn haben wie die Bauernverbände. Denn vergangene Woche gerieten seine Pläne für die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2013, die er eigentlich erst im November vorstellen wollte, an die Öffentlichkeit. Sie stellen eine Umverteilung des Agrarbudgets zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten in Aussicht, und die dürfte nach sich ziehen, dass auch der Luxemburger Landwirtschaft weniger Gelder aus dem gemeinsamen Agraretat zufließen.

Keine guten Nachrichten für die Luxemburger Bauern, denen erst vergangene Woche beim Agrargipfel mit der Regierung neuerliche Hilfen von 4,1 Millionen Euro zugesagt wurden, um das Krisenjahr 2009 zu überbrücken. Davon will die Regierung auch im kommenden Jahr die Sozialversicherungsbeiträge teilweise übernehmen. Insgesamt 14,1 Millionen wurden den Bauern seit September 2009 als zusätzliche Hilfen angekündigt. Doch ausbezahlt ist bislang davon wenig, klagten die Landwirtschaftsverbände am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Den Bauern drohten Liquiditätsschwierigkeiten. Denn die Hilfen der Regierungen deckten nur einen Teil der Forderungen von 17,2 Millionen Euro, welche die Verbände gestellt hatten. Und eigentlich, so die Bauernverbände, mussten die Luxemburger Landwirte 2009 Einkommenseinbußen von 33,5 Millionen Euro hinnehmen, ein Minus von fast 50 Prozent. Dabei verdienen die Bauern ohnehin weniger als die anderen Luxemburger Arbeitnehmer. Schon 2008 lag das landwirtschaftliche Einkommen pro Arbeitskraft mit 39 100 Euro jährlich deutlich unter dem vom Statec festgelegten Referenzeinkommen von 46 000 Euro.

Auch wenn ihre Forderungen nicht ganz erfüllt wurden, sind die Bauernverbände verdächtig ruhig und versöhnlich. Was die Frage aufwirft, ob es ihnen wirklich so schlecht geht, wie die Zahlen vermuten lassen. Die sind von den Behörden, also vom Service de l’économie rurale (SER) bestätigt. Doch weil sie nach den vereinheitlichten EU-Buchhaltungsregeln aufgestellt sind, spiegeln sie die Realität nur bedingt wieder. „Die Investitionsausgaben blieben 2009 unverändert hoch, auch wenn das Einkommen zurückging“, sagt Frank Schmit, Direktor des SER. Weil die Investitionen in der Buchhaltung als Ausgabe verbucht werden, führt das zu einem doppelt negativer Effekt: Die Investitionsausgaben haben das bilanzierte Einkommen zusätzlich gedrückt.

Weil davon auszugehen ist, dass manche Landwirte den neuen Stall oder die neuen Maschinen aus dem Verkauf von Bauland finanziert haben, dürfte es ihnen in Wirklichkeit also nicht ganz so schlecht gehen, wie die nackten Zahlen es vermuten lassen. Haben die Kommentatoren in den Internetforen, die sich Anfang der Woche beschwerten, es gebe in Luxemburg keine armen Bauern, die würden doch alle Mercedes fahren und das auf Kosten der Allgemeinheit, demnach Recht? Sicherlich konnten nicht alle Bauern, die auch 2009 in ihren Betrieb investiert haben – wahrscheinlich, weil die Projekte schon länger geplant waren – Gründstücke im Bauperimeter in Bares verwandeln und haben ihre Investitionen über Bankkredite finanziert. Die müssen zurückgezahlt werden, und dass das in der augenblicklichen Situation Probleme bereitet, ist wahrscheinlich. Ohnehin ist es ein fragwürdiges Geschäftsmodell, wenn eine endliche Ressource – Bauland – eingesetzt wird, um ein unrentables Geschäft – die landwirtschaftliche Produktion – zu subventionieren.

Rentabel zu produzieren, wird für die Bauern seit 2000 immer schwieriger. Im Verhältnis zum Gewinn, den die landwirtschaftlichen Betriebe 2008 verbuchten, betrugen die Beihilfen 102 Prozent. Das heißt, ihnen blieben am Ende des Jahres noch nicht einmal die Fördergelder, die sie erhalten hatten. In den vergangenen acht Jahren schaffte es die Luxemburger Landwirtschaft nur einmal, das Verhältnis zwischen Gewinn und Subventionen umzukehren (88 Prozent): 2007 als die Rohstoffpreise und die für landwirtschaftliche Erzeugnisse in die Höhe schnellten. Wofür Politik und Öffentlichkeit die gesichtslose Masse der Spekulanten verantwortlich machten und die Folgen auf die Lebensmittel- und Verbraucherpreise beklagten.

Im vergangenen Jahr bezogen die Luxemburger Landwirte – von den Sonderhilfen abgesehen – 65,6 Mil-lionen Euro Fördergelder, wie aus dem Jahresbericht des Landwirtschaftsministeriums hervorgeht. Die Summe teilt sich auf in 34,5 Mil-lionen Euro Direktzahlungen, 15,6 Millionen Euro Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, 10,9 Millionen Euro als Landschaftspflegeprämie und weitere 3,9 Millionen Euro für durchgeführte Agrarumweltmaßnahmen, zu denen auch der Zuschlag für den Biolandbau gehört.

Der bis 2013 gültige Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik sieht vor, dass die Direktzahlungen aus der so genannten ersten Säule der GAP gezahlt werden, die aus dem EU-Haushalt finanziert wird. Die restlichen 31,1 Millionen Euro, für Ausgleichzulage, Landschaftspflege und Agrarumwelt-maßnahmen, sind Maßnahmen der zweiten Säule, die von den Mitgliedstaaten in unterschiedlich hohem Grade ko-finanziert werden. Der Luxemburger Staat trägt 75 Prozent der Kosten, auf das Jahr 2009 übertragen rund ein Drittel der ausgezahlten Gelder.

Ob den Mitgliedstaaten nach 2013 die Möglichkeit erhalten bleibt, ihre Landwirtschaft in diesem Maße selbst zu bezuschussen, ist nach den bisher durchgesickerten Informationen ungewiss. Die Kommission strebt den bekannt gewordenen Plänen nach eine „ausgewogenere Verteilung“ der EU-Gelder an. Bisher gehen 60 Prozent des europäischen Agraretats nach Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland. Die 23 anderen Mitgliedstaaten teilen sich den Rest. Weil die Direktzahlungen zwar bereits vor Jahren von der Produktionsmenge losgekoppelt wurden, sich die Betriebsprämien statt dessen an der Größe des landwirtschaftlichen Betriebes orientieren, aber dennoch zum Teil auf historischen Produk-tionsreferenzen beruhen, erhalten „Westbauern“ im Durchschnitt viel höhere Beihilfen als die Kollegen im Osten der EU. Die Unterschiede können mehrere hundert Euro pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche betragen. Doch auch innerhalb der Mitgliedstaaten gibt es aufgrund der historischen Referenzwerte große Unterschiede. Landwirte, die vor der Entkopplung viel produzierten, erhielten danach höhere Betriebsprämien als die, die weniger produzierten. So auch in Luxemburg, wo der Durchschnitt bei 290 Euro pro Hektar liegt, es aber auch Betriebe gibt, die bis zu 600 Euro pro Hektar jährlich erhalten, wie der Direktor des SER sagt.

Weil die EU einerseits 40 Prozent ihres Etats, 55 Milliarden Euro oder 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Union, für die Agrarbeihilfen ausgibt, andererseits immer mehr Kompetenzen auf Gemeinschaftsebene übertragen werden, steht die Kommission unter Druck, mehr Geld für andere politische Ziele zur Verfügung zu stellen. So ist davon auszugehen, dass für die EU-Haushaltsperiode nach 2013 eher weniger als mehr Geld in die GAP fließen soll als bisher. Bestenfalls ebenso viel, meinen Beobachter. Das dürfte den Umverteilungskampf zwischen Alt und Neu, West und Ost verschärfen. Und, sollten auch die bisher gültigen historischen Referenzwerte zur Verfügung stehen, auch zwischen den Landwirten innerhalb der Mitgliedstaaten.

Dass es so kommt, liegt nahe. Zwar schließt Kommissar Ciolos in der durchgesickerten Kommunikation eine europaweit gültige Flat rate für die Betriebsprämien aus. Doch er will ein „einheitliches Niveau an obligatorischer Unterstützung für alle Landwirte innerhalb eines Mitgliedstaates oder einer Region“, basierend auf „übertragbaren Ansprüchen“, die allerdings mit einer entsprechenden landwirtschaftlich nutzbaren Fläche abgestimmt werden müssen. Bedingung bleibt wie auch bisher schon, dass die Bauern die Cross-compliance-Kriterien erfüllen, eine Mischung aus umweltschonenden und guten Fachpraktiken. Ciolos will außerdem eine Decke für die Direktbeihilfen an einzelne Betriebe einführen, um zu verhindern, dass Großgrundbesitzer und Agroindustriebetriebe zu viel Geld beziehen.

„Das werden schwierige Diskussio­nen“, meint Josiane Willems von der Bauernzentrale. In der Tat. Denn auch in Luxemburg könnten Höfe mit niedrigen historischen Referenzwerten und somit bislang niedrigen Betriebsprämien als Gewinner der Reform hervorgehen. Den anderen könnten hingegen Kürzungen ihrer Prämien drohen. „Sollte es soweit kommen“, sagt Schmit, „muss es auf jeden Fall lange Übergangsfristen geben, damit sich die Bauern auf eventuelle Kürzungen einstellen können.“

Willems stört an den Vorschlägen der Kommission vor allem die angekündigte „Vergrünung“ der Beihilfebedingungen. Einen ersten Aufschlag auf die Basisprämien will die Kommission künftig nur gegen „generalisierte, nicht-vertragliche und jährliche Agrarumweltaktionen“ gewähren, und es ist bislang nicht ersichtlich, was die sie mit den bisher aus der zweiten Säule finanzierten Agrarumweltmaßnahmen vorhat. „Diese Vorschläge sind nicht ausgewogen“, kritisiert Willems. „Sie entsprechen nicht den definierten Nachhaltigkeitsprinzipien. Zwar sagt die Kommission, Ziel der Agrarpolitik sei auch in Zukunft die Sicherung der Lebensmittelversorgung mit qualitativ hochwertigen Produkten. Doch bei der Umsetzung rücken die Umweltziele wieder in den Vordergrund. Dabei betreiben wir schon eine extensive Landwirtschaft.“ Durch immer neue Umweltauflagen entstünden den europäische Bauern auf dem Weltmarkt größere Wettbewerbsnachteile gegenüber außereuropäischen Produzenten, die dazu noch ihre Waren nach Europa exportierten.

Angekündigt hat Ciolos zudem Hilfen, um die Landwirtschaft in solchen Regionen zu fördern, wo es natürliche Beschränkungen gibt. Diese Hilfen sollen künftig Teil der ersten, von der EU-finanzierten, Säule sein. Die bisher von den Mitgliedstaaten über die zweite Säule mitfinanzierte Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete soll hingegen abgeschafft werden. Die genauen Modalitäten dieses Umbaus sind für die Luxemburger Landwirtschaft von besonderem Interesse. Denn wird die Ausgleichszulage von der zweiten in die erste Säule transferiert, ohne dass die EU dort das Budget für Luxemburg erhöht, drohen große Einschnitte. Hieße das doch, dass bei bestenfalls gleichbleibendem Etat eine größere Vielfalt an Prämien ausbezahlt werden müsste.

Zwar stellt die Kommission „optional national top-ups“ in Aussicht. Doch bei den kommenden Verhandlungen könnten manche Mitgliedstaaten Bedenken anmelden, das Ko-Finanzierungsprinzip nicht wie bislang auf die zweite Säule zu beschränken, sondern künftig für Maßnahmen der ersten Säule einzuführen, die ja eigentlich von der EU bezahlt werden sollen. Zu klären bleibt auch, in welcher Höhe sie solche Säule-1-Hilfen mitfinanzieren dürften.

Ohnehin ist fraglich, ob Luxemburg für die kommende EU-Haushaltspe-riode das Recht verteidigen kann, sowohl eine Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete als auch eine Landschaftspflegeprämie auszahlen zu dürfen. Denn wenn der frühere Agrarminister Fernand Boden (CSV) die Einstufung ganz Luxemburgs als benachteiligtes Gebiet mit dem Einkommensrückstand der Bauern im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern rechtfertigte und das auch auf EU-Ebene durchsetzen konnte, sind laut EU-Recht die Kriterien eigentlich geologischer Art, beziehen sich beispielsweise auf Hanglagen oder eine geringe natürliche Ertragfähigkeit des Bodens. „Wer solche Hilfen auszahlt, muss das wirtschaftlich rechtfertigen“, erklärt Schmit vom SER. Das heißt, es muss belegt und berechnet werden, wie hoch der Ausfall ist, der durch den natürlichen Nachteil entsteht und wie hoch Aufwand und Kosten sind, um ihn zu beheben. Weil derzeit über 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der EU als benachteiligt gelten, dürfte sich die Kommission im Rahmen der anstehenden Reform auch über die Definitionskriterien dieser Gebiete beugen. „Dann“, glaubt auch Willems, „wird es für verschiedene Gebiete im Land schwer, diesen Status zu halten.“ Jener Status, der den Luxemburger Landwirten wie gesagt 2009 15,6 Millionen Euro Ausgleichzulagen einbrachte.

Zumal die Maßnahmen, die die Luxemburger Bauern durchführen, um besagten natürlichen Nachteil wettzumachen, sich doch stark mit denen überschneiden, durch die sie die Landschaft pflegen. Schlechtgesinnte, oder solche, die Geld sparen oder abzweigen wollen, könnten da auf die Idee kommen, dass die Luxemburger Landwirtschaft nur einmal Maßnahmen durchführt, dafür aber zwei Prämien – Ausgleichszulage und Landschaftspflegeprämie – kassiert. Und deswegen dagegen stimmen, dass die Luxemburger Bauern auch in Zukunft beide Prämien erhalten, auch wenn der Großteil der Mittel dafür nicht aus dem EU-, sondern aus dem Luxemburger Staatshaushalt stammt.

Michèle Sinner
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