Züchter Joseph Pauly

Weinrebenpionier

d'Lëtzebuerger Land vom 09.12.2010

„Der Hintsch ist auch erwähnenswert“, sagt Joseph Pauly. Der was? Der Hintsch. Je nach Region Hinschen, Hensch, Heinsch, Hunsch oder weißer Heunisch. „Das ist eine Art Hybrid, der ist nicht anfällig“, fügt er hinzu. „Ein Direktträger“, sagt Johny Vesque. „Eine wilde Rebe, resistent gegen Krankheiten und Läuse, die eigene Trauben trägt, die muss nicht gepropft werden “. Von der Rebsorte Hintsch gab es früher viel an der Mosel, weil die Art, wie Pauly und Vesque erklären, eine Resistenz gegen die Philloxera, jene aus Amerika importierte Reblaus aufwies, die Anfang des 20. Jahr-hunderts auch die Weingebiete an der Luxemburger Mosel zerstörte. Aber der Wein schmeckte nicht. „In den 40-er Jahren ist der Hintsch verschwunden“, vervollständigt Pauly. „Zwei Pflanzen hab ich noch.“ Die hat er behalten, wegen des Gen­materials.

Das ist Joseph Pauly wichtig. Denn Reben sind seine Leidenschaft. Von diesen Pflanzen ist er fasziniert. Schon als Kind hat er mit den Reisen gespielt, die zum Veredeln der Weinstöcke gebraucht wurden. Der Vater arbeitete – wie später Joseph Pauly selbst – beim Weinbauinstitut, leitete dort unter anderem Propfkurse. Und nahm den Sohn mit. Der wurde zum einzigen Rebenzüchter Luxemburgs. An einem Tisch in einem beheizten Arbeitsraum seiner Lagerhalle sitzen Pauly und sein Schwager Vesque, vom Winzerbetrieb Cep d’Or. Daneben bearbeiten Tochter Sylvie Pauly und ein weiterer Mitarbeiter den Auftrag eines Kunden. Sorgfältig werden Stöcke begutachtet, zurechtgeschnitten. Ein Bad im flüssigen Paraffin schützt vor dem Austrocknen. Dann werden die Reben für den Transport in Ballen zusammengeschnürt.

Von der Reblausplage – der erste Philloxera-Herd in Luxemburg wurde 1907 gesichtet – erzählt der 72-jährige Pauly, als sei er dabei gewesen. „Ab 1928 wurde es schlimmer.“ Die Reb-stöcke verkümmerten massenhaft, die Epidemie bedrohte den Fortbestand des Weinanbaugebiets. Für die Winzer war es eine Katastrophe. Neue, resistente Pflanzen wurden gebraucht. Deswegen wurde gepropft und veredelt, was das Zeug hielt. „In den Dreißigern waren es jährlich bis zu einer Million Reben“, so Pauly, saisonbedingt „arbeiteten in der Weinbausta-tion zwischen 80 und 100 Leute – die kamen von der ganzen Mosel mit dem Fahrrad hierher gefahren.“

Als die Weinhänge nach der Schädlingsepidemie neu bepflanzt wurden, erläutert Vesque, sei das auch die Gelegenheit zur Umstellung auf die Qualitätsweinproduktion gewesen. Müller-Thurgau, also Rivaner, Auxerrois, Weiss- und Grauburgunder wurden damals eingeführt, so Vesque, der Schwager des Rebenzüchters Paulys. Riesling und Elbling standen schon, sind sich die beiden einig. „Sogar ein bisschen Muskat“, sagt Vesque. „Aber nicht so viel wie Traminer“, verbessert ihn Pauly streng.

Die Qualität der Weinproduktion zu steigern, das war schon die Vision seines Vaters, erklärt er. Der war unter anderem 1949 nach Frankreich gefahren, um fürs Weinbauinstitut die Lieferverträge für reblausresistente Unterlagen zu verhandeln und damit regelmäßige Lieferungen sicherzustellen. Die Unterlagen, auf die jeweils das Edelreis gepropft wird, können nicht in Luxemburg gezogen werden, auch heute nicht, erklärt der Fachmann. Es ist zu kalt, als dass das Holz binnen eines Jahres reif werden könnte. Also die Pflanze über der Wurzel tatsächlich verholzt. Das muss sie aber, will man die Reise edler Traubenarten darauf propfen.

Der Sohn setzte die Bemühungen des Vaters fort. Die erste Rebschule, die Pauly als Privatgesellschaft betrieb, fing er 1963 an. Dadurch begann auch der Prozess zur Auswahl der drei Rebklone des Züchters. Ein Prozess, der erst Ende der Siebziger mit der Auswahl von Pauly 400 und Pauly 800, zwei Rivaner-Klonen, sowie Pauly 60, einem Auxerrois-Klon, endete, die als Teil der Deutschen Genbank Reben im Garten des Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Neustadt aufbewahrt werden. Mit 2 000 Rebstöcken hatte das Experiment begonnen. Unterstützt von Bio- und Virologen, schloss Pauly über Jahre hinweg immer mehr Pflanzen aufgrund ihrer Anfälligkeit gegenüber Viren, Krankheiten und Schädlingen aus. Nur die robusten gesunden Stöcke, bei denen auch der Ertrag stimmte, blieben in der Auswahl. Derzeit arbeitet er noch an der Selektion eines Auxerrois-Subklons. „Das wird dann Pauly 61. Doch der ist frühestens in acht bis zehn Jahren fertig. Dann bin ich 80!“, lacht der Züchter. Ans Aufhören denkt er nicht. „Es ist eine Faszination, von der ich nicht loskomme.“

„So etwas wurde an der Mosel bisher nicht gemacht“, sagt er und meint damit das gezielte Züchten von Klonen. „Doch wenn man weiterkommen will, muss man etwas unternehmen.“ Das wollte er. Damit Qualität und Leistung der Weinproduktion gesteigert werden konnten, fand er, musste man den Winzern, die ihre Weinberge anpflanzten, hochwertige zertifizierte Ware anbieten. Mit dieser Überzeugung stand Pauly nicht alleine da. Anfang der Siebziger gründete er gemeinsam mit fünf anderen Züchtern aus der Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien das Comité international des Pépiniéristes. Ihr Ziel: sicherzustellen, dass den Rebschulgärtnern, die nicht in der Züchtung, sondern in der Rebenproduktion tätig sind, ausschließlich hochwertiges Basismaterial zur Vervielfältigung geliefert wird.

Ihr Material: Die Klone wurden im Mutterweinberg vervielfältigt. Von dort stammen die Edelreise, die zur weiteren Vervielfältigung genutzt werden. Zwingend, denn die Klone sind wie eine geschützte Marke. Wird also irgendwo Pauly 400, 800 oder 60 angebaut, stammen die Reise alle direkt aus Paulys Schule in Remich. Bis vor zehn Jahren, erzählt der Züchter, stammten zwischen 60 und 63 Prozent der Reben, die jährlich an der Luxemburger Mosel gepflanzt wurden, aus seiner Schule. Im heimischen Anbaugebiet ist 2010 der Rivaner mit 27,6 Prozent der Anbaufläche die meistverbreitete Rebsorte, der Auxerrois mit 14,4 Prozent die zweithäufigste Sorte. „Zeitweise haben wir zwischen 300 000 und 400 000 Reben pro Jahr produziert“, erinnert sich Pauly. Die Zeiten sind, seit auf europäischer, wie auf nationaler Ebene die Flächenumverteilungsprozesse, die Remembrements, abgeschlossen sind, ruhiger geworden. Jetzt sind es noch zwischen 80 000 und 100 000 Reben pro Jahr, die zum Preis von 1,43 Euro verkauft werden – die Konkurrenz aus dem Ausland liefert andere Rebsorten an die Luxemburger Winzer. Durchschnittlich werden Reben, sind sie einmal gepflanzt, zwischen 30 und 40 Jahren ausgebeutet – danach sinkt der Ertrag. Was einmal gepflanzt ist, bleibt eine ganze Weile stehen. „Den Qualitätssprung, den wir seit einigen Jahren bei den Luxemburger Weinen beobachten, verdanken wir also der vorherigen Generation“, sagt Vesque, die auf die richtigen Reben gesetzt habe.

Doch auch Pauly lieferte Reben ins Ausland. Zum Beispiel nach Großbritannien, als in den Sechzigern eine Familie ihre Farm in Suffolk zum Winzerbetrieb umstellen wollte. An einem Kneipentresen war einem Bekannten ein Brite begegnet, der erzählte, dass sie Reben kaufen wollten. Zwischen vier und fünf Hektar pflanzten Pauly und Vesque für die britischen Kunden an. Nach drei Jahren gingen die zum ersten Mal in die Lese. „Dabei hatten sie doch gar keine Kellerei“, lachen die beiden herzlich. „Ich habe ihnen dann beim Aufbau der Kellerei geholfen“, bekennt Vesque. „Eines Tages klingelt das Telefon, und sie erzählen uns, dass sie ihren Wein zu einem Wettbewerb eingeschickt haben und eine Goldmedaille gewonnen haben. Unglaublich!“ Mit einem ihrer ersten Jahrgänge gewannen die Kunden gleich den wichtigsten Weinpreis Großbritanniens. Daraufhin werden Pauly und Vesque, als die Briten in den Sechzigern des 20. Jahrhunderts den während der kleinen Eiszeit im 17. Jahrhundert verschwundenen Weinbau wiederentdeckten, zu gefragten Referenten. In Belgien, schätzt der Züchter, stammen rund 70 Prozent der Reben auf den insgesamt 400 bis 500 Hektar Wengerten aus der Züchterei und Rebschule Pauly.

In den Niederlanden sind Pauly und Vesque ebenfalls aktiv. De Kleine Schorre heißt das größte niederländische Weingut auf Zeeland. Es funk-tioniert wie eine Kooperative, in der Investoren Anteile kaufen und als Dividende jährlich einen Teil der Weinproduktion von zwischen 30 000 und 40 000 Flaschen jährlich erhalten. De Kleine Schorre, die in einer Art Joint Venture mit Cep d’Or produzieren, ist dermaßen erfolgreich, dass der Wein den Erste-Klasse-Kunden der KLM serviert wird und sich die Weinhändler darum streiten. Erst vor neun Jahren pflanzten Pauly und Vesque dort die ersten Reben. Zur Jubiläumsfeier nächstes Jahr wollen die beiden hinfahren. „Ich glaube, dann müssen wir den guten Anzug anziehen“, scherzt Vesque gutgelaunt. „Schon zum normalen Weinfest kommen mittlerweile mehrere Tausende“, sagt Pauly. Er kann den Erfolg kaum fassen.

Michèle Sinner
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