Die kleine Zeitzeugin

Revolution im Elysée

d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2022

Für manche mag es überraschend klingen. Also für die, die anziehen was man so hat was da so ist, halt eben, hat sich so ergeben, irgendetwas findet sich immer in der Fundgrube auch Kleiderschrank genannt, was man sich anziehen überziehen kann, passend zur Jahreszeit möglichst. Wenn sie plötzlich erfahren, dass Rollkragenpullover out sind. Nein, waren! Weil jetzt, Hokuspokus, sind sie wieder in. Jetzt darf man wieder, v.a. Mann, ja Mann muss. Das wird ein Must!

Eben waren sie doch noch die Coolen von der Schule im bläck Rolli! Und wieso gibt es jetzt so ein Getue, als hätten Archäologinnen Relikte aus der vorpharaonischen Epoche ausgegraben? Und seitenlange kulturtheoretische Analysen in führenden französischen Medien? Historische und soziologische und identitätsspezifische Abhandlungen über dieses den Hals so elegant würgende Textil? Staunend erfahren wir, dass Ritter seinen Vorfahr schon unterm Kettenhemd trugen, dass Fischer, Arbeiter, Torschützen, Kerle halt sich also gegen Kälte wappneten. Bis die Existenzialist*innen auch Lust bekamen, sich die Gurgel abzuschnüren, in exklusivem nihilistischem Schwarz, die Künstler*innen und Feministinnen kaperten den Kerle- Look, subtiler Arbeiterklasse-Chic breitete sich aus in debattengeschwängerten Kneipen. Schmächtige, behornbrillte Bürschlein schlüpften unter dieses Joch und jede Menge Interessanter, Warhol und Mitterrand und Saint Laurent, die unter ihrem schwarzen Vorhang mystisch lugende Greco. Zum intellektuellen Symbol gar wurden die strengen Kelche ernannt, aus denen die Superhäupter sprossen. Die Uniform derer, die sich einmalig vorkamen.

Dann, so die Geschichtsforschung, galt der Rollkragenpullover als verschollen. Nur in einzelnen gruftigen Kleiderschränken dämmerten noch Exemplare vor sich hin, versprengte Survivor*innen, die den Überblick über die Epochen längst verloren hatten, durchquerten unbeirrt mit Halsröhre die von Plateausohlen, Neonleggins und Hoodies durchgeisterten Äonen. Ein paar Versuche gab es, das IT-Stück der Genialischen zu reanimieren, aber nicht mal Steve Jobs täglicher Einsatz im Mönchsdress schaffte das.

Bis jetzt! Es fing alles ganz unspektakulär an, mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister, der öffentlich der Krawatte abschwor und sich angesichts drohender Eiszeiten in einem Rolli vergrub. Sehr ansteckend, schon hatte es den Président der République erwischt, der ebenfalls in die Halskrause schlüpfte. Auch nicht, weil er plötzlich zum Beatnik-Poeten mutiert wäre oder ein Festival leiten würde, in dem brüchig-rauchig etwas von Paris im Regen oder Kirschenzeiten gehaucht würde. Nein. Weil es kalt ist eben, eigentlich nachvollziehbar. Und es noch kälter wird, viel viel kälter, das will er dem Volk eindringlich nahebringen. Dass das Volk das endlich checkt. Was los ist, trotz Großer Atomnation. Dass es sich endlich am Riemen reißt.

Aber dennoch Positives ausstrahlen. Ermutigendes. Wir können alle was tun. Wir können alle was beitragen. In den HLMs und den Palästen und unter der Brücke, manchmal sind es die kleinen Dinge, die Großes bewirken.

Zieht euch warm an! lautet die schlichte Losung. Warm angezogen geht er zum Dinner mit dem noch nicht zeitgemäß gestylten Herrn Scholz am Tag der Deutschen Einheit. Geht mit gutem Beispiel voran, zwängt seinen Hals in die Montur, schwitzt für die gute Sache. Das Bild, das der Präsident jetzt abgibt, soll ein Vorbild sein. Ein Statement, ein Statesman-Statement auch noch, alles ist jetzt immer ein Statement. Wie Zelensky in seiner Kriegerkluft ist auch Macron in seiner Klimakluft jetzt immer im Einsatz. Macron ist jetzt ein Ökokrieger.

Bald wird der von der Uno 2018 als Champion der Erde Gekürte in langen wollenen Unterhosen aus regionalem Anbau weitere flammende Reden an die lieben Kompatriot*innen halten. Brigitte hält Daumen hoch in Fäustlingen aus Wolle du terroir, die Pudelinnenmütze steht ihr top. Alles nachhaltig, wie Atomkraft.

Michèle Thoma
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