Deutschland

Geschwätz von gestern

d'Lëtzebuerger Land vom 16.11.2018

Showtime. Markus Söder, Ministerpräsident des Freistaates Bayern, hatte sich das so schön vorgestellt, als er am Montag dieser Woche sein neues Kabinett in München präsentierte. Dazu wollte er die ungeteilte Aufmerksamkeit in Fernsehen, Funk und Zeitung. Er hätte diese sicherlich auch bekommen, wenn da nicht Horst Seehofer, Vorsitzender der CSU und Bundesinnenminister, ihm gehörig die Schau gestohlen hätte. Bei einem innenministerlichen Termin in Bautzen fasste er an diesem Montag zusammen, was in der Nacht zuvor in der CSU-Parteizentrale in München beschlossen worden war: Seehofer gibt das Amt des Parteivorsitzenden ab. Ob jetzt ein „muss“ oder „will“ in diese Aussage gehört, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Als Datum für seinen Amtsverzicht nannte Seehofer ein vages „2019“. Bis dahin, das wissen die Beobachter der politischen Szene in Berlin, wird noch viel Wasser die Spree hinabfließen. Denn gerade für Seehofer gilt, was kümmert ihn sein Geschwätz von gestern. Oft, allzu oft, hat er Rückzieher von seinen Rücktritten gemacht, als dass ihm bis dahin noch eine Finte einfallen wird, um seine Macht zu wahren oder um noch ein letztes Mal dem Land eine Lektion zu erteilen und eigene Wunden zu lecken.

Das möchte dieser Tage auch Friedrich Merz, Kandidat auf den Parteivorsitz bei den Christdemokraten. Der einst den Machtkampf mit Angela Merkel verlor und sich schmollend aus dem Bundestag zurückzog. Als er schließlich 2016 in den Aufsichtsrat der deutschen Filiale von Blackrock, des größten Vermögensverwalters der Welt, wechselte, nahmen diese viele als seinen endgültigen Abschied aus der Politik. Nun, da Merkel den Chefposten bei der CDU aufgeben wird, wirkten viele von der Entscheidung der Kanzlerin überrascht – bis auf Merz, der nun sein politisches Comeback vorbereitet. Wäre da nicht die Causa Blackrock und deren Verstrickung in die Cum-Ex-Geschäfte. Gemeint sind damit jene Aktiengeschäfte, bei denen Banken und Börsenhändler den Fiskus offenbar um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen haben sollen. Der gewöhnungsbedürftige Name steht für den Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende. Zahlreiche Banken im In- und Ausland und deren Handelspartner haben nach Erkenntnis der Ermittlungsbehörden die Finanzämter systematisch und trickreich getäuscht und sich nur einmal gezahlte Steuer auf Dividenden mehrmals erstatten lassen. Blackrock besitzt große Aktienpakete und verleiht diese auch. Merz selbst soll sich bei seinem Einstieg in das Unternehmen rückversichert haben, dass das Unternehmen nicht in den Steuerskandal verstrickt sei. Doch kaum erklärt Merz seine Kandidatur, führte die Staatsanwaltschaft Köln in der Münchner Niederlassung von Blackrock eine Razzia durch. Fest steht: Die Staatsanwaltschaft wirft Merz nichts vor. Wenngleich sie Blackrock im Visier hat, schließlich hat der Finanzkonzern 2009 die Sparte Vermögensverwaltung von Barclays übernommen. Und damit auch die Handelsplattform „iShare“, über die viele Cum-Ex-Geschäfte abgewickelt worden sein sollen. Es liegt nahe, so die Ermittler, dass Blackrock sich vergiftete Altlasten eingekauft hat.

Schnee von gestern. Eigentlich. Uneigentlich ist da der Leitgedanke seines politischen Handelns, den Friedrich Merz gerne vor sich herträgt: „Konservativ sein heißt zuallererst, sich anständig zu benehmen.“ Auch wenn Merz mit den dubiosen Geschäften von Blackrock, respektive Barclays, nichts zu tun hat, bedeutet anständig zu sein aber auch, dass man genau hinschaut, mit wem man sich einlässt – und offen darlegt, welche andere Verwicklungen es in die Finanzwelt sonst noch gibt.

Und das sind einige: Seit 2005 arbeitet er im Düsseldorfer Büro der internationalen Kanzlei Mayer Brown. Merz berät dort vor allem Unternehmen bei Fusionen. Zu seinen Mandanten gehören zahlreiche Dax-Konzerne und internationale Firmen. Er sitzt im Aufsichtsrat des Papierherstellers Wepa und des Flughafens Köln/Bonn sowie der Privatbank HSBC Deutschland – die ebenfalls in die Cum-Ex-Geschäfte verwickelt zu sein scheint –, aber auch im Verwaltungsrat des Schweizer Lokbauers Stadler Rail. Während der Finanzkrise war er Berater der in Schieflage geratenen Bank WestLB, die vom Staat gestützt werden musste. Merz wurde damals vom staatlichen Bankenrettungsfonds zum „Veräußerungsbevollmächtigten“ der WestLB bestellt. Das Honorar betrug 5 000 Euro pro Kalendertag. Der Komplettverkauf scheiterte, die Bank wurde zerschlagen. Verdient daran hat er trotzdem. Seit März ist er Brexit-Beauftragter der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Merz kündigt an, alle diese Ämter nach seiner Wahl zum CDU-Chef niederzulegen.

Die vielen Rollen und die Aufgaben, die Friedrich Merz innehatte, haben Kritiker auf den Plan gerufen. So etwa Timo Lange von Lobby Control, einem gemeinnützigen Verein, der sich für mehr Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen einsetzt: „Angesichts der Vita von Friedrich Merz und seinen vielen Jobs und Lobbytätigkeiten in der Wirtschaft sind Interessenkonflikte fast schon vorprogrammiert.“ Edda Müller, Vorsitzende der Antikorruptionsorganisation Transparency International dazu: „Merz wird den Mitgliedern der CDU erklären müssen, wie er sich in diversen Funktionen in der Finanzwirtschaft für ein gesellschaftlich verantwortliches Handeln seiner Auftraggeber eingesetzt hat.“ Dennoch sind die Christdemokraten mit der Kandidatur von Friedrich Merz zufrieden. Ein Mann der Tat, der anpackt, der handelt, der die CDU wieder zu einer Volkspartei machen wird. Gerne auch als nächster Bundeskanzler. Vernetzt ist er.

Martin Theobald
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