Eins Komma fünf Grad. Wärmer darf es in der nächsten Dekade nicht werden auf der Erde, mahnt der Weltklima-Rat (IPCC), wenn Katastrophen vermieden werden sollen. Doch kaum haben die Klimaweisen ihren Bericht zur Lage des globalen Klimas veröffentlicht, streiten sich Politiker, Lobbyisten und Aktivisten darüber, wie dieser denn zu lesen ist – und wie das ehrgeizige Ziel der Begrenzung erreicht werden kann.
„Der Weltklimabericht bestätigt: Das 1,5 Grad-Ziel ist noch zu erreichen, doch es muss jetzt gehandelt werden“, so Lisa Badum, Klima-Politikerin der Grünen-Bundestagsfraktion. Sven Harmeling, Klimaexperte der Nichtregierungsorganisation Care: Es liefe „auf einen Bruch des Paris-Abkommens hinaus“, wenn die Bundesregierung und das Parlament dem UN-Bericht „keine Taten folgen lassen“. „Der Kohleausstieg in Deutschland muss bis spätestens 2025 abgeschlossen sein“, sagte Lisa Weis von der Klimaschutz-Organisation „350.org“.
Gedeckt sind alle diese Aussagen durch den Bericht des IPCC nicht. Es beginnt vielmehr das sogenannte Framing, das Spiel der Protagonisten und Interessengruppen: Jeder Akteur zieht aus dem Bericht des Weltklima-Rats nur das, was ihm offensichtlich in die Karten spielt. Alles andere wird unter den Teppich gekehrt. Wem es gelingt, sich mit seinen Forderungen und seiner Interpretation der Fakten unwidersprochen in der Öffentlichkeit zu positionieren, hat ein wesentliches Stück Deutungshoheit errungen. Wohlan!
Wichtigstes Vorhaben zur Klimaschonung sei die Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes. Weltweit. Doch da ist beispielsweise China. Der derzeit größte Emittent von Kohlendioxid will bis zum Jahr 2030 überhaupt kein Kohlendioxid einsparen, sondern seine Emissionen vielmehr steigern. Peking will seinen „Peak“, seinen Höhepunkt des CO2-Ausstoßes erst 2030 erreichen, um danach dann mit der Reduzierung zu beginnen. So steht es in den einzelnen Intended Nationally Determined Contributions (INDC), der Verpflichtungszusage Pekings im Paris-Abkommen. Auch die Türkei will erst in einigen Jahren mit der Verringerung beginnen. Bis dahin ist der Aufschluss neuer Braunkohle-Tagebaue geplant. In Südafrika wird derzeit das größte Kohlekraftwerk der Welt gebaut. Für Europa gab die EU ein INDC ab. Vor diesem Hintergrund ist die Halbierung der globalen Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 völlig illusorisch.
Weiterhin steht im Weltklima-Bericht: Es muss nicht nur gehandelt werden, es muss auch enorm viel investiert werden. Weltweit müssen bis 2050 im Schnitt 900 Milliarden US-Dollar pro Jahr in die CO2-Minderung des Energiesystems investiert werden – andere Studien sprechen von der doppelten Summe. Zudem seien Energiesparmaßnahmen von 700 Milliarden bis eine Billion US-Dollar pro Jahr nötig. Überträgt man diese Zahlen auf deutsche Verhältnisse, so muss das Land seine Kosten der Energiewende von derzeit 34 Milliarden Euro pro Jahr noch verdoppeln, wenn nicht gar verfünffachen, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Doch der Widerstand der Industrie, des mittelständischen Gewerbes, aber auch der Bevölkerung gegen die ohnehin schon – im europaweiten Vergleich – höchsten Strompreise ist so stark, dass die Regierung eher auf die Kosten-Stabilisierung der Energiewende setzt, denn auf weitere Wende. Höhere Kosten sind dem Bürger nicht zuzumuten. Gerade nun, wo das Land nach Elektromobilität lechzt, wo immer auch der Strom für die Unbegrenztheit des Reisens herkommen mag.
In die Klimapolitik spielt jedoch nicht nur der Energiehunger eine Rolle, sondern auch der tatsächliche Hunger. Auch ein Hinweis im Weltklima-Bericht. Wie aber sollen bis zu acht Millionen Quadratkilometer Weide- und Agrarfläche für den Anbau von Energiepflanzen umgewidmet werden, ohne dass Lebensmittelpreise steigen? Oder es zu einer Nahrungsmittel-Knappheit kommt. Diese „Tank statt Teller“-Notwendigkeit steht auch im Bericht – doch sie ist politisch nicht opportun. Gerade in Deutschland, dem Land mit den günstigsten Lebensmitteln – im Europavergleich. Zudem verlangt das 1,5 Grad-Ziel, dass weltweit eine Fläche der Größe der USA für neue Wälder reserviert wird. Auch das birgt Konfliktpotenzial, denn regional können die Klimaschutz-Projekte durchaus mit anderen Zielen der Vereinten Nationen kollidieren – etwa denen zur Armuts- und Hungerbekämpfung.
Ein weiteres Projekt zum Klimaschutz ist die Verpressung von Kohlendioxid in unterirdischen Depots. Ein erster Versuch zu dieser Carbon-Capture-and-Storage-Technik (CCS) scheiterte vor wenigen Jahren in Deutschland am Protest der Bevölkerung. Dabei müsste das Land seinen Beitrag leisten, wenn bis zu 1 000 Gigatonnen CO2 weltweit der Atmosphäre entzogen und gespeichert werden müssen, um das vorgegebene Klimaziel zu erreichen. Diese Themen sind nicht opportun und werden von den Politikern nicht auf die Agenda gesetzt.
Die Bündnisgrünen engagieren sich in einem „Hambi bleibt“-Protest, der sich für den Erhalt des Hambacher Forstes im niederrheinischen Braunkohlerevier engagiert. Der Widerstand bringt Quote, liefert ein wenig Ablenkung vom Rechtspopulismus und zeigt, dass die politisch ökologisch-linke Szene weiterhin aktiv ist und sich für ihre Ziele einsetzt. Die Politik springt dankbar auf diesen Zug, knüpft an die Bilder des erfolgreichen Bürgerprotestes gegen Energiekonzerne an – und geht doch am eigentlichen Ziel vorbei. Denn der vorgelegte Klimabericht verlangt tiefgreifende ökonomische und soziale Veränderungen, eine Vielzahl an Maßnahmen und Technologien, um den Klimawandel abmildern zu können. Diese Veränderungen beginnen im eigenen Leben, etwa einer weniger ressourcenintensiven Ernährungsweise, und der Einführung nicht nur eines symbolischen Veggie-Days pro Woche.