Ich weiß, es war gerad so schön totenstill. Oder eher lebendig still, wie wir andächtig befanden. Was sich da alles rührte in unserer unmittelbaren Umgebung, und uns so sehr berührte. Bescheidenes Gewächs, das uns aus Ritzen und Fugen zunickte auf unseren bescheidenen Wegen, alle möglichen vielbeinigen Freund_innen, wir wussten nicht mal, dass wir sie hatten. Plötzlich, in der Stunde der Not, waren sie da. Stelldichein mit Silberfischlein, mitternächtliche Klo-Rendezvous, es trieb einer die Tränen in die Augen, Hallo Mitgeschöpf! Ja sniff, ihr teilt diesen Planeten mit uns!
Darüber schrieben und dachten und redeten wir jede Menge, wie schön es doch war, dass nichts war, jedenfalls nichts los, und wie wir jetzt losließen. Die Leitartiklerinnen leitartikelten darüber und die Philosophen philososophierten und den Therapeut_innen fiel Tröstliches ein. Tut uns doch ganz gut mal.
Wobei ich manchmal etwas verunsichert war. Zum Beispiel bezüglich der plötzlich ausgebrochenen Euphorie in der Tier- und Pflanzenwelt. Freiheitstänze zelebrierende Delfine gab es bei mir leider nicht im Angebot. Aber Wochen lang wandelte ich unter Wipfeln, in denen es an lauen blauen Frühlingsabenden verdächtig still war. Sind unsere gefiederten Freundinnen jetzt ernsthaft ausgestorben? Oder sind sie von Depression befallen, wie alles unter diesem Himmel ohne Chemtrails, in diesen abgasfreien Straßen, in denen Untote herum tappen? Depressiv aus Empathie, aus Solidarität mit uns in schwarzen Wohnlöchern Verschollenen? Oder ist das nur die allerallerlächerlichste anthropozentristische Vorstellung?
Das mit der neuen Lebensqualität zog sich jedenfalls in die Länge. So neu war sie jetzt nicht mehr, die Jungen erinnerten sich daran, jung zu sein, die Alten auch, und die Familien waren es müde, dass Frau und Herr Lehrer_in sie jeden Tag via Bildschirm in ihren Stuben heimbesuchten. Die Einsamen wollten wieder ihre Dosis Liebe, altmodische analoge, mit Nähe, Gerüchen, und wenn es nur die Nähe der Serviererin im Einkaufszentrum war, die eine Kaffeetasse vor ihnen absetzte. Manche langweilten sich sogar schon bei der Viren-Eurovision. Immer häufiger überfielen sie unkontrollierbare Gelüste. Ach, sich Pommes Frites einverleiben in einer dampfenden Bude voll malmender Menschenmäuler, bitte viel Mayonnaise! Ach, einfach nur irgendwo herumhängen und Unzusammenhängendes von sich geben, welch ein Traum!
Und dann geschah es. Eines schönen Morgens, es war wieder so schön und so ruhig, so schön ruhig, brach plötzlich der Krieg aus. Auch das noch, ich stürze auf den Balkon. Und … Seufz, mir wird so wohl zumute, so menschlich, so wehe. Ein Kriegsgerät bewegt sich auf und ab, darin sitzt ein Mensch, er köpft Blumen und verstümmelt das Gras. Was Menschen halt so tun. Er macht das sehr zielgerichtet und umsichtig, er macht Kurven und fährt Streife, alles hat seine Richtigkeit.
Er hat den Bann gebrochen. Ich muss ihm zujubeln, ihm Daumen schicken, ihm danken. Dass er ein Mensch ist, dass er Menschensachen macht. Ich muss ihn willkommen heißen, er macht uns wieder zu Menschen, nicht zu Fantomen oder Gurus. Ich muss ihn unter Menschen willkommen heißen, auf diesem Planeten voller Plastik, voller Müll, voller sterblicher Schönheit, auf diesem Planeten der Idiot_innen.
Wie ist es schön, eine Idiotin zu sein auf dem Planet der Idiot_innen, man fühlt sich so zuhause. Bitte mach weiter! Mach weiter Krach, dass uns die Ohren abfallen und die letzten Vogelmohikaner_innen aus den Nestern fallen, mach weiter Gestank und fahr auf und ab wie ein besessener Dreijähriger. Mir ist so wohl zumute, so wohlig, du erweckst die in ihren Wohnungen Eingesargten, sie recken sich und setzten einen Fuß hinaus.
Wie schön es hier ist! Die Auferstandenen holen tief Luft, sie ist mit Auspuffgasen vitalisiert, so lange hat man nur Naturparfümerie gerochen. Endlich Mensch!
Ich muss runter, ihn umarmen. Aber das geht ja nicht, wegen der Schritte. Immer nur Schritt für Schritt.
Macht nichts, wir sind auf einem guten Weg.
Es ist noch viel schöner als mit dem Silberfisch.